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Fusion im Panzerbau

Rüstungsschmiede KMW geht mit Nexter zusammen. Deutschland verfolgt dabei vor allem nationale Interessen

Von Jörg Kronauer *

Standesgemäß wurde die Vertragsunterzeichnung am Mittwoch vergangener Woche im Pariser Hôtel de Brienne zelebriert. Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian war persönlich zugegen, seine deutsche Amtskollegin, Ursula von der Leyen, ließ sich vom Parlamentarischen Staatssekretär Markus Grübel vertreten, als Frank Haun und Philippe Burtin, die Chefs der Panzerschmieden Krauss-Maffei Wegmann (KMW) respektive Nexter, den Vertrag über den Zusammenschluss ihrer Konzerne signierten. Endlich entstehe ein »europäischer Champion in der Heeresrüstung«, triumphierte Verteidigungsminister Le Drian. Die Fusion der deutschen KMW und der französischen Nexter ist in der Tat ein Markstein in der Geschichte der europäischen Rüstungsindustrie.

Geklagt und gestritten wird unter Panzerbauern schon lange. Geklagt, weil die nationalen Rüstungsetats längst nicht mehr so üppig sind. Will man mit dem »Leopard 2« oder dem »Leclerc« noch profitable Geschäfte machen, muss man große Stückzahlen exportieren. Auf dem Weltmarkt aber weht einem der Wind scharf um die Ohren. Klar ist seit den 1990er Jahren: Ein Zusammenschluss der europäischen Panzerschmieden wäre nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern notwendig, um sich gegen die Rivalen in aller Welt zu behaupten. Wie der Zusammenschluss konkret zu gestalten sei, ist seit Jahren der Streitpunkt.

In Deutschland war es im Lauf der 1990er Jahre in einem ersten Schritt gelungen, die Zahl der Panzerbauer durch Übernahmen auf zwei große Konzerne zu reduzieren – KMW und Rheinmetall. Zur ersten Liga der globalen Rüstungsindustrie gehören sie nicht: Das Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) listete sie in der Rangliste der 100 größten Waffenverkäufer des Jahres 2013 auf Platz 32 (Rheinmetall) und 72 (KMW) auf. Auf einen weiteren Zusammenschluss konnten sie sich nicht einigen – trotz politischer Einflussnahme. Im Oktober 2000 hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) massiv Druck ausgeübt und die beiden Panzerbauer sowie die Rüstungsfirma Diehl mehr oder weniger zwangsverpflichtet, »auf eine Harmonisierung und Bündelung ihrer technologischen Fähigkeiten hin(zu)arbeiten«, wie es in einer »Gemeinsamen Erklärung« der Bundesregierung und der Rüstungsindustrie hieß. Sie sollten dabei »auch die Möglichkeit einer gegenseitigen Kapitalverflechtung prüfen«. Aus Berlin verlautet, man wolle mit einem starken deutschen Firmenkern den unvermeidlichen EU-weiten Zusammenschluss dominieren. Diskutiert wurde seitdem immer wieder eine Fusion von Rheinmetall und KMW. Zustande kam sie nicht, weil beide Konzerne für sich die Führung beanspruchten.

Eine zweite Variante wurde deshalb seit einigen Jahren kontrovers diskutiert: Die Fusion von KMW und dem französischen Konkurrenten Nexter, der auf der SIPRI-Rangliste Platz 74 einnimmt. Dagegen argumentierte unter anderem der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. In der FAZ schrieb er, die deutsche Seite laufe Gefahr, langfristig »untergebuttert zu werden«. Wie bei dem deutsch-französischen Airbus-Konzern könne es eine »Konzentration der wichtigen Entwicklungskapazitäten« in Frankreich geben. Es sei auch zu befürchten, dass deutsche Zulieferer Aufträge an die Konkurrenz im Nachbarland verlöre. Sollte, wie in politischen Kreisen Frankreichs zu vernehmen, Paris die KMW-Anteile an dem neuen Zusammenschluss übernehmen, verlöre Deutschland seinen »Spitzenplatz« im Panzerbau »unwiederbringlich«. »Europa« hin, »Europa« her: Auf nationale Vorteile zu verzichten, in bei aller »europäischen« Lyrik in Berlin nicht vorgesehen.

KMW und Nexter sind dennoch verschmolzen. Beide Seiten halten jeweils 50 Prozent an der Holding »Newco« mit Sitz in Amsterdam. Nexter bringt den größeren Umsatz in die Holding ein, muss aber auf die Ausgleichszahlungen verzichten, die Paris dafür eigentlich gewünscht hatte. Beide Seiten teilen sich die Führung des neuen Konzerns, der mit mehr als 6.000 Beschäftigten einen Umsatz von gut zwei Milliarden Euro erwirtschaftet und Aufträge im Wert von rund neun Milliarden Euro in den Büchern hat. Damit gelingt »Newco« der Sprung auf Platz vier in der Rangliste der größten Heereslieferanten – und damit der ersehnte Aufstieg in die erste Liga.

Das macht den Zusammenschluss auch aus Sicht der Bundesregierung attraktiv. Zumal man französische Einflussgewinne im Unternehmen nicht kampflos hinnehmen muss: Berlin hat angekündigt, die Modalitäten der Fusion sorgfältig zu überprüfen. Und damit der deutschen Regierung nicht die Zügel entgleiten, will sie im Herbst eigens einen Rüstungs-Staatsvertrag mit Frankreich schließen. Dieser soll den Abfluss von »Schlüsseltechnologien« in das Nachbarland verhindern, wenn sich wieder etwas an den Eigentümerstrukturen ändern sollte.

Die »europäischen« Fusionspläne sind noch lange nicht ausgereizt. So könnte Rheinmetall stärker eingebunden werden, und es wird auch über einen möglichen Beitritt der Panzersparten von Finmeccanica (Italien) und von

BAE Systems (Großbritannien) zu »Newco« spekuliert.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. August 2915


Neuer "Leo" braucht Uranmunition

Kampfpanzer aus deutsch-französischer Produktion werden wohl mit geächteter Munition schießen

Von Jörg Kronauer **


Zu den ersten Aufgaben, die »Newco«, übernehmen soll, gehört der Bau eines neuen Kampfpanzers. Der Leopard 2 und der Leclerc kommen in die Jahre; eine neue Panzergeneration muss her. Berlin und Paris planen dafür schon seit Jahren ein Gemeinschaftsprojekt. In der »Absichtserklärung über neue Perspektiven für die deutsch-französische Rüstungskooperation«, die die Verteidigungs-Staatssekretäre Deutschlands und Frankreichs am 14. Juni 2012 in Paris unterzeichneten, hieß es, man strebe eine gemeinsame »Vorbereitung der nächsten Generation von Bodenkampfsystemen« an. Mittlerweile sind, wie Staatssekretär Markus Grübel im Mai in einem Schreiben an den Verteidigungsausschuss des deutschen Bundestags mitteilte, »im Rahmen einer deutsch-französischen Kooperation Fähigkeitsforderungen an ein Nachfolgesystem« für den Leopard 2 »hergeleitet und abgestimmt« worden. Bis 2018 werden nun »Technologien und Konzepte« detailliert untersucht. Für die 2020er Jahre – oder auch später – ist die Einführung des neuen Kampfpanzers geplant.

Das Modell, an dem sich die Panzerplaner abarbeiten müssen, ist der neue russische »T-14 Armata«. Denn zum einen avanciert Russland derzeit zum Sandkastengegner Nummer eins; zum anderen zählt der T-14 Armata bereits zur nächsten Panzergeneration. Moskau hat also die Nase vorn. Umso mehr wird »Newco« sich anstrengen müssen. Bezüglich der Munition für den neuen Panzer hat kürzlich Hans Rühle, von 1982 bis 1988 Leiter des Planungsstabs im Bundesverteidigungsministerium, eine bemerkenswerte Äußerung getätigt. Die Munition DM63, »eine Pfeil-Munition auf Wolframbasis«, die der Leopard 2 verschieße, reiche nicht mehr aus, um »die neueren Varianten der T-80- und T-90-Panzer zu durchschlagen«, schrieb Rühle in der Welt. Das gelte »wohl umso mehr« für den neuen T-14 Armata. Es müsse also eine Lösung her. Bereits in den 1980er Jahren sei man im Verteidigungsministerium aufgrund ähnlicher Probleme zu dem Schluss gekommen, die Bundeswehr müsse »schnellstmöglich mit Pfeil-Munition auf der Basis abgereicherten Urans ausgerüstet werden«, die jeden Panzer durchschlage. Man habe das damals nur wegen erwarteter Proteste aus der Friedensbewegung unterlassen. Soll also Uranmunition her? Man wird sehen. Der französische Konzern Nexter jedenfalls hat zumindest zeitweise Uranmunition produziert und Erfahrung mit dem Material.


Strategiepapier: Konzentration im EU-Rüstungssektor

Von Jörg Kronauer **

Die KMW-Nexter-Fusion könnte sich zum Modell für weitere Zusammenschlüsse in der EU-Rüstungsindustrie entwickeln. Die Bundesregierung fordert jedenfalls in ihrem »Strategiepapier zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland« vom 7. Juli 2015 »eine verstärkte industrielle Konsolidierung (...) in der nationalen und europäischen Verteidigungswirtschaft«. Nach wie vor seien die Waffenschmieden in Europa »national ausgerichtet und stark fragmentiert«, heißt es in dem Dokument: Man leiste sich etwa »einen intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugprogrammen und eine starke Konkurrenz im Überwasser- und Unterwasserbereich«, aber auch »den ›Luxus‹ zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge«. Dies verursache »unbefriedigende Kostenstrukturen«, unnötig hohe »Belastungen für die nationalen Verteidigungshaushalte« sowie »Nachteile im internationalen Wettbewerb«. Dagegen helfe nur eine engere Konzentration. Entsprechend heißt es weiter: »Die Bundesregierung setzt verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen« – zum Beispiel KMW und Nexter.

Freilich soll all dies »unter Wahrnehmung der nationalen Interessen« geschehen, konstatiert die Bundesregierung ausdrücklich in ihrem Strategiepapier. Dazu hat sie in dem Dokument »nationale verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien« aufgelistet – Technologien, die um jeden Preis in nationaler Verfügung gehalten werden sollen. Zu ihnen zählen »Technologiefelder« in den Bereichen »Führung«, »Aufklärung«, »Unterstützung« und »Wirkung«; unter anderem führt das Papier »gepanzerte Fahrzeuge« auf. Wie passt das mit dem aktuellen Zusammenschluss von KMW und Nexter zusammen, der ja mit sich bringt, dass der nächste Kampfpanzer für die Bundeswehr nicht mehr überwiegend in Deutschland, sondern zumindest annähernd paritätisch in Deutschland und Frankreich produziert wird? Die Praxis wird es zeigen müssen. In ihrem neuen Strategiepapier erklärt die Bundesregierung, die Verfügung über die »Schlüsseltechnologien« sei »gegebenenfalls auch in Abstimmung und Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern« zu garantieren. Newco wird wohl die Probe aufs Exempel, ob und wie das funktioniert.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. August 2915




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