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Die Geschenke vom Platz des Friedens 15

Stress im Bundeswehrdepot in Warenshof: Waffenpacken für Kurden in Nordirak

Von René Heilig *

Grundgesetzartikel 87a verbietet Waffenlieferungen nach Irak. Die Regierung rüstet dennoch Kurden gegen islamische Terroristen aus. Waffen für den Frieden? An der Müritz werden sie verpackt.

Die Merkel ist schuld! Oder die verdammten Terroristen in Irak. Oder einfach die Tatsache, dass er, Christian Westendorf, geboren in Wismar, 1994 zur Bundeswehr gegangen ist. Doch ganz ungeschickt scheint er sich nicht angestellt zu haben, sonst wäre er jetzt nicht Oberstleutnant und Chef von vier Bundeswehrdepots. Die sind in Rechlin, Waren, Zeithain, Krugau angesiedelt. Und in einem »brennt die Luft«. Doch statt dass er hier in Warenshof, einem Ortsteil von Waren, seinen Leuten Hindernisse aus dem Weg räumt, muss er Presseleuten »den Umfang der logistischen Leistung« verdeutlichen, die notwendig ist, um Angela Merkels Versprechen vor der Welt und den Peschmerga-Kurden einzulösen. Das heißt: Waffen liefern nach Irak.

Eigentlich ist das 68 Hektar große Gelände nahe der Müritz, das einst eine Marineschule der Nazis und später ein Materiallager der DDR-Seestreitkräfte war, »hektikfrei«. Klar, mit den zunehmenden Auslandseinsätzen, die die Bundeswehr absolviert, »musste man sich schon ein wenig schneller drehen«. Doch in der Routine lag die Kraft. Wareneingang, Lagerung, Warenausgang. Alles auflisten, alles dokumentieren. Alles, was in den 27 Lagerhallen – drei davon sind mit einer Erdschicht bedeckt – und auch das, was auf 5808 Palettenlagerplätzen, in 67 345 Fachregalen und auf den Freiflächen abgelegt oder abgestellt ist, ist »nachweispflichtig«. Im Grunde, so sagt einer der dort arbeitenden drei Soldaten, »müssen sie sich das vorstellen wie bei REWE oder Aldi«. Die anfallenden Arbeiten werden in der Regel auch von zivilen Mitarbeitern erledigt. Allenfalls die sogenannte Materialerhaltung mache einen Unterschied zu den Lebensmitteldiscountern, sagt der Feldwebel.

Und so hektikfrei wäre das auch weitergegangen. Wäre da nicht der gut 3000 Kilometer entfernte Irak, wo die aus Syrien kommenden Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) der Armee des Irak das Rennen gelehrt und so rasch riesige Geländegewinne erzielt hatten. Die Männer unter der schwarzen Fahne begannen Menschen, die den »falschen« Glauben leben, zu vertreiben. Mehrfach berichtet wird von einer Art Blutrausch der Angreifer. Insbesondere die Jesiden flohen mit dem Wenigen, das sie tragen konnten durchs Gebirge, hin zu den Stellungen der kurdischen Peschmerga-Soldaten. Sie wissen, wie wenig willkommen sie dort vielen sind. Doch hoffen sie auf Hilfe vor allem aus dem Ausland. Deutschland hilft. Das Kabinett fasste Beschlüsse zur humanitären Hilfe. Lebensmittel und Decken stellte man zusammen. Doch die IS-Truppen kamen weiter voran. Also beschloss die deutsche Regierung, der Kurdenarmee, die als einzige Streitmacht in Irak die Stellung hielt, sogenannte nichtletale Ausrüstungen zu schicken. Im Bundeswehrdepot an der Müritz wurde es hektisch. Man sammelte die militärischen Güter aus verschiedenen Teilen des Landes, fuhr sie nach Leipzig. Von dort starteten Maschinen in den Nordirak. An Bord: Verbandspäckchen, 4000 Gefechtshelme, ebenso viele Schutzwesten, Nachtsichtgeräte, Funkgeräte und Minensuchgeräte.

Keine Waffen. Das Nein der Kanzlerin klang energisch. Doch schon zu diesem Zeitpunkt hatte ihr Außenminister, der SPD-Mann Frank-Walter Steinmeier, das Tor für die Lieferungen »robusterer Güter« geöffnet. Man werde bei der Unterstützung der Kurden bis an die Grenze des politisch und juristisch Machbaren gehen. Und als hätte es ihr Nein nie gegeben, setzte sich Merkel von einem Tag auf den anderen für Waffenlieferungen ein. An einem Sonntagabend vor drei Wochen legte Merkels Unionsfreundin, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, eine lange Liste vor: Insgesamt will man 8000 G 3- und ebenso viele G 36-Sturmgewehre, 8000 P 1-Pistolen, 40 MG-3-Maschinengewehre sowie 240 Panzerfäuste und 30 Werfer für »Milan«-Panzerabwehr-Raketen liefern. Dazu kommen einige Millionen Schuss Munition, 500 Lenkraketen, 10 000 Handgranaten sowie über einhundert geländegängige Fahrzeuge, darunter fünf Dingo-Radpanzer. Sammelpunkt – das Lager in Warenshof.

Als erste von drei Tranchen hat man dort 4000 G 3-Sturm- und 20 Maschinengewehre verpackt. Dazu 4000 Pistolen, 30 Milan-Panzerabwehr-Lenkraketen, Panzerfäuste verschiedener Art, Signalpistolen. Wolf-Geländewagen und Unimog-Lkw stehen in Paradeaufstellung noch mit dem Dreck von Übungsplätzen. In einer Halle daneben sind 15 Feldküchen eingepackt, die ersten 75 von insgesamt 125 Zelten werden stündlich erwartet.

In dieser Woche sollen die Lufttransporte der ersten Tranche vom Leipziger Frachtflugplatz aus beginnen. Noch am Wochenende wusste die Bundeswehrführung nicht, ob man am 23. oder am 24. September fliegen kann. Und vor allem, womit. In die deutschen Transall-Maschinen könnte man pro Langstreckenflug nur rund fünf Tonnen Nutzlast einladen. Eine An-124 der SALIS-Kooperationsgemeinschaft könnte bei einem Flug 80 Tonnen über Bagdad nach Erbil schaffen. Doch das russisch-ukrainische Unternehmen ist offenkundig im Stress. Schließlich bewältigt es mit den Riesenmaschinen auch einen Gutteil dessen, was von der Bundeswehr aus Afghanistan heimgebracht wird. Möglicherweise haben die USA ja noch freie Frachtkapazitäten, hört man von in Wilhelmshaven stationierten Logistikexperten der Bundeswehr.

Umfragen besagen, dass die deutsche Bevölkerung höchst uneins ist in Sachen Irak-Geschenke. Zelte? Nein, die sind kein Streitfall. Der Winter kommt auch in den Nordirak. Feldküchen? Das hält man für eine gute Idee. Ist es auch, denn in drei Stunden lässt sich mit einer »Gulaschkanone« Suppe für 600 Hungrige zubereiten. Umstritten dagegen ist die Lieferung von Waffen und Munition, die übrigens in einem Lager in Nordrhein-Westfalen versandfertig gemacht wird. »Wenn es von etwas genügend gibt in Irak, dann sind das Waffen«, sagt der Linksfraktions-Außenpolitiker Jan von Aken. Der einstige UN-Waffeninspekteur hat sich angeschaut, was in Warenshof verladen wird und er weiß im Gegensatz zu vielen seiner Bundestagskollegen, wovon er redet. Ja, der Vormarsch der Radikalislamisten in Irak und Syrien sei furchterregend. Ja, er droht die ganze Region vollends zu destabilisieren. Doch das sei, so sagt van Aken, auch die Schuld der Bundesregierung und der NATO. »Viel zu lange haben sie ein doppeltes Spiel betrieben, die Golfstaaten Katar und Saudi-Arabien und damit Länder hochgerüstet, die die islamistischen Terroristen offensiv unterstützen.«

Aken wird wie alle, die Waffenlieferungen höchst skeptisch gegenüberstehen oder sie grundsätzlich ablehnen, nach Alternativen gefragt. Den Terroristen, die von einer fanatischen Mordgier getrieben scheinen, ist mit Sprüchen über das Völkerrecht nicht beizukommen. Und mit dem G 3?

In einer Lagerhalle hat man einige Transportcontainer geöffnet. Zwischen Papplagen und eingepackt in Plastik sind die Waffen gestapelt. Soldaten, die man aus der Gegend von Schwerin herbeigerufen hat, erklären geduldig die Funktion jeder Waffenart. Die Gewehre tragen das Fertigungszeichen von Heckler&Koch. Die Firma hat ihren Sitz im Schwarzwald. Doch nicht nur dort hat man das G 3, das seit 1997 langsam von den G 36-Waffen aus dem Bestand der Bundeswehr verdrängt wird, gebaut. Lizenzen wurden weithin verstreut.

Ein »Erklärfeldwebel« hat wie alle unteren Chargen sein Namensschild von der Tarnuniform abgemacht. Übertriebene Vorsicht? Der junge Mann reagiert mit Schulterzucken und ist über die Frage erstaunt, ob er sich vor so einem Gewehr fürchten würde. »Wieso? Wenn man damit umgehen kann, ist es doch sicher«, antwortet er. Der Einwand, andere, Feinde womöglich, könnten auch mit dem G 3 umgehen, macht den jungen Panzergrenadier, der bereits dreimal im Auslandseinsatz war, für einen Augenblick stumm. »Hoffen wir mal ...«, sagt er und dann: »Das G 3 ist ein automatischer Rückstoßlader, Kaliber 7,62 Millimeter. Maximale Kampfentfernung 300 Meter...«

Dieselbe Frage an Oberstleutnant Klaus Brandel. Er macht im Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern die Informationsarbeit und hat sich natürlich vor dem Termin in Waren selbst umfangreich informiert. »Die Empfänger müssen unterschreiben, dass sie die von Deutschland gelieferten Waffen nicht weitergeben, ohne zuvor offiziell um Erlaubnis zu fragen.«

Perfekt. Alles dokumentiert. Endverbleibsklausel, Wareneingang, Warenausgang. Als Absender auf dem Lieferzettel ist vermerkt: Materialdepot Müritz, Platz des Friedens 15.

* Aus: neues deutschland, Montag 22. September 2014


Ausbildung in Hammelburg

Kurdische Kämpfer ab heute an Bundeswehrschule

Seit Wochen fliegen US-Kampfjets Angriffe gegen mutmaßliche Stellungen der islamistischen Terrormilizen in Irak. Nun greifen auch französische Kampfjets an. Andere Länder haben Jagdbomber und logistische Hilfe angeboten. Doch die Truppen des »Islamischen Staates« (IS) dringen weiter vor. In Irak und in Syrien, wo die Regierungstruppen wie die mit ihnen verfeindeten Einheiten der Freien Syrischen Armee gegen die Islamisten kämpfen. Mit wenig Erfolg, denn an der Grenze zur Türkei überrannten IS-Kommandos abermals mehrere Dörfer.

In dieser Woche beginnt eine erste Gruppe kurdischer Peschmerga-Kämpfer in Deutschland mit der Ausbildung. Zunächst zwanzig Mann sollen ab Montag an der Infanterieschule der Bundeswehr in Hammelburg lernen, kompliziertere Waffensysteme wie die Panzerabwehrrakete »Milan« zu beherrschen. Pikantes Detail am Rande: Der Verteidigungsausschuss des Parlaments hat just dort jetzt eine auswärtige Sitzung angesetzt. In der Politik sind Bilder entscheidend.

Zehn weitere Peschmerga-Soldaten werden nach Galstedt unweit von Bremen gebracht, um in die Bedienung von Feldküchen eingewiesen zu werden. Man hofft, dass sich die Soldaten nach der Rückkehr in ihre Heimat als Multiplikatoren bewähren.

Dorthin ist auch eine erste Gruppe von deutschen Fallschirmjägern geschickt worden: Sechs Mann plus Sanitäter. Sie sollen vor Ort die Ausbildung an den anderen Waffen übernehmen. Was angeblich gar nicht so schwer ist. »Rohr auf Griffstück stecken, zielen, abdrücken«, sagt ein Ausbilder, der in Warenshof die Handhabung einer Panzerfaust demonstriert. »Steht alles auf dem Rohr, Schritt für Schritt.« Den Einwand, dass wohl wenige kurdische Frontsoldaten der deutschen Sprache mächtig sind, lächelt der gestandene Feldwebel weg und zeigt auf Piktogramme.

So einfach ist Krieg? Die Bemerkung provoziert als Antwort: »Treffen muss man üben.« Der Zeitsoldat bestätigt: Wer mit so einem Ding schießt und das Ziel verfehlt, hat in der Regel keinen zweiten Versuch.

Und dann ist da noch die Frage: Darf die Bundeswehr Soldaten in ein Kriegsgebiet schicken, ohne das Parlament zu befragen? Ja, sagt die Regierung, es handelt sich ja nicht um einen bewaffneten Auslandseinsatz. Nein sagt die Opposition und verweist darauf, dass sich die Koalition auch die Entsendung von Bundeswehrausbildern nach Mali parlamentarisch absegnen ließ. hei

(neues deutschland, Montag 22. September 2014)




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