Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Rüstungsexporte verbieten"

Interview der Aktion "Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel" mit Dr. Peter Strutynski *




Bevor ich dir die eigentlichen Fragen stelle, möchte ich dich bitten folgenden Satz zu vollenden: "Rüstungsexporte sind ..."

... zu verbieten.

In deinem schon Jahrzehnte andauernden Einsatz für Abrüstung und für die Bearbeitung von Konflikten durch Verhandlungen weißt du nur zu gut, dass Rüstungsexporte die Probleme in aller Regel verschärfen. Die Friedensbewegung hat sich daher auch immer dafür eingesetzt, den Waffenhandel wenn nicht ganz abzuschaffen so doch wenigstens einzudämmen. Anders als in der Vergangenheit haben sich in der Kampagne Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel! mehr Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen als jemals zuvor. Das stimmt uns optimistisch; teilst du unseren Optimismus?

Die Rüstungsexportpraxis der Bundesregierung ist nicht erst in den letzten Monaten in die Kritik geraten. Ich erinnere daran, dass beispielsweise in den 90er Jahren vorgesehene Waffenlieferungen in die Türkei wegen deren repressiver Kurdenpolitik eingestellt wurden. Immerhin ist die Türkei NATO-Mitglied und wird als solches beim Waffenhandel privilegiert behandelt. Als während des „arabischen Frühlings“ ruchbar geworden war, dass deutsche Waffen in die Hände Mubaraks oder Gaddafis gelangt waren, begann die Öffentlichkeit, in dem Fall sogar die veröffentlichte Meinung, laut über den Sinn oder Unsinn des deutschen Rüstungsexports nachzudenken.

Für die „Aufschrei“-Kampagne gegen Rüstungsexporte waren das natürlich belebende Argumente. Es scheint so zu sein, dass die Forderung nach einem Stopp von Rüstungsexporten heute in sehr breiten Kreisen der Bevölkerung verstanden und auch unterstützt wird. Unerheblich scheint mir dabei die in der Kampagne ursprünglich angelegte Beschränkung auf eine doch sehr vorsichtige Forderung nach Ergänzung von Artikel 26,2 des Grundgesetzes um den Satz: „Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden grundsätzlich nicht exportiert. Das Nähere regelt das Rüstungsexportgesetz.“ Die Bewegung selbst ist längst über diese Forderung hinausgegangen. Es geht um den Stopp der Rüstungsexporte – konkretisiert an bestimmten Waffenarten und an bestimmte potenzielle Empfängerstaaten.

Peter, du bist Sprecher des AG Friedensforschung an der Uni Kassel und auch des Bundesweiten Friedensratschlags, skizziere uns bitte, welche Aktivitäten ihr hinsichtlich eines Verbots von Rüstungsexporten ihr für besonders wirksam haltet und was ihr dafür unternehmt. Eines scheint mir dabei besonders erwähnenswert, weil es für Friedensengagierte sehr nützlich sein kann: der Internetauftritt der AG Friedensforschung mit seiner enormen Fülle an (Zeitungs-)Artikeln, Buchbesprechungen, Hintergrundtexten und Aktionsinformationen.

Damit hast du in der Tat ein sehr wichtiges Mittel unserer Politik benannt: Es geht um Information und Aufklärung. Das ist die Grundlage für jede konkrete Politik. So ist es z.B. wichtig, nicht nur mit ethisch-moralischen Argumenten – so wichtig sie auch sind – gegen den Handel mit dem Tod vorzugehen, sondern Informationen über den Umfang und die politischen und sozialen Implikationen des todbringenden Waffenhandels zu transportieren. In manchen Fällen, etwa was den Export von Leopard-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien oder Katar betrifft, scheint das sehr einfach zu sein. Komplizierter wird es bei den U-Boot-Lieferungen an Israel. Der Aufschrei, den die Leitmedien an Ostern um das überraschende Grass-Poem losgetreten haben, nur weil er es gewagt hat, den Iran in Schutz zu nehmen und Israel zu kritisieren, zeigt, wie vermint dieses Gelände hier zu Lande ist. Dabei ist der Sachverhalt vollkommen klar: Die Lieferung von atomwaffenfähigen U-Booten nach Israel widerspricht nicht nur den Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung (keine Waffen in Spannungsgebiete), sondern – noch gravierender – dem Atomwaffensperrvertrag, den Deutschland ratifiziert hat. Dort wird es den Mitgliedstaaten untersagt, Atomwaffen einschließlich ihrer „Einsatzmittel“ weiterzugeben.

Der Bundesausschuss Friedenratschlag unterstützt im Übrigen alle Initiativen, die sich vor Ort gegen den Waffenhandel und die Waffenproduktion zur Wehr setzen. Wir haben auch eine bundesweite Arbeitsgruppe installiert, die sich mit Fragen der Rüstungsproduktion, des Waffenexports und der Rüstungskonversion befasst.

Du kommst aus einer Stadt, die manchen vielleicht mehr durch die Documenta bekannt ist, als durch die Produktionsstätten von zwei Giganten der deutschen Rüstungsindustrie: Krauss-Maffei-Wegmann, der Panzerhersteller und die Rheinmetall AG, die Kanonen und Panzer und deren Komponenten produziert. Was genau wird in Kassel an militärisch relevanten Sachen hergestellt wird und wie heißen die Unternehmen. Ist bekannt, wie viele Arbeitsplätze damit verbunden sind?

Das wichtige hast du schon gesagt: Krauss-Maffei Wegmann (KMW) ist an der Produktion von Leopard-Panzern beteiligt (ein anderer wichtiger KMW-Standort ist München, dazu kommen noch Zulieferfirmen etwa im Bodenseeraum) und stellt die tödliche Panzerhaubitze für die Bundeswehr und für den Export her. Die Firma Rheinmetall (Unternehmenssitz in Düsseldorf) produziert in zwei getrennten Betriebsteilen gepanzerte Fahrzeuge und militärische Radfahrzeuge, darunter fast alle bekannten Schützen- und Spürpanzertypen (vom Marder bis zum Puma). Auf diese zwei Firmen entfallen in Kassel rund 3.000 Arbeitsplätze; das ist in einer traditionell strukturschwachen Region natürlich ein wichtiger Arbeitgeber. Beide Firmen kooperieren übrigens bei zahlreichen Rüstungsprojekten.

Im Januar 2012 haben die Linken im Kasseler Stadtparlament, den Antrag „Keine Rüstungsexporte aus Kassel“ eingebracht, und damit eine heftige Diskussionen ausgelöst. Das Anliegen wurde meines Wissens auch von den Grünen, der Friedensinitiative und der katholischen Kirche unterstützt und es gab sogar eine Unterschriftensammlung für dieses Ziel. Was ist damals gelaufen und was ist aus der Initiative inzwischen geworden?

Ohne das Verdienst der Linken in dieser Frage schmälern zu wollen: Die Idee zu dem Antrag kommt aus der Friedensbewegung. Das Kasseler Friedensforum hat im Juli 2011, nachdem der vorgesehene Panzer-Deal mit Saudi-Arabien bekannt wurde, eine spontane Demonstration mit immerhin fast 300 Menschen vor die Tore von KMW gemacht und einen Appell an die Stadt Kassel formuliert, in dem es um folgende Forderungen geht: Die Stadt soll – ich zitiere jetzt Mal: „Initiativen ergreifen und unterstützen, die aus Kassel eine Stadt des Friedens machen sollen. Dazu gehören:
  • öffentlicher Protest gegen den Export von Kriegswaffen aus Kassel in Spannungsgebiete und an Regime mit einer problematischen Menschenrechtssituation,
  • politischer Druck auf die Kasseler Rüstungsunternehmen ihre Produktpalette zu demilitarisieren und zivile Geschäftsfelder aufzubauen, und
  • politische Initiativen bei Land und Bund zur Konversion (Umstellung) der Rüstungsproduktion.“
Der letzte Punkt scheint uns besonders wichtig, weil es nicht darum gehen darf, die Kolleginnen und Kollegen von KMW und Rheinmetall arbeitslos zu machen, sondern dass sie ihren Qualifikationen entsprechend nützliche zivile Produkte herstellen sollen. Rüstungsbeschäftigte sind nicht unsere Gegner. Unser Gegner ist die Militär- und Aufrüstungspolitik der Bundesregierung, die letzten Endes die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie zu Geiseln ihrer Politik macht.

In den 1980er-Jahren war das Thema Rüstungskonversion - die Produktion von zivilen anstelle von Militärgütern ein viel diskutiertes Thema und die Gewerkschaft IG Metall machte sich dafür stark. Es gab sogar in Rüstungsbetrieben Arbeitskreise, die konkrete Vorschläge machten, was in ihren Unternehmen anstelle von Rüstungsgütern produziert werden könnte. Andererseits gab es auch einen Arbeitskreis von Betriebsräten aus so genannten wehrtechnischen Unternehmen, die sich bei der Regierung für die Erleichterung von Rüstungsexporten einsetzten. Wie ist die Situation heute und konkret in Kassel?

Der von dir genannte Arbeitskreis aus wehrtechnischen Unternehmen hatte in den 80er Jahren vorübergehend sogar seinen Geist aufgegeben – die IG Metall war damals ein interessanter Partner der Friedensbewegung und hat ein gut durchdachtes Konversionsprogramm aufgelegt. Anfang der 90er Jahre hatten auch wir in Kassel eine gemeinsame Veranstaltung von IG Metall und Friedensforum, worin wir mit den Betriebsräten aus den Rüstungsunternehmen Konversionspläne diskutiert haben. Eine Forschungsgruppe an der Uni Kassel, der ich angehörte, hat sogar ein erstes Konzept für die Betriebe erarbeitet mit zahlreichen konkreten Konversionsvorschlägen. Heute scheint sich der Wind wieder gedreht zu haben. Aus der IG Metall kommen keine positiven Signale, mit dem Rüstungsschrott doch lieber wieder aufhören zu wollen und über Alternativen nachzudenken. Dabei bin ich der festen Überzeugung, dass viele Beschäftigte lieber heute als morgen statt der todbringenden Kriegswaffen sinnvolle Güter für das (Über-)Leben der Menschen herstellen würden.

Seitdem letztes Jahr bekannt wurde, dass die Bundesregierung dem Export von Leopard- Panzern an das diktatorische Regime in Saudi-Arabien zugestimmt hat, versucht die Friedensbewegung, diesen Export zu verhindern. Dabei wird es auch an den Standorten der Rüstungsbetriebe Mahnwachen und Kundgebungen geben. Wie reagieren die die Beschäftigten und die IG Metall vor Ort? Gibt es der Forderung nach Rüstungskonversion neuen Aufschwung, oder führt es eher zu einer Abschottung und sinkenden Gesprächsbereitschaft?

Ich sehe im Moment eher eine Abschottung als ein Aufeinander-Zugehen. Das kann sich aber ändern, wenn der gesellschaftliche Druck zunimmt. Der Appell des Kasseler Friedensforum – den auch viele Kirchengemeinden in ihren Häusern zur Unterschrift ausgelegt haben – erfreut sich breiter Zustimmung. Möglich, dass wir auf dieser Basis einen örtlichen Dialog hinbekommen.

* Die Fragen an den Politikwissenschaftler und Sprecher der AG Friedensforschung an der Uni Kassel und des Bundesausschusses Friedensratschlag stellte Otto Reger.
Die Aktion "Aufschrei" ist hier zu erreichen: www.aufschrei-waffenhandel.de

Hier geht es zu einer druckfreundlichen Fassung des Interviews: pdf-Datei.



Zurück zur Seite "Rüstungsexport, Waffenhandel"

Zur Friedensbewegung-Seite

Zur Friedensratschlags-Seite

Zur Konversions-Seite

Zurück zur Homepage