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"Von den Nachbestellungen profitiert Heckler & Koch"

DFG-VK: Waffenlieferung in den Irak soll aktiv be- oder verhindert werden. Linke zur Organklage aufgerufen. Ein Gespräch mit Jürgen Grässlin *


Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK).


Die Bundesregierung hat Waffenlieferungen in den Nordirak beschlossen, um den Kampf gegen den »Islamischen Staat« zu unterstützen. Die DFG-VK ruft zu Widerstand dagegen auf. Warum?

Der Beschluß geht auf eine interne Sitzung der Kanzlerin mit vier Ministern zurück, nicht aber auf einen Regierungsbeschluß. De jure verstoßen diejenigen, die den Beschluß gefaßt haben, sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen das Völkerrecht, zumal kein Mandat der Vereinten Nationen vorliegt. Die UN hat vielmehr ein bindendes Waffenembargo gegenüber dem Irak erlassen, das mit den Kriegswaffenlieferungen Deutschlands und anderer Staaten gebrochen werden würde.

Der ehemalige Vorsitzende des Bundesausfuhramtes, Olaf Simonsen, verweist nachdrücklich auf den Völkerrechtsbruch. Artikel 25 des deutschen Grundgesetzes regelt, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Und Artikel 26 legt zu Recht fest, daß »das friedliche Zusammenleben der Völker« gefördert werden muß. Das Gegenteil praktizieren Kanzlerin Merkel und ihre Minister.

Können Sie dagegen juristisch vorgehen?

Wir wollten als DFG-VK Strafanzeige gegen die Bundesregierung stellen. Doch die deutsche Rechtslage hierzu ist absurd: Ein grundgesetz- und völkerrechtswidriges Verhalten der Regierung findet im deutschen Strafrecht keine Normierung. Daher ist es nicht möglich, die Bundesregierung trotz fundamentaler Rechtsverletzungen anzuzeigen. Bleibt nur die Option, daß eine Oppositionsfraktion dagegen Organklage erhebt. Für mich unverständlich haben Linke und Grüne dies in Bezug auf die Waffenlieferungen in den Nordirak bis heute nicht getan.

Wozu rufen Sie konkret auf?

Wir fordern dazu auf, die Waffenlieferungen in den Irak aktiv zu be- und verhindern. Das kann auf viele Arten passieren. Die Kanzlerin und ihre Minister müssen ihren Entscheid zurücknehmen. Alle sonst an der Ausfuhr der Kriegswaffen Beteiligten – zum Beispiel aus Politik, Bundeswehr und Zoll – könnten die entsprechenden Arbeitsunterlagen liegen lassen, andere Papiere bearbeiten, sich krank melden oder die Auslieferung dieser Kriegswaffen aus Gewissensgründen verweigern. Um den nötigen Druck zu erzeugen, bitten wir die Friedens- und Antikriegsbewegung, den DFG-VK-Aufruf zu unterzeichnen. Auch im Wissen, daß schon Menschen, die solche Aufrufe mitgetragen haben, juristisch verfolgt worden sind. Behörden gingen gegen die Friedensbewegung vor – nicht gegen diejenigen, die Kriege vorbereiten und führen. Wir gehen aber nach intensiver juristischer Beratung davon aus, daß wir mögliche Prozesse infolge des Aufrufs gewinnen würden.

Die einen bekommen Waffen, andere prinzipiell nicht. Wonach bewertet die Bundesregierung, in welches Kriegsgebiet und an wen Waffen geliefert werden dürfen?

Spannende Frage, die an die Bundesregierung zu richten wäre. Wenn die Vorgabe jetzt lautet, Kriegswaffen an die Peschmerga zu liefern, ist schon mal unsicher, daß alle 16000 G3- und G36-Sturmgewehre, Raketen und Handgranaten sowie acht Millionen Schuß Munition die geplanten Empfänger im Nordirak erreichen. Die Waffen sollen über die irakische Regierung geliefert werden, die in heftigem Disput mit den Peschmerga steht – unter anderem hat Bagdad Öllieferungen seitens der Kurden nicht bezahlt.

Wenn die Waffen im Nordirak ankommen, stellt dieser Rüstungsexport einen folgenschweren Präzedenzfall mit negativer Vorbildfunktion für kommende Anfragen dar. Denn Deutschland beliefert erstmals in der Geschichte nicht einen Staat mit Kriegswaffen, sondern eine kämpfende Einheit. Kriegerische Auseinandersetzungen unter Kurden und mit der Türkei sind quasi programmiert. In einem Dominoeffekt tun sich zahlreiche weitere Probleme auf. Ankara wird die Gründung eines autonomen Kurdenstaats verhindern wollen und ebenfalls deutsche G3-Gewehre einsetzen. Von den Nachbestellungen profitiert Heckler & Koch.

40 Fallschirmjäger der Bundeswehr sollen im Nordirak Peschmerga ausbilden.

Auslandseinsätze der Bundeswehr bedürfen eines Bundestagsbeschlusses. Selbst wenn dieses Mandat vorläge, erfolgt ein weiterer Schritt in Richtung Kriegsbeteiligung Deutschlands. Schon mit den Waffenlieferungen wird die Bundesrepublik definitiv zur Kriegspartei. Die Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland steigt immens.

Interview: Ben Mendelson

* Aus: junge Welt, Dienstag 16. September 2014


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