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Trendumkehr: Das Jahrzehnt der Abrüstung ist zu Ende

Zwei große Forschungsinstitute legen ihre Berichte vor: SIPRI und BICC

In dieser Woche sind gleich zwei brisante Jahrbücher veröffentlicht worden, die sich mit den internationalen Trends bei den Militärausgaben und in der Rüstungsindustrie befassen. Die Rede ist vom Jahrbuch des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI und vom Bonner Internationalen Konversionsforschungszentrum BICC. Beide Studien belegen, was die aufgeklärten friedenspolitischen Spatzen schon des längeren von den Dächern pfeifen: Das Jahrzehnt der Abrüstung, das von etwa 1987 bis 1997 dauerte, ist wohl unwiderruflich zu Ende. Die Zeichen stehen wieder auf Aufrüstung.

Zum Jahresbericht des BICC

Das BICC stellt in seinem Jahresbericht (Titel: "Globale Abrüstung, Demilitarisierung und Demobilisierung"), der am 14. Juni der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, fest, dass die weltweiten Rüstungsausgaben seit 1999 wieder ansteigen. Demnach haben die Ausgaben für Militär 1999 weltweit 686 Milliarden US-Dollar betragen. Der derzeitige Bestand an konventionellen Großwaffen liegt bei mehr als 422.000 Stück. Über 21,7 Millionen Soldaten dienen in regulären Streitkräften und fast acht Millionen Beschäftigte arbeiten in der Rüstungsindustrie. Zu den Staaten, die ihre Militärausgaben steigerten, gehören dem Jahrbuch zufolge u.a. die USA, Frankreich, Deutschland, China, Russland, Brasilien und Australien. Deutschland rangiert nach den BICC-Berechnungen in diesem Bereich auf einem stolzen vierten Platz vier – noch vor China oder Großbritannien.

Beunruhigend sind weitere Tatsachen, die BICC-Direktor Prof. Dr. Herbert Wulf bei der Vorstellung des Berichts auf den Tisch packte:
"Eine Reihe gescheiterter und stagnierender Verhandlungen im Bereich der Massenvernichtungswaffen verdeutlichen, wie tief die Krise der klassischen internationalen Rüstungskontrolle ist", sagte er. Das liege einmal an der Supermacht USA, die "mit der fortschreitenden Desintegration des russischen Militärs und dem offensichtlichen Ende des russischen Supermachtstatus" immer weniger Interesse "an strategischer Stabilität durch bilaterale Rüstungskontrolle" habe. Den USA reiche es aus, kleinere Staaten unter Kontrolle zu halten, selbst wenn diese über Massenvernichtungswaffen verfügen.

Unter "Massenvernichtungsmitteln" werden inzwischen nicht mehr nur A-, B- oder C-Waffen verstanden. Wulf wies darauf hin, dass rund 90 Prozent aller Kriegsopfer – das waren in den vergangenen zehn Jahren über drei Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder – in Bürgerkriegen und inneren bewaffneten Konflikten sterben. Minen, Gewehre, "Kalaschnikoffs" und anderes Mordgerät sind dabei am Werk, "Kleinwaffen" eben. Sie werden in ihrer Wirkung aber zu "Massenvernichtungswaffen des modernen Krieges". Unter anderem handelt es dabei um Waffen, die seit dem Ende des Kalten Krieges von den Großmächten nicht mehr gebraucht und für billiges Geld in alle Welt verhökert wurden. Das BICC bemüht sich zur Zeit, im Rahmen einer UN-Kampagne dafür zu sorgen, dass solche Waffen registriert, markiert, sicher gelagert und schließlich verschrottet werden.

BICC-Direktor Prof. Dr. Herbert Wulf kritisierte gegenüber der Tageszeitung "Neues Deutschland" die "weiche Haltung" Deutschlands gegenüber den US-Plänen einer Raketenabwehr, "die noch dem Denken des Kalten Krieges folge und keinerlei Schutz gegen mögliche Bedrohungen aus 'Schurkenstaaten'" biete. Nur durch deren Einbeziehung in die internationale Politik – siehe Nordkorea – sei gegenseitiger Schutz möglich. Enttäuscht äußerte er sich über den Stand der Bundeswehrreform. Es sei unverständlich, dass Rudolf Scharping, der als Landeschef von Rheinland-Pfalz "so positive Konversionserfahrungen sammeln konnte", nun als Verteidigungsminister auf ein bundesweites Programm grundsätzlich verzichte. Wulf kritisierte auch, dass die EU ihre entsprechende Förderung Ende 2001 "einfach auslaufen lässt". (vgl. ND, 15.06.2001)

Zur Erklärung des BICC im Wortlaut

Zum Jahresbericht des SIPRI

Auch nach dem SIPRI-Bericht ist die Zeit der Abrüstung endgültig vorbei. Seit 1998 sind die weltweiten Militärausgaben wirder um fünf Prozent gestiegen. Das ist das alarmierende Ergebnis des Jahresberichts, das vom SIPRI am 13. Juni 2001 in Göteborg (Schweden) vorgestellt wurde.

Die Militärausgaben betrugen im vergangenen Jahr umgerechnet rund 1.840 Milliarden DM oder durchschnittlich 300 DM für jeden Bewohner dieser Erde. Das heißt: 2,5 Prozent der gesamten Weltproduktion werden für Militärzwecke aufgewendet. Während in den vergangenen Jahren nur in einigen Regionen die Rüstungsausgaben gestiegen waren (z.B. in Südostasien), steigen sie heute auf breiter Front. Dies ist mit der tatsächlichen Sicherheitslage der Staaten nicht zu erklären, da die Sicherheit in denmeisten Regionen eher zugenommen als abgenommen habe. Offenbar wirken heute Ängste vor "unbekannten Sicherheitsrisiken".

Die USA stehen bei den Militärausgaben unangefochten an der Spitze. Sie stehen nach SIPRI-Angaben für 37 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben. Demgegenüber muss sich die ehemalige Supermacht Russland mit einem Anteil von nur sechs Prozent der weltweiten Militärausgaben begnügen. Das ist nur noch etwa ein Fünftel dessen, was die ehemalige Sowjetunion vor ihrem Ende ausgegeben hatte. Dennoch: Auch Russland steigerte seinen Rüstungsetat in den vergangenen beiden Jahren beträchtlich, nämlich um 44 Prozent.

Stark aufgeholt im Rüstungswettlauf haben die Länder Südostasiens. Auch in Afrika wird wieder mehr für Waffen und Rüstungsmaterial ausgegeben. Zwei der ärmsten Länder, Angola und Eritrea, haben im vergangenen Jahr jeweils rund 23 Prozent ihres Sozialprodukts für Rüstungszwecke ausgegeben. Afrika war auch der Kontinent, in dem die meisten der 25 "größeren bewaffneten Konflikte" ausgetragen wurden. Fast alle dieser Konflikte auch in anderen Erdteilen sind heute innere Bürgerkriege - allerdings häufig mit Beteiligung von außen, siehe Kongo. Nur zwei Kriege - der zwischen Äthiopien und Eritrea und der Kashmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan - waren klassische zwischenstaatliche Kriege.

Die Perspektiven sind ebenfalls düster. Nach Aussagen von SIPRI werde der Trend zu höheren Verteidigungsbudgets anhalten. Dafür würden allein schon die USA sorgen, die vor einem "Generationensprung" in der Militärtechnologie und vor dem Aufbau eines neuen Systems für die Raketenabwehr wie das umstrittene NMD-Projekt stehen, was zu immens steigenden Rüstungsausgaben führen wird. Die europäischen Nato-Partner stünden unter Druck, ihre Militärkapazität dem US-Niveau anzugleichen. Entweder mit den USA oder parallel zu den USA. Genau darüber streiten sich zur Zeit - allerdings meist nur hinter verschlossenen Türen oder in verklausulierter Form - die Partner der atlantischen Allianz. Unter anderem geht es dabei um den Aufbau europäischer Satellitenaufklärungssysteme und um den Aufbau einer Eingreiftruppe der Europäischen Union. Die US-Rüstungspläne, insbesondere NMD, zwinge aber auch Russland und China zu verstärken Militäranstrengungen.

Ein dunkles Kapitel aus Sicht der Menschheit, ein einträgliches Geschäft aus Sicht der beteiligten Firmen ist weiterhin der internationale Waffenhandel. Dem widerspricht nur scheinbar der - nach SIPRI aber eher "zufällige" - Rückgang des Waffenhandels um 26 Prozent im vergangenen Jahr. Er beruhte vor allem auf rückläufigen Lieferungen von Kriegsflugzeugen aus den USA. Die prall gefüllten Auftragsbücher der US-Rüstungsindustrie und diverse Beistandsabkommen Washingtons mit Israel, Ägypten und Kolumbien deuten jedoch eine baldige Umkehr dieses Zwischentiefs an. Wie nicht anders zu erwarten liegen die USA mit einem Anteil von 47 Prozent am weltweiten Waffenhandel (im Durchschnitt der letzten fünf Jahre) klar an der Spitze vor Russland (15 %), Frankreich (10 %) Großbritannien (7 %) und Deutschland (5 %). Die Bundesrepublkik ist aber im Kommen: Im vergangenen Jahr schob sich Deutschland mit 2,8 Mrd. DM Rüstungsexporterlösen bereits an die dritte Stelle im Export-Ranking. Die besten Kunden für Deutschland waren Taiwan, Saudi-Arabien und die Türkei - "trotz ihres schlechten Ruf bezüglich Menschenrechten", wie das SIPRI kritisch anmerkt.

Pst

Quellen: Tageszeitungen und Online-Dienste vom 14. und 15. Juni 2001 (insbesondere Neues Deutschland, Neue Zürcher Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau) sowie die Homepages von BICC und SIPRI.

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