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Geist der Kurden ist aus der Flasche

Mit den Waffen an die Peschmerga liefert Deutschland auch Argumente für einen unabhängigen Kurdenstaat

Von Uwe Kalbe *

Ein kurdischer Staat scheint mögliche Folge des Bürgerkrieges in Irak und Syrien zu sein. Die politischen Akteure in Deutschland stehen der Entwicklung zurückhaltend bis hilflos gegenüber.

Einen kleinen Augenblick lang schien alles möglich – sogar die Rehabilitierung der kurdischen Arbeiterpartei PKK, ihre Belieferung mit deutschen Waffen. Seit 1993 ist die PKK in Deutschland verboten, seit 2002 steht sie auf der Terrorliste der EU. Als Andreas Schockenhoff am letzten Wochenende in Erbil unter dem Eindruck von 300 000 Flüchtlingen, die in der kurdischen Stadt in Nordirak provisorische Zuflucht gefunden haben, von möglichen Waffenlieferungen Deutschlands an die PKK sprach, öffnete er damit eine gedankliche Tür, die bisher fest verschlossen war. PKK-Kampfverbände hatten sich bei der Abwehr der Angreifer des Islamischen Staates (IS) in Irak hervorgetan, hatten einen Korridor freigekämpft zur Evakuierung Tausender jesidischer Flüchtlinge aus dem Sindschar-Gebirge. Auch wenn Schockenhoff, immerhin Fraktionsvize der Union im Bundestag und Außenpolitikexperte, Bedingungen an die PKK formulierte – vor allem die einer staatlichen Einheit Iraks – war die Überlegung doch geradezu unerhört, wenn man allein ihre Wirkungen auf den NATO-Partner Türkei in Betracht zieht, mit dessen Institutionen die PKK einen jahrzehntelangen Kampf führt.

Die Unsicherheit hielt nicht lange an. Schon am Sonntag schob die Bundeskanzlerin allen weiteren Spekulationen einen Riegel vor. An die PKK werde es keine Waffenlieferungen geben. Es gebe die »ganz klare Regelung«, dass Waffen in den Irak nur geliefert würden, wenn die irakische Zentralregierung einverstanden sei. »Die PKK kommt in diesem Zusammenhang nicht in Frage als Empfänger von Waffen«, sagte Angela Merkel im ARD-Sommerinterview.

Doch ist der Geist wieder in die Flasche zu kriegen? Ein souveräner kurdischer Staat im Norden Iraks ist zumindest keine abwegige Vorstellung mehr, er könnte Folge der jetzigen Entwicklungen sein. Und er scheint in Deutschland auch auf Sympathien zu stoßen. CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann sprach sich für einen solchen aus: Der irakische Zentralstaat habe sich als instabil erwiesen, sei nicht in der Lage, Sicherheit und Ordnung im Lande zu gewährleisten; im Gegensatz dazu habe sich das autonome Kurdengebiet als politisch und ökonomisch stabil erwiesen, sagte Wellmann der »Welt«.

Doch welche Wirkung eine solche Entwicklung auf die Kurden in den benachbarten Gebieten der Türkei, Syriens und Irans hätte, kann niemand genau beantworten. Sicher ist einerseits, dass die verschiedenen Kurdenparteien – auch in Nordirak – tief zerstritten sind. In den 90er Jahren führten die beiden Hauptfraktionen der nordirakischen Kurden einen blutigen Bruderkrieg, in den auch die PKK zeitweilig einbezogen war. Andererseits verändern Waffenlieferungen nicht nur die militärischen Kräfteverhältnisse in der Region, sondern sind auch eine Geste, die nicht ohne Folgen auf das politische Gewicht der Unterstützten bleibt.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte sich vor zehn Tagen noch gegen einen Kurdenstaat ausgesprochen. Dieser würde die Region destabilisieren und neue Spannungen hervorrufen, »möglicherweise auch mit Nachbarstaaten des Irak«, so Steinmeier in der »Bild am Sonntag«. Zu diesem Zeitpunkt hielt er sich allerdings auch noch bedeckt zur Frage, ob Deutschland Waffen an die Kurden liefern solle. Diese Zurückhaltung ist mittlerweile einem Bekenntnis zu militärischer Unterstützung gewichen. Kein Wunder: Andere westliche Länder haben bereits mit Waffenlieferungen begonnen. Im Falle des Krieges gegen Libyen von 2011 haben Kritiker der schwarz-gelben Bundesregierung gern ins Feld geführt, dass deren Zurückhaltung einen Verzicht auf Einfluss in der Region nach sich gezogen habe.

Auch in der Linken ist die Haltung zu einem Staat der Kurden offen. Nachdem Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi mit einem Plädoyer für Waffenlieferungen aus Deutschland für kurzzeitige Verwirrung gesorgt hatte, spricht die Partei nun wieder mit einer Stimme. Doch auch zu einem Kurdenstaat? In der deutschen Linken der alten Bundesrepublik galten die Kurden lange als Sinnbild der nationalen Befreiungsbewegungen. Die PKK wurde als legitime Vertreterin des kurdischen Volkes in der Türkei unterstützt. Mit der zunehmenden Ächtung der PKK in der öffentlichen Meinung als terroristische beziehungsweise kriminelle Vereinigung und mit ihrer Aufnahme auf die Terrorliste der EU allerdings bröckelte die Unterstützung auch in der Linken.

Eine klare Befürworterin findet der Kurdenstaat etwa in der Berliner Linkspolitikerin Evrim Sommer. Sie spricht von einer großen Chance für den Nahen Osten. Gegenüber »nd« verweist sie, selbst Kurdin aus der Türkei, auf die Geschichte: Nach dem Ende des Osmanischen Reiches hätten Engländer und Franzosen den Kurden zunächst einen eigenen Staat zugesichert, später jedoch eine Staatsgründung verhindert. Die anschließende Zerstückelung des kurdischen Siedlungsgebiets präge bis heute die Konflikte im Nahen Osten. »Die deutsche Regierung muss sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass ein solcher Staat international anerkannt wird und Schutz bekommt«, sagt Evrim Sommer.

Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken, zeigt sich hingegen skeptisch gegenüber der Idee – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Auch wenn der Wunsch der Kurden nach einem eigenen Staat »völlig verständlich und gerechtfertigt« sei, würde dieser die Region destabilisieren und wäre ohne Einwilligung Bagdads völkerrechtswidrig, äußerte van Aken gegenüber »nd«. Außerdem weist er auf die Rolle der »erzkonservativen« Kurdenpartei KDP unter Masud Barzani hin, von dem der größte Drang einer staatlichen Unabhängigkeit ausgehe. Viele Kurden, so Jan van Aken, gerade in der Türkei und in Syrien, setzten jedoch vielmehr auf demokratische Rechte, Minderheitenschutz und Autonomie innerhalb der bestehenden Nationalstaaten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 28. August 2014


Ausgerechnet Albanien

Wettlauf um Waffenhilfe: Die deutsche Liste 1 steht

Von René Heilig **


Vor zwei Wochen habe er eine Arbeitsgruppe beauftragt, die Nachschublieferungen für die kurdischen Streitkräfte in Nordirak zu beschleunigen. Sieben weitere Nationen – Albanien, Kanada, Kroatien, Dänemark, Italien, Frankreich und Großbritannien – stellten benötigte Waffen und Ausrüstung zur Verfügung, erklärte der US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am Dienstag. Um darauf hinzuweisen, dass in den kommenden Tagen Beiträge weiterer Nationen erwartet werden.

Ausgerechnet Albanien! Deutschland, der treueste Verbündete der USA in Europa, steht im Schatten des kleinen Balkanstaates. Das muss jene, die in Bundeswehr- und womöglich auch in Depots der Bundespolizei nach Material suchen, das den Peschmerga-Kämpfern nützlich sein könnte, anspornen.

Doch das allein genügt nicht. Es ergibt nur Sinn, Kriegsmaterial zu liefern, das in das Ausrüstungsprofil der kurdischen Kämpfer passt, ohne große Ausbildung leicht zu bedienen ist und zudem nicht übermäßig hilfreich sein kann, wenn nach dem möglichen Zurückdrängen der IS-Truppen zu einer neuen Runde Irak-Zerstücklung geläutet wird.

Bislang hat man folgende Bundeswehrmaterialien auf die Transportliste gesetzt: 4000 Gefechtshelme, ebenso viele Schutzwesten, die das Auswärtige Amt besorgt, rund 700 Funkgeräte vom Typ SEM 52 S, 680 Fernrohrgerätesätze Z 51, 20 ML-120-Metallsuchgeräte, 30 Minensonden, 40 Entschärfungswerkzeugkisten.

Wenn die Rede davon ist, dass die Kurden Toppmaterial benötigen, um gegen die mit modernen US-Waffen hochgerüsteten islamistischen Angreifer bestehen zu können, sorgen die Bundeswehrgeschenke für – gelinde gesagt – Nachdenklichkeit. Die Funkgeräte (Soldatenjargon: Ein-Kilo-Ziegelstein) sind bereits seit einem Jahrzehnt ausgemustert und Batterien nur teuer einzukaufen. Die Z 51-Nachtsichtgeräte kann man im Internet ersteigern. Doch kaum ein Förster würde dafür bieten. Die IOD- und IED-Werkzeugkoffer dienen der manuellen Kampfmittelbeseitigung. Es fragt sich, ob die kurdische Armee genügend Feuerwerker hat und ob die sich im Gefecht mit dem herkömmlichen Entschärfen von Granaten und Minen aufhalten wollen. Positiv an diesem Geschenk ist: Man kann es auch zur Reparatur kaputter Wasserleitungen einsetzen.

Kurzum, Deutschland will überzähliges militärisches Lagergerät loswerden. Es ist nicht unbrauchbar, doch wären Hilfsgüter für die Flüchtlinge als Ladung der Bundeswehrmaschinen um ein Vielfaches gescheiter. Unionsfraktionschef Volker Kauder, der gerade aus der Kurdenhauptstadt Erbil zurückgekehrt ist, verweist zurecht darauf, dass derzeit bis zu 1,4 Millionen Flüchtlinge in ein Gebiet geströmt sind, in dem üblicherweise fünf oder sechs Millionen Menschen wohnen. »Es kommt bald der Winter und da müssen zusätzliche Maßnahmen getroffen werden«, mahnt Kauder im Deutschlandfunk. Das sei »eine gigantische Herausforderung, die Deutschland allein nicht leisten kann«. Europa müsse helfen. 200 bis 300 Millionen Euro seien notwendig. Und doch will Kauder jetzt vor allem Waffen liefern. Am Wochenende beschließt die Bundesregierung, welche Waffen – vor allem panzerbrechende – man zum bisher gestapelten Gerät hinzuladen will.

Viel mehr hat Deutschland ohnehin nicht zu bieten. Was die Peschmerga-Einheiten wirklich an Nachschub brauchen können, stellt das kleine Albanien passgerecht bereit. In den Land lagern sowjetische und chinesische Waffen samt Munition für mehr als nur einen Krieg.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 28. August 2014


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