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Russland umgarnt EADS

Luftfahrtholding OAK soll hinter Airbus und Boeing zur Nummer drei des zivilen Flugzeugbaus aufsteigen

Von Tomasz Konicz *

In der russischen Luftfahrtindustrie bahnen sich gravierende Veränderungen an. Unter dem Dach der Holding OAK (Vereinigte Flugzeugbaugesellschaft) sollen die wichtigsten Flugzeugwerke Rußlands zusammengefaßt werden, darunter Traditionsbetriebe wie MiG, Suchoj, Iljuschin oder Tupolew. Insgesamt sollen 20 Unternehmen des Militär- und Zivilflugzeugbaus unter dem OAK-Dach zusammengefaßt werden. Das neue Konsortium könnte dann hinter Airbus und Boeing zur Nummer drei der zivilen Luftfahrt werden. Der russische Staat will einen Anteil von 75 Prozent an der Unternehmensgruppe halten. Einen diesbezüglichen Regierungsbeschluß unterzeichnete der russische Premier Michail Fradkow im November. Bis zum April des kommenden Jahres soll die Zusammensetzung der privaten Aktionäre und die Höhe ihrer Anteile an der Holding ermittelt werden.

Nachholbedarf

Besonderen Wert legt die Führungsriege von OAK auf eine Beteiligung des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS. Waleri Beswerchni, derzeit für den organisatorischen Aufbau der OAK verantwortlich, verlieh öffentlich seiner Hoffnung Ausdruck, daß EADS, derzeit mit zehn Prozent am russischen Flugzeugbauer Irkut beteiligt, sich verstärkt in der OAK engagiert, um dort die Rolle eines »strategischen Investors« einzunehmen. Laut Handelsblatt vom 28. November ist der russische Staat im Gegenzug um einen ähnlichen Status bei EADS bemüht. Die russische Staatsbank VTB erwarb bereits über fünf Prozent an dem europäischen Konzern und signalisierte ihre Bereitschaft, die Beteiligung auf zehn Prozent aufzustocken, um so auch bei strategischen Entscheidungen ein Mitspracherecht zu erwerben.

Die Annäherungsversuche Rußlands stießen bei der EADS allerdings auf wenig Gegenliebe, da Frankreich und Deutschland ohnehin verbissen um den jeweiligen Einfluß in dem Luftfahrtkonzern kämpfen und die Europäer des weiteren befürchten müssen, daß Moskau bei seinem Engagement vor allem einen Technologietransfer für seinen am Boden liegenden zivilen Luftfahrtbereich im Sinn hat.

Die russische Aufforderung, sich bei OAK verstärkt zu beteiligen, wurde von EADS eher reserviert zur Kenntnis genommen. Dabei könnte die zivile Flugzeugproduktion Rußlands jegliche Unterstützung gebrauchen. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur RIA Novosti erlitt dieser Wirtschaftszweig des Landes im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion die größten Verluste aller Branchen des russischen Maschinenbaus. In der ersten Hälfte dieses Jahres sollen in Rußland laut RIA Novosti gerade mal zwei Passagierflugzeuge hergestellt worden sein. Boeing baut hingegen 300 Flugzeuge im Jahr. Die Ausmusterungsrate des größtenteils noch von der Sowjet­union geerbten russischen Flugzeugparks beträgt inzwischen zehn Prozent pro Jahr. Sollte die Flugzeugindustrie des Landes nicht schnellstens auf die Beine kommen, wird Rußland neue Passagierflugzeuge im Ausland einkaufen müssen.

Die Initiatoren des OAK-Projektes hoffen folglich, daß vor allem die zivile Luftfahrt von den Synergieeffekten der neuen Holding profitieren wird. Mittelfristig soll der Anteil ziviler Luftfahrtprodukte 45 Prozent am gesamten Produktionsumfang erreichen, was einer Versiebenfachung gleichkäme. Die russische Regierung hofft sogar, einen fünfprozentigen Anteil am Weltmarkt der Zivilflugzeuge erreichen zu können. Die hohe Priorität, die der Kreml der Konsolidierung dieser Branche einräumt, wird auch aus der Tatsache ersichtlich, daß Vizepremier und Verteidigungsminister Sergej Iwanow zum Vorsitzenden des OAK-Direktorrates ernannt wurde. Schon vor der Gründung der OAK war der Flugzeugbauer Suchoj bemüht, in Kooperation mit westlichen Unternehmen den Suchoj Superjet 100 zu entwickeln, ein modernes Regionalflugzeug, das sich vor allem bei der Gestaltung des Cockpits an Airbus orientiert.

Helicopter für Chávez

Der militärische Arm von OAK hingegen hat Kooperationen mit ausländischen Konzernen nicht nötig. Die russische Militärindustrie befindet sich dank rasant steigender Exporte in einem stürmischen Wirtschaftsaufschwung. Laut eigenen Angaben exportierte die russische Rüstungsindustrie im vergangenen Jahr Waffen im Wert von nahezu sechs Milliarden US-Dollar. Ein Report des US-Kongresses beschuldigt Rußland, moderne Waffensysteme an Entwicklungsländer zu liefern und beim Waffenhandel mit der Dritten Welt inzwischen die führende Position errungen zu haben. Russische Flugzeugbauer konnten in der letzten Jahren tatsächlich spektakuläre Abschlüsse mit Länder tätigen, die auf der »Schurkenliste« der US-Regierung stehen.

Für heftige Empörung in Washington sorgte besonders der Verkauf von 30 Suchoj-Kampfflugzeugen und 30 Helikoptern an Venezuela im Juli diesen Jahres. Während eines indisch-US-amerikanischen Militärmanövers 2005 hatten die umgebauten Suchoj-Kampfflugzeuge der indischen Luftwaffe den amerikanischen F-16-Piloten bei Trainingskämpfen schmerzhafte Niederlagen beigebracht. Zudem laufen gerade Verhandlungen zwischen Tupolew und chinesischen Behörden über den Erwerb von Tu-22M3-Langstreckenbombern. Die Tu-22 ist in der Lage, Cruise Missiles abzufeuern, die die US-Navy vor Taiwan bedrohen könnten, wie der US-Thinktank »International Relations and Security Network« (ISN) berichtet.

* Aus: junge Welt, 4. Dezember 2006


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