Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Erste Schritte zur Kontrolle des Waffenhandels

Selmin Çalıskan über die Schwierigkeiten, eine Menschenrechtsklausel im Rüstungsgeschäft zu etablieren *


Selmin Çalıskan ist seit 1. März Chefin der deutschen Sektion von Amnesty International (ai). Christin Odoj sprach mit ihr über künftige Herausforderungen und das erste internationale Waffenhandelsabkommen, das die UN-Vollversammlung am Dienstag verabschiedete.

Sie sind seit einem Monat neue Chefin von Amnesty Deutschland. Sind Sie in dieser Rolle bereits angekommen?

Ich denke schon. Das Themenspektrum hat sich natürlich erweitert, aber politische Inhalte und die Kommunikation politischer Ziele sind mir nicht fremd. Waffengewalt, Krieg – und das was sie mit Menschen machen – waren auch in meiner bisherigen Arbeit wichtige Schwerpunkte.

Am vergangenen Freitag ist schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres der Versuch gescheitert, ein internationales Abkommen für Waffenexporte im Konsens zu verabschieden. Nun reichte eine Zweidrittelmehrheit in der UNVollversammlung, um den Vertrag, der vieles offen lässt, doch noch zu verabschieden. Ist das schon ein Erfolg?

Das ist ein sehr großer Erfolg. Enttäuschend ist natürlich, dass drei Länder, die selbst für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, diesen Vertrag blockiert haben, weil sie von Waffenlieferungen abhängig sind. Aber der Vertrag ist ein Fuß in der Tür. Selbst wenn er nicht einstimmig angenommen wurde, kann man die Verabschiedung als gleichwertig anerkennen. Es wird aber wichtig sein, insbesondere bei kleineren Komponenten der Rüstungstechnik, wie etwa der Munition, nachzubessern.

Gerade die USA hatten sich gegen die Aufnahme von Munition in die Richtlinien gesträubt und Ausnahmen bei der Menschenrechtsklausel gefordert, wenn es um die nationale Sicherheit des Empfängerlandes geht. Wie realistisch ist ein konkreter Waffenkontrollvertrag, wenn sich die wichtigsten Akteure stets Schlupflöcher zusichern lassen?

Steter Tropfen höhlt den Stein (lacht). Das ist klar auch eine Aufgabe von großen internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty weiter Druck auszuüben. Der UN-Vertrag verbietet generell Rüstungstransfers, die zu Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beitragen, es fehlt aber an dieser allgemeinen Stelle ein Zusatz über schwere Menschenrechtsverletzungen und dem Vertrag damit der Präventivcharakter. In Bezug auf Verstöße gegen die Menschenrechte deckt der UN-Beschluss damit nicht die volle Bandbreite ab. Menschenrechtsverletzungen sind erst an einer anderen Stelle im Vertrag ein wichtiges Kriterium, nämlich dann, wenn es den einzelnen Ländern obliegt, eine ›Risikoabschätzung‹ bei Waffenexporten vorzunehmen. Übrigens fordert Amnesty schon seit Jahren eine verbindliche Menschenrechtsklausel auch auf nationaler Ebene für deutsche Waffenexporte.

In der EU ist die Lieferung von Waffen an syrische Rebellen stark umstritten. Wie verhält sich Amnesty in dieser Frage?

Wir orientieren uns in diesem Fall an unserer Messlatte: den Menschenrechten. Wir halten uns daran, dass keine Rüstungsgüter exportiert werden sollten, die zu Menschenrechtsverletzungen führen, egal auf welcher Seite. Regierungen, die die bewaffnete syrische Opposition beliefern wollen, müssten darlegen, wie sie gewährleisten, dass ihre Waffen in diesem Sinne nicht eingesetzt werden.

Amnesty spricht sich, im Gegensatz zu anderen Menschenrechtsorganisationen, nicht für ein generelles Waffenexportverbot aus, warum?

Als Menschenrechtsorganisation, die im Rahmen des Völkerrechts agiert, orientiert sich Amnesty auch hier an den menschenrechtlichen Aspekten. Wir sprechen uns generell gegen alle Rüstungstransfers aus, die zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts beitragen können.

Sie haben vorher u.a. für zwei Frauenrechtsorganisationen gearbeitet. Wie sieht Ihre künftige Agenda aus, werden Frauenrechte stärker in den Fokus rücken?

Ich beobachte die Arbeitsgebiete von Amnesty momentan noch sehr genau. Natürlich habe ich dabei die Rechte von Frauen und Migranten als ›Herzensthemen‹ immer bei mir. Momentan aber sind der Waffenkontrollvertrag und der arabische Frühling Kern meiner Arbeit. Bei beiden spielt das Thema Gewalt gegen Frauen übrigens eine wichtige Rolle.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. April 2013

Ein Vertrag mit Fragen

Zum ersten Mal habe man einen rechtlich bindenden Vertrag, »der das tödlichste Gewerbe der Welt reguliert«, freute sich Anna Mac- Donald am Dienstagabend (Ortszeit) in New York. Die Rüstungsexpertin von der Hilfsorganisation Oxfam hatte die schwierigen Verhandlungen über ein internationales Waffenhandelsabkommen am UNO-Sitz begleitet. Am Freitag war die Vertragskonferenz erneut gescheitert. Iran, Nordkorea und Syrien sahen ihre kritischen Anmerkungen zum Vertragsentwurf nicht berücksichtigt. Für eine Annahme wäre aber die Zustimmung aller 193 Mitgliedstaaten nötig gewesen. Also ging man den Umweg über die Vollversammlung. Dort war eine Zweidrittelmehrheit ausreichend, um endlich ein rechtskräftiges Kontrollabkommen zur Regulierung des auf jährlich bis zu 70 Milliarden Dollar geschätzten weltweiten Waffengeschäfts zu verabschieden. 154 Delegationen stimmten schließlich mit Ja, 23 enthielten sich. Iran, Nordkorea und Syrien blieben bei ihrer Ablehnung. In den vergangenen Jahren hatten Staaten wie die USA, Russland oder China mit ihrem Drängen auf Ausnahmeregelungen immer wieder ein Abkommen verhindert.

Angesichts der wirtschaftlichen Interessen und der politischen Macht der Waffenproduzenten sehen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International den Vertragsabschluss auch als Erfolg für die Zivilgesellschaft, die seit Jahren für das Abkommen gekämpft hat. Es verbietet die Ausfuhr konventioneller Waffen in andere Länder, wenn dadurch Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen ermöglicht werden könnten, und fordert eine Risikoprüfung im Falle potenzieller schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Außerdem soll verhindert werden, dass Waffen in die Hände von Terroristen und des organisierten Verbrechens gelangen. Die Vereinbarung bezieht sich ausdrücklich auf Waffen in den Kategorien Panzer, bewaffnete Fahrzeuge, schwere Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge und -hubschrauber, Kriegsschiffe, Raketen und Raketenwerfer sowie sogenannte leichte und kleine Waffen wie Pistolen. Geplant ist auch der Aufbau von Kontrollsystemen zur Exportregulierung von Munition und Waffenteilen, die aber nur eingeschränkt erfasst werden. Zudem bleiben Systemlücken – so bei unbewaffneten Militärflugzeugen, Polizeiausrüstung oder Handgranaten – und absehbare Interpretationsfragen, etwa wenn es um Kampfdrohnen geht.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat das erste globale Waffenhandelsabkommen gestern gewürdigt und fordert die Staaten zur Ratifizierung auf. Der Vertrag wird am 3. Juni 2013 in der UNVollversammlung zur Unterzeichnung ausgelegt und tritt in Kraft, wenn er in 50 Staaten durch die Parlamente ratifiziert worden ist. Das allerdings kann Jahre dauern. Und seine völkerrechtlichen Bestimmungen gelten nur dort, wo ratifiziert wurde. Trotzdem sieht Ban ein »mächtiges neues Instrument «, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern.

Olaf Standke



Eine Chance

Von Olaf Standke **

Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Wichtige Menschenrechtsorganisationen haben sich entschieden, das jetzt in der UN-Vollversammlung angenommene erste Waffenhandelsabkommen als Erfolg zu werten. Sie hatten die Vereinten Nationen vor Jahren zu dem Vertragsprojekt gedrängt und ließen sich auch von gescheiterten Konferenzen nicht entmutigen. Nun liegt eine Kontrollvereinbarung vor, die alles andere als perfekt ist. Schon wenn man sieht, dass z.B. Munition nur eingeschränkt erfasst wird und andere Rüstungsgüter wie Handgranaten oder unbewaffnete Militärflugzeuge ganz außen vor bleiben. Aber sie bietet auch die Chance, im Dienste der Menschenrechte das so profitable wie konfliktfördernde Rüstungsgeschäft zumindest völkerrechtlich zu regulieren und Kriegsfürsten wie Terroristen effektiver von Waffen fernzuhalten. Das bedeutet nicht zwangsläufig schon eine reale Rüstungsreduzierung, könnte aber Hunderttausenden Zivilisten helfen, die unschuldige Geiseln bewaffneter Auseinandersetzungen und täglicher Gewalt sind.

Entscheidend wird auch hier der politische Wille der UN-Mitglieder sein - zur Signatur, zur schnellen Ratifizierung, zur konsequenten Umsetzung des Vertrages. In Berlin wurde er gestern als Meilenstein gewürdigt. Aber gilt das auch für den Kurs der Bundesregierung, wenn es um die Anschaffung von Kampfdrohnen oder um Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien geht? Als drittgrößter Kriegswaffenexporteur der Welt hat Deutschland allen Grund, Vertragsvorreiter zu sein.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. April 2013 (Kommentar)


Placebo für Pazifisten

UN-Vollversammlung verabschiedet Abkommen zur Regulierung des Waffenhandels. Ändern wird sich wenig

Von André Scheer ***


Als »historischen Erfolg« hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Mittwoch das am Vorabend von der UN-Vollversammlung in New York verabschiedete Abkommen über den Waffenhandel (ATT) gefeiert, und auch die Kollegen von Oxfam lobten: »Mit der Abstimmung machen die Vereinten Nationen die Regulierung des Waffenhandels erstmals in der Geschichte verbindlich.« Der Vizechef der Linkspartei, Jan van Aken, mochte ebenfalls nicht auf das Wort »historisch« verzichten, gab sich ansonsten aber zurückhaltender: »Der Beschluß der UNO ist ein erster, wenn auch kleiner Schritt.« Es stehe aber zu befürchten, daß sich »in der realen Welt zunächst nur wenig ändern« werde.

Mit 154 gegen drei Stimmen bei 23 Enthaltungen hatten die Vereinten Nationen am Dienstag erstmals in ihrer Geschichte einen Text verabschiedet, mit dem der weltweite Waffenhandel reguliert werden soll. Dem Abkommen zufolge sollen die Mitgliedsstaaten künftig keine Waffen mehr an Staaten verkaufen, die die Menschenrechte verletzen. Ende März war die Annahme des Abkommens bei einer dazu einberufenen UN-Konferenz, bei der Einstimmigkeit notwendig gewesen wäre, am Veto Nordkoreas, Syriens und des Iran gescheitert. Daraufhin brachten Kenia und rund ein Dutzend weitere Länder den Text in der Vollversammlung ein, bei der die einfache Mehrheit der Stimmen ausreicht. Das Abkommen tritt nun in Kraft, sobald 50 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen es ratifiziert haben.

Zu den Staaten, die sich bei der Abstimmung enthielten, gehörten unter anderem China, Rußland und die in der Bolivarischen Allianz ALBA zusammengeschlossenen Länder Lateinamerikas, darunter Venezuela, Kuba, Bolivien, Nicaragua und Ecuador. Havannas UN-Botschafter Rodolfo Reyes kritisierte in New York, daß auf der Abstimmung bestanden worden sei, statt einen tatsächlichen Konsens herzustellen. Der Text weise zahlreiche »Mehrdeutigkeiten, Unstimmigkeiten und Gesetzeslücken« auf, kritisierte der Diplomat. Hauptgrund dafür, daß sein Land dem Vertrag nicht zustimmen könne, sei jedoch, daß der Text die waffenexportierenden Staaten gegenüber den übrigen Ländern bevorteile. Vor allem kritisierte Reyes, daß auf Druck westlicher Staaten ein ursprünglich vorgesehenes Verbot von Waffenlieferungen an Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen gestrichen wurde. Diese nichtstaatlichen Akteure seien jedoch die Hauptverantwortlichen für illegalen Waffenschmuggel und -handel und alle damit verbundenen Übel.

Ähnlich begründete der Vertreter Syriens die Ablehnung des Dokuments durch seine Regierung. Es verbiete nicht die Ausrüstung von »nichtstaatlichen Terroristen«, kritisierte er mit Blick auf die Bewaffnung der Aufständischen in seinem Land durch mehrere arabische Staaten. Teheran bemängelte, daß Waffen an »ausländische Besatzungsmächte« verkauft werden dürften, während der Botschafter Nordkoreas es als nicht hinnehmbar bezeichnete, daß dem Papier zufolge die Rüstungsexporteure die Menschenrechtslage in den importierenden Ländern beurteilen sollen. Mit Blick auf die angespannte Lage auf der koreanischen Halbinsel kritisierte ein weiterer Diplomat der DVRK am Mittwoch gegenüber junge Welt zudem, daß mehrere westliche Staaten, unter ihnen Deutschland, zwar vom Frieden sprächen, durch ihre Waffenlieferungen an Südkorea die Lage in der Region jedoch destabilisiert und zu der jetzigen Zuspitzung beigetragen hätten.

*** Aus: junge welt, Donnerstag, 4. April 2013


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