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"Die Vereinigten Staaten wollen ein starkes, friedliches und wohlhabendes Russland"

President Obama in Russia: A New Start / Obamas Besuch in Moskau: Die Rede in der Rossiyskaya Ekonomicheskaya Shkola im Wortlaut (deutsch)

President Obama in Russia: A New Start

The United States and Russia have started a constructive dialogue toward a goal of few nuclear weapons, a world without fear from terrorism, a stronger global economy, and peace and stability in the Middle East.
Yesterday, the Presidents of the two countries came together to begin putting what President Obama calls a “reset” of relations into concrete action. Today, President Obama spoke at the graduation of the New Economic School and laid out his broad vision for a new relationship, saying there is "extraordinary potential for increased cooperation between Americans and Russians."
Remarks by President Obama at the New Economic School Graduation (July 7) (English):
www.america.gov


Präsident Obama spricht in Moskau - Rede des Präsidenten

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von US-Präsident Barack Obama bei der Abschlussfeier der Rossiyskaya Ekonomicheskaya Shkola (New Economic School) im Gostiny-Dvor-Markt in Moskau am 7. Juli 2009. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte der Amerika Dienst. Die Zwischenüberschriften haben wir selbst eingefügt (AGF).

Vielen herzlichen Dank. Herzlichen Glückwunsch, Oxana. Ich gratuliere der ganzen Abschlussklasse 2009. Ich weiß nicht, ob noch jemand seine zukünftige Frau oder seinen zukünftigen Mann während des Studiums treffen wird so wie ich, aber ich bin mir sicher, dass Sie alle eine wunderbare Karriere vor sich haben.

Ich möchte einigen hier Anwesenden danken. Präsident Mikhail Gorbatschow ist heute hier, und ich möchte, dass wir ihm einen großen Applaus spenden. Ich danke Sergei Gurief, dem Direktor der New Economic School (NES), Max Boiko, dem Vorstandsvorsitzenden und Arkady Dvorkovich, der Mitglied des Vorstandes der NES und Präsident der Alumni-Organisation ist und herausragende Arbeit für Präsident Medwedew leistet. Er war gestern bei unserem Treffen dabei.

Guten Morgen. Es ist mir eine Ehre, heute bei Ihnen in der New Economic School zu sein. Michelle und ich freuen uns sehr, in Moskau zu sein. Und als jemand, der in Hawaii geboren wurde, freue ich mich, dass dieser Besuch im Juli und nicht im Januar stattfindet.

Ich weiß, dass die NES eine junge Schule ist, aber ich spreche heute mit tiefem Respekt vor dem zeitlosen Erbe Russlands zu Ihnen. Russische Schriftsteller haben uns geholfen, die Komplexität der menschlichen Erfahrungen zu verstehen und immerwährende Wahrheiten zu erkennen. Russische Maler, Komponisten und Tänzer haben uns in neue Formen der Schönheit eingeweiht. Russische Wissenschaftler haben Krankheiten geheilt, mit ihren Fortschritten unseren Horizont erweitert und uns geholfen, in den Weltraum zu fliegen.

Das sind Beiträge, nicht an den Grenzen Russlands Halt machen, so weit diese Grenzen auch sein mögen. In der Tat hat das russische Erbe jeden Winkel der Welt berührt und hat dabei Einfluss auf die uns allen gemeinsame Menschlichkeit. Das gilt auch für mein Land, das seit Jahrzehnten mit russischen Einwanderern gesegnet ist, von der russischen Kultur bereichert wird und von der Zusammenarbeit mit Russland profitiert. Und da ich in Washington lebe, profitiere ich auch weiterhin von den Beiträgen, die Russen leisten – besonders von Alexander Owetschkin. Wir sind sehr froh, ihn in Washington zu haben.

"Mit dem Ende des Kalten Krieges gingen außergewöhnliche Erwartungen einher"

Hier an der NES ist dieses große kulturelle Erbe an Sie weitergegeben worden, aber Ihre Konzentration auf die Wirtschaftswissenschaften ist nicht weniger ausschlaggebend für die Zukunft der Menschheit. Puschkin sagte: "Inspiration braucht man in der Geometrie ebenso wie in der Poesie." Und heute möchte ich vor allem jene unter Ihnen ansprechen, die bald ihren Abschluss machen werden. Sie sind bereit, Führungsrollen im akademischen Bereich und in der Industrie, im Finanzsektor und in Regierungen zu übernehmen. Bevor Sie jedoch damit beginnen, kann es nützlich sein, kurz innezuhalten und zu überlegen, was Sie in Ihrem jungen Leben bereits erlebt haben.

Wie Präsident Medwedew und ich sind Sie nicht alt genug, um die dunkelsten Stunden des Kalten Krieges erlebt zu haben, als Wasserstoffbomben in der Atmosphäre getestet wurden, Kinder zu Übungen in Strahlenschutzräume geschickt wurden und wir an der Schwelle zu einer nuklearen Katastrophe standen. Aber Sie sind die letzte Generation, die zur Welt kam, als diese noch geteilt war. Zu dieser Zeit standen sich die amerikanische und sowjetische Armee noch in Europa gegenüber, ausgebildet und bereit, zu kämpfen. Die ideologischen Gräben des vergangenen Jahrhunderts bestanden in groben Zügen. Wettbewerb in jedem Bereich, von der Astrophysik bis zur Leichtathletik, wurde als Nullsummenspiel betrachtet. Wenn einer gewann, musste ein anderer verlieren.

Und dann, innerhalb einiger kurzer Jahre, hörte die Welt, wie wir sie kannten, auf zu existieren. Täuschen Sie sich aber nicht: Dieser Wandel ging nicht von einer Nation allein aus. Der Kalte Krieg kam aufgrund der Handlungen vieler Länder über viele Jahre hinweg zu einem Ende, und weil die Menschen in Russland und Osteuropa sich erhoben und beschlossen, dass es ein friedliches Ende sein würde.

Mit dem Ende des Kalten Krieges gingen außergewöhnliche Erwartungen einher – Frieden und Wohlstand, neue Absprachen unter den Ländern und neue Chancen für jeden Einzelnen. Wie alle Zeiten großen Wandels war es eine Zeit ehrgeiziger Pläne und endloser Möglichkeiten. Aber natürlich laufen die Dinge nicht immer genauso, wie man sie plant. Im Jahr 1993, kurz nach der Eröffnung dieser Schule, fasste ein Student an der NES zusammen, wie schwierig Veränderungen sind, als er einem Reporter sagte: "Die reale Welt ist nicht so rational wie auf dem Papier." Die reale Welt ist nicht so rational wie auf dem Papier.

Nach zwei turbulenten Jahrzehnten hat sich diese Wahrheit überall auf der Welt erhärtet. Großer Wohlstand ist geschaffen worden, aber es gibt noch immer Regionen, die in erdrückender Armut leben. Armut gibt es hier, es gibt sie in den Vereinigten Staaten, und es gibt sie überall sonst auf der Welt. Mehr Menschen können wählen, aber zu wenige Regierungen schaffen es, die Rechte ihrer Bürger zu schützen. Ideologische Auseinandersetzungen sind seltener geworden, aber sie sind von Konflikten zwischen Stämmen, Ethnien und Religionen ersetzt worden. Ein Mensch mit einem Computer kann auf so viele Informationen zugreifen, wie sie die Russische Staatsbibliothek enthält, aber diese Technologie kann auch verwendet werden, um großen Schaden anzurichten.

In einem neuen Russland hat das Verschwinden der alten politischen und wirtschaftlichen Einschränkungen nach dem Ende der Sowjetunion sowohl Chancen als auch Nöte mit sich gebracht. Einige waren erfolgreich, aber noch mehr waren es nicht. Es gab schwere Zeiten. Aber die russischen Bürger zeigten Stärke und brachten Opfer, und Sie erzielten hart erkämpften Fortschritt durch eine wachsende Wirtschaft und mehr Selbstvertrauen. Und trotz der schmerzhaften Zeiten geht es vielen Menschen in Osteuropa und Russland heute viel besser als vor zwanzig Jahren.

Wir sehen diese Fortschritte hier an der NES – einer Schule, die mit westlicher Unterstützung gegründet wurde und heute unverkennbar russisch ist, einem Ort des Lernens und der Forschung, wo Ideen nicht darauf abgeklopft werden, ob sie amerikanisch oder russisch oder europäisch sind, sondern darauf, ob sie funktionieren. Wir sehen diesen Fortschritt vor allem in Ihnen allen – jungen Menschen, die ein junges Jahrhundert in ihrem Sinne prägen können.

"Welche Zukunft werden Russland und die Vereinigten Staaten miteinander haben?"

Ihr Leben fällt mit dieser Ära des Wandels zusammen. Aber denken Sie nur an die grundlegenden Fragen, die gestellt wurden, als diese Schule gegründet wurde. Was für eine Zukunft wird Russland haben? Welche Zukunft werden Russland und die Vereinigten Staaten miteinander haben? Welche Weltordnung folgt auf den Kalten Krieg? Auf diese Fragen gibt es noch immer keine eindeutigen Antworten, und daher müssen Sie nun von Ihnen beantwortet werden – von Ihrer Generation, in Russland, in den Vereinigten Staaten und überall auf der Welt. Sie entscheiden. Zwar kann ich diese Fragen nicht für Sie beantworten, aber ich kann doch offen über die Zukunft sprechen, wie die Vereinigten Staaten sie sich wünschen.

Zunächst möchte ich ganz unmissverständlich sagen: Die Vereinigten Staaten wollen ein starkes, friedliches und wohlhabendes Russland. Dieser Wunsch wurzelt in unserem Respekt vor der russischen Bevölkerung und in der gemeinsamen Geschichte unserer beiden Länder, die aus mehr besteht als aus gegenseitiger Konkurrenz. Trotz unserer Rivalität in der Vergangenheit waren unsere Bürger Verbündete im größten Kampf des vergangenen Jahrhunderts. Ich habe das kürzlich angemerkt, als ich in der Normandie war – denn genau wie Männer aus Boston und Birmingham alles, was sie hatten, riskierten, um diese Strände zu stürmen und die Klippen zu erklimmen, erduldeten sowjetische Soldaten aus Orten wie Kasan und Kiew unvorstellbare Not, um eine Invasion abzuwehren und im Osten das Blatt zu wenden. Präsident John Kennedy sagte dazu: "In der Kriegsgeschichte hat kein anderes Volk mehr gelitten als das russische während des Zweiten Weltkrieges."

Während wir diese Vergangenheit würdigen, erkennen wir auch die zukünftigen Vorteile, die sich aus einem starken und lebendigen Russland ergeben. Denken Sie nur an die Themen, die Ihr Leben bestimmen werden: Sicherheit vor Atomwaffen und Extremismus, Zugang zu Märkten und Chancen, Gesundheit und Umweltfragen, ein internationales System, das die Souveränität und die Menschenrechte schützt und gleichzeitig Stabilität und Wohlstand fördert. Diese Herausforderungen erfordern eine globale Partnerschaft, und diese Partnerschaft wird stärker sein, wenn Russland seinen rechtmäßigen Platz als Großmacht einnimmt.

Dennoch herrscht manchmal das Gefühl vor, dass alte Annahmen weiterhin die Oberhand haben, alte Denkmuster, ein Konzept der Macht, das mehr in der Vergangenheit begründet liegt als in der Zukunft. Es gibt die aus dem 20. Jahrhundert stammende Ansicht, dass die Vereinigten Staaten und Russland dazu bestimmt sind, Gegenspieler zu sein, dass ein starkes Russland oder ein starkes Amerika sich nur als Gegenspieler behaupten können. Und es gibt die aus dem 19. Jahrhundert stammende Sichtweise, dass wir dazu bestimmt sind, um Einflusssphären zu ringen und dass die Supermächte wettstreitende Blöcke bilden müssen, um ein Gleichgewicht zu schaffen.

Die Tage der Imperien sind vorbei

Diese Annahmen sind falsch. Im Jahr 2009 zeigen Großmächte keine Stärke, indem sie andere Länder beherrschen oder dämonisieren. Die Tage, in denen Imperien souveräne Länder wie Spielfiguren auf einem Schachbrett behandeln konnten, sind vorbei. Ich habe in Kairo gesagt, dass angesichts unserer gegenseitigen Abhängigkeit jede Weltordnung, die versucht, eine Nation oder Gruppe von Menschen über andere zu erheben, unweigerlich scheitern wird. Das Streben nach Macht ist kein Nullsummenspiel mehr – der Fortschritt muss geteilt werden.

Daher habe ich einen "Neustart" in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland gefordert. Dabei muss es sich um mehr als einen Neuanfang zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus handeln – obwohl dieser wichtig ist und ich hervorragende Gespräche mit Ihrem Präsidenten und Ihrem Ministerpräsidenten geführt habe. Vielmehr muss es fortwährende Bestrebungen zwischen Amerikanern und Russen geben, gemeinsame Interessen auszumachen und Dialog und Zusammenarbeit so zu fördern, dass Fortschritt möglich ist.

Das wird nicht einfach sein. Es ist schwierig, eine dauerhafte Partnerschaft zwischen ehemaligen Gegenspielern aufzubauen; es ist schwierig, Verhaltensmuster zu ändern, die seit Jahrzehnten in unseren Regierungen und Bürokratien bestehen. Aber ich bin der Meinung, dass Amerikaner und Russen bei den grundlegenden Themen, die dieses Jahrhundert prägen werden, gemeinsame Interessen haben, die eine Basis für die Zusammenarbeit bilden. Es ist nicht an mir, die nationalen Interessen Russlands vorzugeben, aber ich kann Ihnen von den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten berichten, und ich bin mir sicher, dass Sie sehen werden, dass wir etwas gemeinsam haben.

Die Vereinigten Staaten wollen die Verbreitung von Atomwaffen aufhalten

Erstens haben die Vereinigten Staaten ein Interesse daran, die Verbreitung von Atomwaffen aufzuhalten und ihren Einsatz zu verhindern. Im vergangenen Jahrhundert haben Generationen von Amerikanern und Russen das Vermögen geerbt, ganze Länder zu zerstören sowie die Einsicht, dass der Einsatz dieser Macht zu ihrer eigenen Zerstörung führen würde. Im Jahr 2009 haben wir etwas anderes geerbt. Sie und ich müssen uns nicht fragen, ob amerikanische oder russische Politiker ein Gleichgewicht des Schreckens respektieren werden – wir kennen die schrecklichen Konsequenzen eines jeden Krieges zwischen unseren beiden Ländern. Aber wir müssen uns eine Frage stellen: Wir müssen uns fragen, ob die Extremisten, die in New York und in Moskau unschuldige Zivilisten töteten, dieselbe Zurückhaltung zeigen würden. Wir müssen uns fragen, ob 10 oder 20 oder 50 mit Atomwaffen bewaffnete Länder ihre Arsenale schützen und davon absehen würden, sie einzusetzen.

Das ist der Kern der nuklearen Herausforderung im 21. Jahrhundert. Die Vorstellung, dass der Besitz dieser Waffen Prestige mit sich bringt oder dass wir uns schützen können, indem wir die Länder aussuchen, die diese Waffen besitzen dürfen, ist eine Illusion. In der kurzen Zeit seit dem Ende des Kalten Krieges haben wir bereits gesehen, wie Indien, Pakistan und Nordkorea Atomtests durchgeführt haben. Gibt es wirklich jemanden unter uns, der glaubt, dass in den nächsten zwanzig Jahren diese Atomwaffen nicht weiterverbreitet werden?

Aus diesem Grund sind die Vereinigten Staaten entschlossen, die Weiterverbreitung von Atomwaffen aufzuhalten und letztendlich eine Welt ohne Atomwaffen anzustreben. Das entspricht unseren Verpflichtungen im Rahmen des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen. Diese Verantwortung haben wir als die beiden führenden Atommächte der Welt. Und obwohl ich weiß, dass wir dieses Ziel nicht schnell erreichen werden, bildet unser Streben danach die rechtliche und moralische Grundlage, die Weiterverbreitung und den möglichen Einsatz von Atomwaffen zu verhindern.

"Medwedjew und ich haben Fortschritte dabei gemacht, einen neuen Vertrag auszuhandeln"

Wir haben bereits wichtige Schritte unternommen, um diese Grundlage zu schaffen. Gestern haben Präsident Medwedew und ich Fortschritte dabei gemacht, einen neuen Vertrag auszuhandeln, der die Anzahl unserer Sprengköpfe und Trägersysteme maßgeblich reduzieren wird. Wir haben unser Engagement für saubere, sichere und friedliche Atomkraft erneuert, auf die alle Nationen ein Recht haben müssen, die den Verpflichtungen des Nichtverbreitungsvertrags entsprechen. Und wir haben uns darauf verständigt, unsere Zusammenarbeit im Bereich der atomaren Sicherheit auszubauen. Das ist entscheidend, wenn wir das Ziel erreichen wollen, innerhalb von vier Jahren alle ungeschützten Nuklearmaterialien auf der Welt zu sichern.

Während wir unseren Verpflichtungen nachkommen, müssen wir andere Länder daran messen, ob sie dasselbe tun. Weder die Vereinigten Staaten noch Russland würden von einem nuklearen Wettrüsten in Ostasien oder im Nahen Osten profitieren. Aus diesem Grund sollten wir uns gemeinsam gegen die Bestrebungen Nordkoreas stellen, eine Atommacht zu werden, und gegen die Bestrebungen Irans, eine Atomwaffe zu erwerben. Ich freue mich, dass Präsident Medwedew und ich uns in der gemeinsamen Bewertung der Bedrohung einig geworden sind, die von ballistischen Flugkörpern im 21. Jahrhundert ausgeht, unter anderem von Iran und Nordkorea.

Dabei wollen wir nicht einzelne Länder herausgreifen – es geht uns um die Verantwortung aller Länder. Wenn wir es nicht schaffen zusammenzuarbeiten, werden der Nichtverbreitungsvertrag und der Sicherheitsrat an Glaubwürdigkeit verlieren, und das Völkerrecht wird dem Faustrecht weichen. Und das nutzt niemandem. Wie ich in Prag gesagt habe, müssen die Regeln verpflichtend sein, Verstöße müssen geahndet werden und Worte müssen etwas bedeuten.

Raketenabwehr hat nichts mit Russland zu tun

Die erfolgreiche Durchsetzung dieser Regeln wird Quellen für Meinungsverschiedenheiten beseitigen. Ich weiß, dass Russland gegen die geplante Konfiguration einer Raketenabwehr in Europa ist. Meine Regierung prüft diese Pläne, um die Sicherheit der Vereinigten Staaten, Europas und der Welt zu erhöhen. Ich habe deutlich gemacht, dass dieses System darauf abzielt, einen potenziellen Angriff aus Iran abzuwehren. Es hat nichts mit Russland zu tun. Vielmehr möchte ich mit Russland zusammen an einer Architektur zur Raketenabwehr arbeiten, die unser aller Sicherheit erhöht. Wenn die vom iranischen Atomprogramm und dem iranischen Programm für ballistische Flugkörper ausgehende Bedrohung beseitigt ist, ist auch die Motivation der Raketenabwehr in Europa hinfällig, und das ist in unserem gemeinsamen Interesse.

Zusätzlich zur Sicherung der gefährlichsten Waffen auf der Welt haben die Vereinigten Staaten noch das entscheidende nationale Interesse, gewalttätige Extremisten zu isolieren und zu besiegen.

Jahrelang haben die Al Kaida und ihre Verbündeten eine große Religion des Friedens und der Gerechtigkeit beschmutzt und skrupellos Frauen, Kinder und Männer aller Nationalitäten und Glaubensrichtungen ermordet. Tatsächlich haben sie vor allem Muslime ermordet. Und diese Extremisten haben in Amman und Bali, Islamabad und Kabul getötet, und an ihren Händen klebt das Blut von Amerikanern und Russen. Sie planen, noch mehr unserer Bürger zu töten und profitieren von Zufluchtsstätten, an denen sie ausbilden und operieren können – insbesondere entlang der pakistanisch-afghanischen Grenze.

Die Terroristen in Afghanistan und Pakistan schlagen

Und deshalb haben die Vereinigten Staaten ein klares Ziel: Die Al Kaida und ihre Verbündeten in Afghanistan und Pakistan zu spalten, zu zerschlagen und zu besiegen. Wir wollen keine Militärbasen einrichten und diese Länder auch nicht kontrollieren. Vielmehr wollen wir mit internationalen Partnern, Russland eingeschlossen, daran arbeiten, den Menschen in Afghanistan und Pakistan dabei zu helfen, sich Sicherheit und Wohlstand aufzubauen. Daher freue ich mich, dass Russland zugestimmt hat, den Vereinigten Staaten die Möglichkeit zu geben, unsere Koalitionsstreitkräfte über russisches Territorium zu versorgen. Weder die Vereinigten Staaten noch Russland haben ein Interesse an einem Afghanistan oder Pakistan, das von den Taliban regiert wird. Es ist Zeit, für eine andere Zukunft zusammenzuarbeiten: eine Zukunft, in der wir das große Spiel der Vergangenheit und den Konflikt der Gegenwart hinter uns lassen – eine Zukunft, in der wir alle einen Beitrag zur Sicherheit Zentralasiens leisten.

Von Afghanistan einmal abgesehen sind die Vereinigten Staaten entschlossen, alle Chancen zu nutzen, um Extremisten zu isolieren. Wir helfen der irakischen Bevölkerung dabei, sich eine bessere Zukunft aufzubauen und überlassen den Irak den Irakern. Wir verfolgen das Ziel einer Zweistaatenlösung, in deren Rahmen Israel und Palästina in Frieden und Sicherheit existieren. Wir gehen Partnerschaften mit muslimischen Gemeinschaften auf der ganzen Welt ein, um Bildung, Gesundheit und wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Bei all diesen Anstrengungen glaube ich, dass die Menschen in Russland unsere Ziele teilen und von ihrem Erfolg profitieren werden – und dass wir uns zusammentun müssen.

Neben diesen sicherheitspolitischen Anliegen ist der dritte Bereich, den ich ansprechen möchte, das Interesse der Vereinigten Staaten an globalem Wohlstand. Und da sich so viele Wirtschaftswissenschaftler und künftige Unternehmer und Unternehmerinnen hier im Saal befinden, wird das für Sie von großem Interesse sein.

Antworten auf die globale Wirtschaftskrise

Wir treffen uns inmitten der schwersten globalen Rezession seit einer Generation. Ich glaube, dass der freie Markt die größte Kraft für die Schaffung und Verteilung von Wohlstand ist, die es auf der Welt jemals gegeben hat. Aber wann immer die Kräfte des Marktes zügellos um sich greifen können – aufgrund zu großer Risikobereitschaft, mangelnder Regulierung oder aufgrund von Korruption – sind alle Menschen in Gefahr, am Mississippi wie an der Wolga.

In den Vereinigten Staaten gehen wir jetzt ganz neue Wege, um unsere Wirtschaft anzukurbeln und unser Regulierungssystem zu reformieren. Aber genau wie keine Nation sich von den Konsequenzen einer globalen Krise abschotten kann, kann auch keine Nation allein Motor des globalen Wachstums sein. Wissen Sie, in unserer Lebenszeit hat sich etwas Grundlegendes verändert. Und während die Krise uns gezeigt hat, welche Risiken Veränderungen in sich bergen, bringen diese Risiken auch eine Fülle von Chancen mit sich.

Denken Sie nur daran, was heute alles möglich ist und noch vor zwei Jahrzehnten undenkbar gewesen wäre. Eine junge Frau im indischen Bangalore kann durch eine Internetverbindung im Wettbewerb mit der ganzen Welt bestehen. Ein Startup-Unternehmer in Peking kann mit seinem Unternehmen global agieren. Ein Professor an der NES in Moskau kann mit Kollegen in Harvard oder Stanford zusammenarbeiten. Das ist gut für uns alle, denn wenn in Indien Wohlstand entsteht, erschließt sich ein neuer Markt für unsere Güter, wenn sich in China neue Ideen durchsetzen, werden unsere Unternehmen zur Innovation angespornt – wenn neue Verbindungen zwischen Menschen geschaffen werden, ist das für uns alle bereichernd.

Das Potenzial für eine verstärkte Kooperation zwischen Amerikanern und Russen ist außerordentlich groß. Wir können freien und integrierten Handel mit der ganzen Welt betreiben. Wir können Investitionen anregen, die in unseren beiden Ländern Arbeitsplätze schaffen, wir können Partnerschaften im Energiebereich eingehen, die nicht nur traditionelle Ressourcen wie Öl und Gas, sondern auch neue Energiequellen anzapfen, Wachstum fördern und den Klimawandel bekämpfen. All das können Amerikaner und Russen gemeinsam tun.

Regierungen können diese Zusammenarbeit fördern, aber letzten Endes müssen die Menschen sie vorantreiben, denn im 21. Jahrhundert sind Sie die wichtigste Ressource eines jeden Landes. Die Menschen – ganz besonders die jungen Menschen. Und das Land, das diese Ressource ausschöpft, wird erfolgreich sein. Dieser Erfolg hängt von Volkswirtschaften ab, die nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit funktionieren. Wie Präsident Medwedew ganz richtig gesagt hat, ist ein ausgereiftes und effektives Rechtssystem eine Bedingung für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Menschen überall auf der Welt sollten das Recht haben, Geschäfte zu machen oder Bildung zu erhalten, ohne dafür Bestechungsgelder bezahlen zu müssen. Ob in den Vereinigten Staaten, Russland, Afrika oder Lateinamerika – das ist keine amerikanische oder russische Idee, das ist das Erfolgsrezept für Menschen und Länder im 21. Jahrhundert. Das bringt mich zu dem vierten Thema, das ich heute ansprechen möchte: das Interesse der Vereinigten Staaten an demokratischen Regierungen, die die Rechte ihrer Bevölkerungen schützen.

Die Werte der Vereinigten Staaten

Die Vereinigten Staaten sind sicher nicht vollkommen. Aber unsere Verpflichtung gegenüber bestimmten universellen Werten erlaubt uns, unsere Fehler zu korrigieren, uns ständig zu verbessern und mit der Zeit stärker zu werden. Die Rede- und Versammlungsfreiheit haben es Frauen, Minderheiten und Arbeitern möglich gemacht, für vollständige und gleiche Rechte zu demonstrieren, als ihnen diese verwehrt waren. Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit vor dem Gesetz haben Monopole gesprengt, den Niedergang korrupter politischer Maschinerien nach sich gezogen und Fälle von Machtmissbrauch beendet. Unabhängige Medien haben Korruption auf allen Unternehmens- und Regierungsebenen aufgedeckt. Faire Wahlen erlauben es uns, den Kurs zu wechseln und unsere Politiker zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn unsere Demokratie diese Rechte nicht fördern würde, hätte ich als Bürger afrikanischer Abstammung nicht die Möglichkeit, als Bürger der Vereinigten Staaten zu Ihnen zu sprechen – und schon gar nicht als Präsident. Denn zum Zeitpunkt der Gründung unseres Landes hatte ich – oder Menschen, die wie ich aussahen – keine Rechte.

Die Vereinigten Staaten fördern diese Werte also auf der ganzen Welt, weil sie moralisch richtig sind, aber auch, weil sie funktionieren. Der Verlauf der Geschichte zeigt uns, dass Regierungen, die ihrem Volk dienen, bestehen bleiben und gedeihen, Regierungen, die nur sich selbst genügen, hingegen nicht. Staaten, deren Regierungen den Willen ihrer Bevölkerung repräsentieren, werden mit wesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit scheitern, ihre Bürger terrorisieren oder einen Krieg anzetteln. Regierungen, die die Rechtsstaatlichkeit fördern, ihre Entscheidungen Kontrollen unterziehen und unabhängige Institutionen zulassen sind verlässlichere Handelspartner. Und in unserer eigenen Geschichte sind Demokratien stets die beständigsten Verbündeten der Vereinigten Staaten gewesen, auch diejenigen, gegen die wir in Europa und Asien einst Kriege geführt haben – Nationen, die heute in großer Sicherheit und Wohlstand leben.

Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Die Vereinigten Staaten werden und sollten nicht versuchen, anderen Staaten ein Regierungssystem aufzuerlegen, noch würden wir annehmen, entscheiden zu können, welche Partei oder welche Person ein Land regieren sollte. Und wir haben in dieser Hinsicht nicht immer so gehandelt, wie wir es hätten tun sollen. Während wir hier heute zusammenkommen, unterstützen die Vereinigten Staaten die Wiedereinsetzung des demokratisch gewählten Präsidenten von Honduras, obwohl dieser sich entschieden gegen die amerikanische Politik gestellt hat. Wir tun das nicht, weil wir mit ihm einer Meinung sind. Wir tun es, weil wir das allgemeingültige Prinzip achten, dass Menschen ihre politischen Vertreter selbst wählen sollten, ob wir nun mit ihnen übereinstimmen oder nicht.

Internationales Systgem vs. staatliche Souveränität

Und das bringt mich zum letzten Thema, das ich heute ansprechen möchte, nämlich dem Interesse der Vereinigten Staaten an einem internationalen System, das die Zusammenarbeit fördert, aber gleichzeitig die Souveränität aller Staaten achtet.

Staatliche Souveränität muss ein Eckpfeiler der internationalen Ordnung sein. So wie alle Staaten das Recht haben sollten, ihre Vertreter selbst zu wählen, müssen sie auch das Recht auf sichere Grenzen und ihre eigene Außenpolitik haben. Das gilt für Russland genauso wie für die Vereinigten Staaten. Jedes System, das diese Rechte untergräbt, wird zu Anarchie führen. Daher müssen wir dieses Prinzip auf alle Länder anwenden – und das schließt auch Georgien und die Ukraine mit ein. Die Vereinigten Staaten werden niemals einem anderen Land ein sicherheitspolitisches Arrangement auferlegen. Damit ein Land Mitglied einer Organisation wie beispielsweise der NATO werden kann, muss sich die Mehrheit seiner Einwohner dafür aussprechen; es müssen Reformen umgesetzt werden, und diese müssen im Sinne des Antrags des Bündnisses sein. Und lassen Sie mich eines deutlich sagen: Die NATO sollte die Zusammenarbeit mit Russland suchen, nicht die Konfrontation.

Allgemeiner ausgedrückt: Wir müssen Zusammenarbeit und Respekt zwischen allen Ländern und Völkern fördern. Als Präsident der Vereinigten Staaten werde ich unermüdlich daran arbeiten, die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu schützen und unsere Interessen zu fördern. Aber kein Land kann den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts allein begegnen oder dem Rest der Welt seine Bedingungen diktieren. Das wissen die Vereinigten Staaten jetzt, genauso wie Russland es weiß. Darum streben die Vereinigten Staaten ein internationales System an, das Ländern ermöglicht, ihre Interessen friedlich zu verfolgen, besonders wenn diese Interessen auseinandergehen; ein System, in dem die allgemeinen Menschenrechte geachtet und Verletzungen dieser Rechte geahndet werden; ein System, in dem wir uns selbst an denselben Standards messen, die wir auch für andere Nationen anlegen, mit klaren Rechten und Verpflichtungen für alle.

Es gab einmal eine Zeit, da konnten Roosevelt, Churchill und Stalin die Welt mit einem einzigen Treffen verändern. Diese Zeiten sind vorbei. Heute ist die Welt komplexer. Milliarden Menschen haben ihre Stimme gefunden und streben in allen Winkeln dieser Erde danach, das für sie angemessene Maß an Wohlstand und Selbstbestimmung zu verwirklichen. In den letzten zwei Jahrzehnten haben wir Märkte und Wohlstand wachsen sehen und wir haben Technologien erlebt, die zum Aufbau, nicht zur Zerstörung von Dingen genutzt wurden. Wir sahen, wie alte Fehden erloschen und sich die Illusionen von Unterschieden zwischen Völkern auflösten und wir sahen, wie immer mehr Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass diese Übergangszeit, die Sie erlebt haben, in eine neue Ära übergeht, in der Nationen in Frieden leben und Menschen ihren Wunsch nach einem Leben in Würde und Sicherheit und einem besseren Leben für ihre Kinder umsetzen. Das ist im Interesse der Vereinigten Staaten, und ich glaube, es ist auch im Interesse Russlands.

Ich weiß, diese Zukunft kann noch fern erscheinen. Veränderungen sind schwierig. Um es mit den Worten des Studenten der NES von 1993 auszudrücken: Die echte Welt ist nicht so rational, wie es in Büchern geschrieben steht. Aber denken Sie an die Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit entfaltet haben. Vor einhundert Jahren wurde Russland von einem Zaren regiert, und Europa bestand aus vielen kleinen Reichen. Als ich auf die Welt kam, war die Rassentrennung in Teilen der Vereinigten Staaten noch Gesetz und das Kenia meines Vaters noch eine Kolonie. Als Sie zur Welt kamen, wäre eine Schule wie diese hier undenkbar gewesen und das Internet war nur wenigen Privilegierten bekannt.

Es ist an Ihnen, zu entscheiden, was als nächstes kommt. Sie werden entscheiden, wo die Veränderung uns hinführen wird, denn die Zukunft gehört nicht denen, die Heere auf einem Schlachtfeld versammeln oder Raketen in die Erde graben; die Zukunft gehört gebildeten jungen Menschen mit kreativer Vorstellungskraft. Das ist der Kraftquell dieses Jahrhunderts. Und stellen Sie sich angesichts all dessen was in Ihren zwei Jahrzehnten auf der Welt geschehen ist, nur vor, was Sie in den nächsten Jahren erschaffen können.

Jedes Land gibt seinen Kurs selbst vor. Russland hat sich seinen Weg durch die Zeit gebahnt wie ein mächtiger Fluss, der eine Schlucht durchquert, und dabei unauslöschlich die menschliche Geschichte geprägt. Richten Sie, wenn Sie diese Geschichte weiterführen, Ihren Blick in die Zukunft, die wir schaffen können, wenn wir die alten Hindernisse überwinden und das alte Misstrauen hinter uns lassen; richten Sie Ihren Blick in die Zukunft, die wir gemeinsam im Namen der Wünsche, die wir teilen, aufbauen können. Gemeinsam können wir eine Welt erschaffen, in der Menschen geschützt sind, in der der Wohlstand wächst und unsere Macht wirklich dem Fortschritt dient. Und es liegt alles in Ihren Händen. Ich wünsche Ihnen allen viel Glück. Vielen herzlichen Dank.

Originaltext: Remarks by the President at the New Economic School Graduation siehe: http://www.america.gov/st/texttrans-english/2009/July/20090707062839abretnuh3.549922e-02.html&distid=ucs

Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten
http://amerikadienst.usembassy.de/



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