Erste Schritte zur Kontrolle des Waffenhandels
Selmin Çalıskan über die Schwierigkeiten, eine Menschenrechtsklausel im Rüstungsgeschäft zu etablieren *
Selmin Çalıskan ist seit 1. März Chefin der deutschen Sektion von Amnesty International (ai). Christin Odoj sprach mit ihr über künftige Herausforderungen und das erste internationale Waffenhandelsabkommen, das die UN-Vollversammlung am Dienstag verabschiedete.
Sie sind seit einem Monat neue
Chefin von Amnesty Deutschland.
Sind Sie in dieser Rolle bereits angekommen?
Ich denke schon. Das Themenspektrum
hat sich natürlich erweitert,
aber politische Inhalte und die
Kommunikation politischer Ziele
sind mir nicht fremd. Waffengewalt,
Krieg – und das was sie mit
Menschen machen – waren auch in
meiner bisherigen Arbeit wichtige
Schwerpunkte.
Am vergangenen Freitag ist
schon zum zweiten Mal innerhalb
eines Jahres der Versuch gescheitert,
ein internationales Abkommen
für Waffenexporte im Konsens
zu verabschieden. Nun reichte eine
Zweidrittelmehrheit in der UNVollversammlung,
um den Vertrag,
der vieles offen lässt, doch noch zu
verabschieden. Ist das schon ein
Erfolg?
Das ist ein sehr großer Erfolg. Enttäuschend
ist natürlich, dass drei
Länder, die selbst für schwere
Menschenrechtsverletzungen verantwortlich
sind, diesen Vertrag
blockiert haben, weil sie von Waffenlieferungen
abhängig sind. Aber
der Vertrag ist ein Fuß in der Tür.
Selbst wenn er nicht einstimmig
angenommen wurde, kann man die
Verabschiedung als gleichwertig
anerkennen. Es wird aber wichtig
sein, insbesondere bei kleineren
Komponenten der Rüstungstechnik,
wie etwa der Munition, nachzubessern.
Gerade die USA hatten sich gegen
die Aufnahme von Munition in
die Richtlinien gesträubt und Ausnahmen
bei der Menschenrechtsklausel
gefordert, wenn es um die
nationale Sicherheit des Empfängerlandes
geht. Wie realistisch ist
ein konkreter Waffenkontrollvertrag,
wenn sich die wichtigsten Akteure
stets Schlupflöcher zusichern
lassen?
Steter Tropfen höhlt den Stein
(lacht). Das ist klar auch eine Aufgabe
von großen internationalen
Menschenrechtsorganisationen
wie Amnesty weiter Druck auszuüben.
Der UN-Vertrag verbietet generell
Rüstungstransfers, die zu
Genozid, Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
beitragen, es fehlt aber an dieser
allgemeinen Stelle ein Zusatz
über schwere Menschenrechtsverletzungen
und dem Vertrag damit
der Präventivcharakter. In Bezug
auf Verstöße gegen die Menschenrechte
deckt der UN-Beschluss
damit nicht die volle Bandbreite
ab. Menschenrechtsverletzungen
sind erst an einer anderen
Stelle im Vertrag ein wichtiges Kriterium,
nämlich dann, wenn es den
einzelnen Ländern obliegt, eine
›Risikoabschätzung‹ bei Waffenexporten
vorzunehmen. Übrigens
fordert Amnesty schon seit Jahren
eine verbindliche Menschenrechtsklausel
auch auf nationaler
Ebene für deutsche Waffenexporte.
In der EU ist die Lieferung von
Waffen an syrische Rebellen stark
umstritten. Wie verhält sich Amnesty
in dieser Frage?
Wir orientieren uns in diesem Fall
an unserer Messlatte: den Menschenrechten.
Wir halten uns daran,
dass keine Rüstungsgüter exportiert
werden sollten, die zu
Menschenrechtsverletzungen führen,
egal auf welcher Seite. Regierungen,
die die bewaffnete syrische
Opposition beliefern wollen, müssten
darlegen, wie sie gewährleisten,
dass ihre Waffen in diesem Sinne
nicht eingesetzt werden.
Amnesty spricht sich, im Gegensatz
zu anderen Menschenrechtsorganisationen,
nicht für ein generelles Waffenexportverbot aus, warum?
Als Menschenrechtsorganisation,
die im Rahmen des Völkerrechts
agiert, orientiert sich Amnesty auch
hier an den menschenrechtlichen
Aspekten. Wir sprechen uns generell
gegen alle Rüstungstransfers
aus, die zu schweren Menschenrechtsverletzungen
und Verletzungen des humanitären Völkerrechts
beitragen können.
Sie haben vorher u.a. für zwei
Frauenrechtsorganisationen gearbeitet.
Wie sieht Ihre künftige
Agenda aus, werden Frauenrechte
stärker in den Fokus rücken?
Ich beobachte die Arbeitsgebiete
von Amnesty momentan noch sehr
genau. Natürlich habe ich dabei die
Rechte von Frauen und Migranten
als ›Herzensthemen‹ immer bei
mir. Momentan aber sind der Waffenkontrollvertrag
und der arabische
Frühling Kern meiner Arbeit.
Bei beiden spielt das Thema Gewalt
gegen Frauen übrigens eine wichtige
Rolle.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. April 2013
Ein Vertrag mit Fragen
Zum ersten Mal habe man einen
rechtlich bindenden Vertrag, »der
das tödlichste Gewerbe der Welt
reguliert«, freute sich Anna Mac-
Donald am Dienstagabend (Ortszeit)
in New York. Die Rüstungsexpertin
von der Hilfsorganisation
Oxfam hatte die schwierigen
Verhandlungen über ein internationales
Waffenhandelsabkommen
am UNO-Sitz begleitet. Am
Freitag war die Vertragskonferenz
erneut gescheitert. Iran, Nordkorea
und Syrien sahen ihre kritischen
Anmerkungen zum Vertragsentwurf
nicht berücksichtigt.
Für eine Annahme wäre aber die
Zustimmung aller 193 Mitgliedstaaten
nötig gewesen. Also ging
man den Umweg über die Vollversammlung.
Dort war eine
Zweidrittelmehrheit ausreichend,
um endlich ein rechtskräftiges
Kontrollabkommen zur Regulierung
des auf jährlich bis zu 70
Milliarden Dollar geschätzten
weltweiten Waffengeschäfts zu
verabschieden. 154 Delegationen
stimmten schließlich mit Ja, 23
enthielten sich. Iran, Nordkorea
und Syrien blieben bei ihrer Ablehnung.
In den vergangenen Jahren
hatten Staaten wie die USA,
Russland oder China mit ihrem
Drängen auf Ausnahmeregelungen
immer wieder ein Abkommen
verhindert.
Angesichts der wirtschaftlichen
Interessen und der politischen
Macht der Waffenproduzenten
sehen Menschenrechtsorganisationen
wie Amnesty International
den Vertragsabschluss
auch als Erfolg für die Zivilgesellschaft,
die seit Jahren für das
Abkommen gekämpft hat. Es verbietet
die Ausfuhr konventioneller
Waffen in andere Länder, wenn
dadurch Völkermord, Verbrechen
gegen die Menschlichkeit oder
Kriegsverbrechen ermöglicht
werden könnten, und fordert eine
Risikoprüfung im Falle potenzieller
schwerer Verletzungen des
humanitären Völkerrechts. Außerdem
soll verhindert werden,
dass Waffen in die Hände von
Terroristen und des organisierten
Verbrechens gelangen. Die Vereinbarung
bezieht sich ausdrücklich
auf Waffen in den Kategorien
Panzer, bewaffnete Fahrzeuge,
schwere Artilleriesysteme,
Kampfflugzeuge und -hubschrauber,
Kriegsschiffe, Raketen und
Raketenwerfer sowie sogenannte
leichte und kleine Waffen wie
Pistolen. Geplant ist auch der
Aufbau von Kontrollsystemen zur
Exportregulierung von Munition
und Waffenteilen, die aber nur
eingeschränkt erfasst werden.
Zudem bleiben Systemlücken – so
bei unbewaffneten Militärflugzeugen,
Polizeiausrüstung oder
Handgranaten – und absehbare
Interpretationsfragen, etwa wenn
es um Kampfdrohnen geht.
UN-Generalsekretär Ban Ki
Moon hat das erste globale Waffenhandelsabkommen
gestern gewürdigt und fordert die Staaten
zur Ratifizierung auf. Der Vertrag
wird am 3. Juni 2013 in der UNVollversammlung
zur Unterzeichnung ausgelegt und tritt in Kraft,
wenn er in 50 Staaten durch die
Parlamente ratifiziert worden ist.
Das allerdings kann Jahre dauern.
Und seine völkerrechtlichen Bestimmungen
gelten nur dort, wo ratifiziert wurde. Trotzdem sieht
Ban ein »mächtiges neues Instrument
«, um Menschenrechtsverletzungen
zu verhindern.
Olaf Standke
Eine Chance
Von Olaf Standke **
Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Wichtige Menschenrechtsorganisationen haben sich entschieden, das jetzt in der UN-Vollversammlung angenommene erste Waffenhandelsabkommen als Erfolg zu werten. Sie hatten die Vereinten Nationen vor Jahren zu dem Vertragsprojekt gedrängt und ließen sich auch von gescheiterten Konferenzen nicht entmutigen. Nun liegt eine Kontrollvereinbarung vor, die alles andere als perfekt ist. Schon wenn man sieht, dass z.B. Munition nur eingeschränkt erfasst wird und andere Rüstungsgüter wie Handgranaten oder unbewaffnete Militärflugzeuge ganz außen vor bleiben. Aber sie bietet auch die Chance, im Dienste der Menschenrechte das so profitable wie konfliktfördernde Rüstungsgeschäft zumindest völkerrechtlich zu regulieren und Kriegsfürsten wie Terroristen effektiver von Waffen fernzuhalten. Das bedeutet nicht zwangsläufig schon eine reale Rüstungsreduzierung, könnte aber Hunderttausenden Zivilisten helfen, die unschuldige Geiseln bewaffneter Auseinandersetzungen und täglicher Gewalt sind.
Entscheidend wird auch hier der politische Wille der UN-Mitglieder sein - zur Signatur, zur schnellen Ratifizierung, zur konsequenten Umsetzung des Vertrages. In Berlin wurde er gestern als Meilenstein gewürdigt. Aber gilt das auch für den Kurs der Bundesregierung, wenn es um die Anschaffung von Kampfdrohnen oder um Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien geht? Als drittgrößter Kriegswaffenexporteur der Welt hat Deutschland allen Grund, Vertragsvorreiter zu sein.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. April 2013 (Kommentar)
Placebo für Pazifisten
UN-Vollversammlung verabschiedet Abkommen zur Regulierung des Waffenhandels. Ändern wird sich wenig
Von André Scheer ***
Als »historischen Erfolg« hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Mittwoch das am Vorabend von der UN-Vollversammlung in New York verabschiedete Abkommen über den Waffenhandel (ATT) gefeiert, und auch die Kollegen von Oxfam lobten: »Mit der Abstimmung machen die Vereinten Nationen die Regulierung des Waffenhandels erstmals in der Geschichte verbindlich.« Der Vizechef der Linkspartei, Jan van Aken, mochte ebenfalls nicht auf das Wort »historisch« verzichten, gab sich ansonsten aber zurückhaltender: »Der Beschluß der UNO ist ein erster, wenn auch kleiner Schritt.« Es stehe aber zu befürchten, daß sich »in der realen Welt zunächst nur wenig ändern« werde.
Mit 154 gegen drei Stimmen bei 23 Enthaltungen hatten die Vereinten Nationen am Dienstag erstmals in ihrer Geschichte einen Text verabschiedet, mit dem der weltweite Waffenhandel reguliert werden soll. Dem Abkommen zufolge sollen die Mitgliedsstaaten künftig keine Waffen mehr an Staaten verkaufen, die die Menschenrechte verletzen. Ende März war die Annahme des Abkommens bei einer dazu einberufenen UN-Konferenz, bei der Einstimmigkeit notwendig gewesen wäre, am Veto Nordkoreas, Syriens und des Iran gescheitert. Daraufhin brachten Kenia und rund ein Dutzend weitere Länder den Text in der Vollversammlung ein, bei der die einfache Mehrheit der Stimmen ausreicht. Das Abkommen tritt nun in Kraft, sobald 50 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen es ratifiziert haben.
Zu den Staaten, die sich bei der Abstimmung enthielten, gehörten unter anderem China, Rußland und die in der Bolivarischen Allianz ALBA zusammengeschlossenen Länder Lateinamerikas, darunter Venezuela, Kuba, Bolivien, Nicaragua und Ecuador. Havannas UN-Botschafter Rodolfo Reyes kritisierte in New York, daß auf der Abstimmung bestanden worden sei, statt einen tatsächlichen Konsens herzustellen. Der Text weise zahlreiche »Mehrdeutigkeiten, Unstimmigkeiten und Gesetzeslücken« auf, kritisierte der Diplomat. Hauptgrund dafür, daß sein Land dem Vertrag nicht zustimmen könne, sei jedoch, daß der Text die waffenexportierenden Staaten gegenüber den übrigen Ländern bevorteile. Vor allem kritisierte Reyes, daß auf Druck westlicher Staaten ein ursprünglich vorgesehenes Verbot von Waffenlieferungen an Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen gestrichen wurde. Diese nichtstaatlichen Akteure seien jedoch die Hauptverantwortlichen für illegalen Waffenschmuggel und -handel und alle damit verbundenen Übel.
Ähnlich begründete der Vertreter Syriens die Ablehnung des Dokuments durch seine Regierung. Es verbiete nicht die Ausrüstung von »nichtstaatlichen Terroristen«, kritisierte er mit Blick auf die Bewaffnung der Aufständischen in seinem Land durch mehrere arabische Staaten. Teheran bemängelte, daß Waffen an »ausländische Besatzungsmächte« verkauft werden dürften, während der Botschafter Nordkoreas es als nicht hinnehmbar bezeichnete, daß dem Papier zufolge die Rüstungsexporteure die Menschenrechtslage in den importierenden Ländern beurteilen sollen. Mit Blick auf die angespannte Lage auf der koreanischen Halbinsel kritisierte ein weiterer Diplomat der DVRK am Mittwoch gegenüber junge Welt zudem, daß mehrere westliche Staaten, unter ihnen Deutschland, zwar vom Frieden sprächen, durch ihre Waffenlieferungen an Südkorea die Lage in der Region jedoch destabilisiert und zu der jetzigen Zuspitzung beigetragen hätten.
*** Aus: junge welt, Donnerstag, 4. April 2013
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