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Kniefall als Breitensport

Die Grünen zwischen Menschenrechten und Koalitionsdisziplin

Von Otfried Nassauer

Kabinettsentscheidungen der vergangenen zwei Jahre werfen vor allem eine Frage auf - welche Prinzipien der Grünen werden als nächste entsorgt?

Gleich zwei Kernfragen grüner, politischer Identität stehen derzeit zur Debatte und - womöglich - zur Disposition: Der Bundessicherheitsrat hat den Export einer Fabrik für Gewehrmunition in die Türkei gebilligt - trotz neuer Rüstungsexportrichtlinien. Und Siemens hat - mit Aussicht auf Erfolg - die Voranfrage an die Bundesregierung gerichtet, ob die nie in Betrieb gegangene Hanauer MOX-Brennelementefabrik nach Russland exportiert werden darf. Rüstungs- und Atomexport - beides sind Kernthemen grüner Politik, grünen Profils und grüner Glaubwürdigkeit. Die Ausfuhrgenehmigung für die Munitionsfabrik in die Türkei ist mehr als problematisch, sie ist ein Skandal. Vorgeblich will die rot-grüne Bundesregierung die Rüstungsexportpolitik restriktiver handhaben, Menschenrechten und Gewaltprävention ein besonderes Gewicht zumessen. Da muss sie sich schon fragen lassen: Was - wenn nicht Gewehrmunition - kommt wohl bei innerer Repression, Menschenrechtsverletzungen und Konflikten niedriger Intensität zum Einsatz?

Die Bundesregierung sieht in der Munitionsfabrik eine Altlast der Regierung Kohl. Seit 1997 seien Voranfragen positiv beschieden worden. Eine Genehmigung sei aufgrund der Bindewirkung dieser Bescheide unumgänglich. Politisch dagegen stellt sich die Frage anders: Wieviel ist der Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit in Sachen Menschenrechte und restriktive Exportpolitik wert? Warum riskiert sie keinen Rechtsstreit? Dessen Ergebnis könnte im schlechtesten Fall den Staat zum Schadensersatz verpflichten. Die Fritz Werner AG könnte Akquisitionskosten und entgangene Gewinne geltend machen, viel weniger als den Gesamtumfang des Projektes von 90 Millionen DM. Kleingeld, angesichts des sonst üblichen Umgangs der Politik mit Steuergeldern. Und doch zuviel für die Glaubwürdigkeit einer »restriktiven« rot-grünen Rüstungsexportpolitik?

Um die Glaubwürdigkeit der Politik der Bundesregierung geht es auch im zweiten Fall. In Deutschland wird die Kernenergie zum Auslaufmodell erklärt, in Russland mitgeholfen, dass sie auch in 30 oder 50 Jahren noch benötigt wird. Die MOX-Fertigungsanlage soll in Majak genutzt werden, um zunächst 34 Tonnen Waffenplutonium einer zivilen Verwendung (als Brennstäbe für die Energiegewinnung) zuzuführen. Auf den ersten Blick ein vielleicht bestechender Gedanke: Überschüssiges Waffenplutonium aus Zeiten des Kalten Krieges wird zur Energieproduktion genutzt - durch seine Einbindung in stark strahlende und unhandliche MOX-Brennstäbe zugleich die Möglichkeit beschnitten, das Plutonium zu entwenden und auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Doch halten viele Experten die »Immobilisierung«, das heißt, die Lagerung des Waffenplutoniums - vermischt mit anderem hochstrahlenden Atommüll - für den besseren Weg. Hier fällt während der Verarbeitung kein pulverförmiges Plutoniumoxid an, müssen keine russischen Reaktoren sicherheitstechnisch nachgerüstet werden, muss kein neuer Nuklearkreislauf aufgebaut und kein Weg gefunden werden, wie mit abgebrannten MOX-Brennelementen umgegangen werden soll. Hier muss nicht entschieden werden, ob russische MOX-Elemente nach einer Europareise in deutschen AKW zum Einsatz kommen sollen. Das Argument, mit dem nun die MOX-Option durchgesetzt wird, erschreckt: Das Interesse, Russlands gefährliches Nuklearerbe so schnell wie möglich abzurüsten, überlagert umweltpolitische, proliferationspolitische Einwände und Sicherheitsbedenken. Weg damit, nur schnell! - heißt die Devise.

Die »Immobilisierung« kommt nicht zum Zuge, da Russland sein Waffenplutonium als Wertstoff betrachtet, mit dem sich Energie herstellen und viel Geld verdienen lässt. Ernsthafte Offerten an Russland, sein Waffenplutonium auf anderem Wege in Wert zu setzen -beispielsweise durch eine Kopplung der »Immobilisierung« an einen stufenweisen Erlass russischer Auslandsschulden, sofern es Abrüstungsfortschritte gibt, wurde von den westlichen Industrienationen nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Auch nicht durch die rot-grüne Bundesregierung, die einmal mehr eine klare Entscheidung hinsichtlich des Verhältnisses von Moral und Geschäft trifft - und sei es drum, dass der grüne Außenminister, sich im Bundesssicherheitsrat - wie es scheinbar zur Regel wird - einfach überstimmen lässt.

Auffällig ist aber trotzdem: Kritik und Medieninteresse konzentrieren sich allein auf den Streit innerhalb der Bündnisgrünen. Wann - so die allgemein interessierende Frage - erleiden sie ihre nächste Grundsatzniederlage. Das verwundert schon. Nicht die zur Entscheidung stehenden Sachfragen, sondern die politisch-phänomenologische Meta-Ebene - werden die Prinzipien der Grünen auf dem Abfallhaufen der Geschichte entsorgt? - scheint das eigentlich Bewegende zu sein. Oder lautet das Thema doch wieder: Tabubruch um des Tabubruchs willen? Andere wichtige Fragen kommen so nicht in den Blick - zum Beispiel diese: Wo bleiben eigentlich jene Sozialdemokraten, die aufgrund ihrer Position grünen Rüstungs- und Atomexportgegnern Unterstützung geben müss ten? Was macht sie so schweigsam, wenn nicht gar taubstumm? Innerparteiliche Disziplin? Die Angst vor der Mehrheit in der eigenen Partei? Die Bequemlichkeit, die ein sich streitender Koalitionspartner ermöglicht? Ihr Schweigen müsste Anlass geben, verschärft darüber nachzudenken, was eigentlich noch geschehen muss, damit auch die SPD wieder in der Sache diskutiert. Ohne dies lässt sich nicht regieren - zumindest nicht auf Dauer.
Aus: Freitag, 15. September 2000

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