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Ruhe vor Demokratie

Deutsche Panzer nach Saudi-Arabien

Von Werner Pirker *

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière verteidigte in einer TV-Diskussionsrunde die Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien als »absolut legitim«. Ungewollt gestand er ein, daß dem Gerede über Demokratie und Menschenrechte keine Bedeutung zukomme, wenn höhere Interessen auf dem Spiel stünden. Saudi-Arabien sei keine Demokratie, sagte er, aber ein Land, das »für die Stabilität im Nahen Osten eine große Rolle spielt«. Unter Stabilität versteht der Minister die Aufrechterhaltung der westlichen Vorherrschaft in der Region. Deshalb werden Länder, die sich das Recht auf eine einigermaßen eigenständige Entwicklung und Außenpolitik vorbehalten haben, einem Re¬gimewechsel-Programm unterzogen – im Namen von Demokratie und Menschenrechten, versteht sich. Um, wie es unter Berufung auf das Prinzip der »Schutzverantwortung« heißt, Despoten wie Ghaddafi oder Assad daran zu hindern, das »eigene Volk« zu massakrieren.

Das despotische Regime in Riad hat seine Panzerbrigaden zwar nicht das eigene Volk, aber den Volksaufstand in Bahrain niederwalzen lassen. Im Namen der Stabilität, versteht sich. Bahrain ist immerhin ein Stützpunkt der um stabile Verhältnisse in der Golf-Region bemühten 5. US-Flotte. Die saudische Herrscherfamilie würde mit dem eigenen Volk nicht weniger brutal umgehen, sollte es sich zum Aufstand entschließen. Denn bei aller Empathie für die »Arabellion«: ihr Übergreifen auf die Hauptstützpunkte der arabischen Reaktion soll unbedingt vermieden werden. Panzer »made in Germany« wären zur Aufstandsbekämpfung bestens geeignet.

Die absolutistischen Golf-Monarchien zeigen sich indessen auch um die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten bemüht. Zwar nicht in ihrem eigenen Machtbereich, aber immerhin in Ländern wie Libyen und Syrien. Zur Stabilität in Nahost hat das nicht beigetragen. Der von NATO und Wahhabiten gesteuerte Aufstand hat Syrien ins Chaos gestürzt und über die Region hinaus die ganze Welt in große Unruhe versetzt.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß der Wutausbruch der Muslime ausgerechnet zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich eine sunnitisch-westliche Kriegsallianz anschickt, eines der letzten säkularen Regime in der arabischen Welt zu Fall zu bringen. Das läßt vermuten, daß die westlichen Anmaßung, die Führung der Arabellion zu übernehmen, von der arabischen Straße keineswegs dankbar aufgenommen, sondern als zusätzliche Demütigung empfunden wird. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, daß ein auf soziale und nationale Emanzipation gerichteter Aufruhr sich einer religiösen Sprache bedient – auch die russische Revolution trat in Form einer religiösen Prozession in die Geschichte ein.

De Maizière aber sollte sich die Frage stellen, ob Saudi-Arabien als die Geburtsstätte des islamischen Fundamentalismus tatsächlich der von ihm erhoffte Stabilisierungsfaktor ist.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. September 2012


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