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Vertrauen ist gut, Waffenkontrolle ist besser

Internationale Verträge bleiben unverzichtbare Instrumente, dem Wettrüsten Einhalt zu gebieten. Eine Analyse

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einer umfassenden Analyse über die Wirkungsweise internationaler Rüstungskontrollregime. Der Aufsatz ist in der "Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden" (1/2004) erschienen. Eine Kurzfassung erschien darüber hinaus auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau vom 19. Februar 2004.


Von Rolf Mützenich und Matthias Karádi*


Einleitung

Die Rüstungskontrolle befindet sich - je nach Betrachtungsweise - in der Krise, der Stagnation oder ist bereits sanft verschieden. Nach dem Ende des Kalten Krieges steht das Konzept der Rüstungskontrolle heute vor einer doppelten Herausforderung: Es muss sowohl den strukturellen Veränderungen des internationalen Systems nach 1989 als auch der technologischen Dynamik des Informationszeitalters angepasst werden. Einerseits distanzieren sich die maßgeblichen Entscheidungsträger in den USA vom Konzept der Abrüstung und Rüstungskontrolle, andererseits sind die bestimmenden Triebkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie heute in erster Linie im kommerziellen Bereich zu finden. Vor allem im Bereich der Informationstechnologien, die heutzutage Eingang in praktisch alle modernen Waffensysteme gefunden haben, verwischt damit zunehmend die Grenze zwischen militärischen und zivilen Systemen. Auch für die Rüstungskontrolle hat somit das postmoderne Zeitalter begonnen.

Zudem sind im letzten Jahrzehnt traditionelle Annahmen über die in Rüstungskontrollfragen relevanten Akteure und Gegnerschaften weitgehend hinfällig geworden. Die Konfliktlinien verlaufen nicht mehr zwischen zwei Weltanschauungen, sondern sind abhängig von Situationsbedingungen, die schnell wechseln können. Auch profitierte die Rüstungskontrolle während des Kalten Krieges von der Akteursstruktur, also der Teilung in zwei formale Allianzen, während es in vielen aktuellen Konflikten zunehmend schwieriger ist, die relevanten Akteure zu identifizieren. Zwar hat die Gefahr eines nuklearen Weltkrieges abgenommen, gleichzeitig treten aber an die Stelle dieser klar zu bestimmenden Bedrohung bisher unbekannte Gefahren für die internationale Sicherheit: schwache und instabile Staaten, die mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet sind, oder nicht-staatliche Akteure, die immer mehr an Bedeutung gewinnen. Als neue Herausforderung für die Rüstungskontrollbemühungen erweisen sich zunehmend die schwieriger werdende Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmonopols, die Verminderung der Zerstörungswirkung von Waffen und die Reduzierung ihrer Kosten.

2. Rüstungskontrolle zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Die Abrüstungsdekade der 90er Jahre, scheint endgültig beendet zu sein. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bahnt sich ein neues Wettrüsten an. Während die US-Regierung unverhohlen ihr Desinteresse an Rüstungskontrollverhandlungen zeigt und mit ihrer Politik auf militärische Stärke und Suprematie setzt, scheinen die Europäer mittlerweile Abrüstungsinitiativen weitgehend aufgegeben zu haben. Sogar bereits unterzeichnete Abkommen, wie der KSE-II-Vertrag, können nicht in Kraft treten, weil Deutschland das entsprechende Ratifikationsverfahren mit Rücksicht auf neue Bedenken der USA nicht betreibt. Dabei erfordern die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen gerade auch Antworten im Bereich der Rüstungskontrolle. Hierzu gehören vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, Verifikation sowie Nichtweiterverbreitung und Abrüstung. Ganz oben auf der Agenda steht die Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, aber auch des ungehinderten Transfers von konventionellen Waffen und Kleinwaffen. Nach wie vor gilt es, Rüstung zu begrenzen und konsequent abzurüsten, was nicht für die Sicherung des Friedens benötigt wird. Leider scheinen die USA und ihre Verbündeten als einzige Lehre aus dem 11. September, den Ausbau der militärischen Suprematie verbunden mit der Führung von Präventivkriegen gezogen zu haben.

Trotz dieser krisenhaften Entwicklungen sollten auch nicht die positiven Entwicklungen und Erfolge der neunziger Jahre vergessen werden: 1991 ist Südafrika dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NPT) beigetreten und hat seine bereits produzierten Nuklearwaffen vollständig vernichtet. Die drei "nuklearen Nachfolgestaaten" der Sowjetunion - die Ukraine, Belarus und Kasachstan - haben 1994 auf ihre Nuklearwaffen verzichtet und sind dem NPT beigetreten. Dieser wurde 1995 unbefristet verlängert, ihm gehören mittlerweile 187 Staaten an, also alle Staaten außer Indien, Pakistan, Israel und Kuba - bis auf Kuba allerdings alles de facto Nuklearmächte. 1996 einigte man sich nach jahrzehntelangen Verhandlungen über einen Vertrag über einen umfassenden nuklearen Teststopp (CTBT). Bedauerlich ist, dass die USA dieses wichtige Abkommen noch nicht ratifiziert haben. Offiziell werden Bedenken zur Verifizierbarkeit des Vertrages angeführt.

Im Kern ist die Ablehnung allerdings das Spiegelbild einer neuen Sicherheitsdoktrin der USA, welche besagt, alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Handlungsmöglichkeiten der Weltmacht einschränken könnten. Im Jahre 1997 trat das Übereinkommen über das weltweite Verbot chemischer Waffen (CWÜ) in Kraft, das bislang von 174 Staaten unterzeichnet und von 145 ratifiziert wurde. Der erweiterte KSE-Vertrag vom November 1999 senkt das Streitkräfteniveau in Europa um ca. 11.000 Waffensysteme.

Erweiterte Transparenz- und Verifikationsmaßnahmen in Bezug auf Dislozierung, Aufwuchs, Verlegung und Reduzierung von Truppen ergänzen die neuen Regelungen und unterstreichen die Schlüsselrolle des KSE-Vertrags für die europäische Sicherheit. Auf der Überprüfungskonferenz des NPT gaben die fünf offiziellen Atommächte 2000 eine Erklärung ab, die vollständige Abschaffung ihrer Arsenale bis zur vollständigen nuklearen Abrüstung zu betreiben. Am 24. Mai 2002 unterzeichneten die USA und Russland einen neuen Abrüstungsvertrag namens SORT/Strategic Offensive Reductions Treaty. Danach sollen die strategischen Nuklearwaffen von derzeit je rund 6.000 auf 1.700 bis 2.200 Sprengköpfe reduziert werden.

Problematisch ist die zeitliche Begrenzung des Vertrages und die fehlende Verifikation. Weiterhin ist positiv anzumerken, dass in jüngster Zeit zumindest in offiziellen Verlautbarungen Maßnahmen der Rüstungskontrolle wieder ein politischer Stellenwert beigemessen wurde. So haben sich die USA und die EU auf gemeinsame Schritte verständigt, um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu unterbinden. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am 20. Juni 2003 beschlossen, bestehende Nichtverbreitungsverträge zu stärken, Exportkontrollen zu intensivieren, die internationale Zusammenarbeit auszubauen und den politischen Dialog mit anderen Ländern zu vertiefen. Die G 8 haben eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, worin die Verträge gegen die Verbreitung von Atom-, Chemie- und Bio-Waffen ausdrücklich gewürdigt werden.

Daneben sind allerdings auch eine Vielzahl von negativen Entwicklungen und rüstungskontrollpolitischen Rückschlägen zu beklagen: Eine Reihe von wichtigen Verträgen sind nicht ratifiziert und daher nicht oder nur teilweise implementiert worden: der Open-Skies-Vertrag von 1992, der amerikanisch-russische START-II-Vertrag von 1993 über die Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen oder der Vertrag über einen Umfassenden Nuklearteststopp (CTBT) von 1996.

Andere Verhandlungen haben trotz jahrelanger Vorbereitungen noch nicht begonnen oder stecken in der Sackgasse, wie die Verhandlungen über ein Verbot der Militarisierung des Weltraums oder der Vertrag über einen Produktionsstopp für waffenfähiges Spaltmaterial (Cut off). Die Blockade der Genfer Abrüstungskonferenz geht mittlerweile ins siebte Jahr.

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4. Die Rolle der USA

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Die entscheidende Frage jedoch bleibt, was eine Rüstungskontrollpolitik leisten müsste, um Washington davon zu überzeugen, dass Prävention durch Rüstungskontrolle der Prävention durch Entwaffnungskriege allemal vorzuziehen ist. Sie müsste zweifelsohne effizienter, im Sinne von genauer und überprüfbarer, werden. Dies bedeutet in erster Linie die Entwicklung von klaren, wirksamen und überprüfbaren Verifikationsregimen. Verifikation wird somit zur Schlüsselfrage für künftige Rüstungskontrollabkommen, zumindest wenn diese die Zustimmung der USA erlangen sollen. Sollten die Vereinigten Staaten hingegen ihre gegenwärtige Obstruktionspolitik fortsetzen, so müsste man auch verstärkt über Gegenstrategien nachdenken.

Dies impliziert notfalls auch Regelungen und Rüstungskontrollvereinbarungen ohne die USA anzustreben. So hätte das Biowaffenüberprüfungsprotokoll auch ohne Washington implementiert werden können. 60 von 61 Staaten waren sich einig. Trotzdem scheiterte die Verabschiedung des Protokolls, weil sich die Amerikaner als einzige Delegation weigerten, dem Papier zuzustimmen. Die Bush-Administration begründete ihre Ablehnung damit, dass das Abkommen nicht verifizierbar sei, obwohl der Vertragsentwurf unter anderem die Einrichtung einer Kontrollbehörde vorsah, die in den Vertragsstaaten Vor-Ort-Inspektionen durchführen sollte.

Auch die amerikanische Seite sollte sich bewußt machen, dass Rüstungskontrolle maßgeblich dazu beigetragen hat, Vertrauen zwischen Ost und West zu schaffen. Sie hat wichtige Anreize geliefert und Ergebnisse gebracht. Gerade in Europa führte sie nicht nur zur Begrenzung oder Abrüstung, sondern sogar zur Vernichtung ganzer Waffenkategorien (INF-Vertrag). Abrüstung und Rüstungskontrolle war und ist ein Grundpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur. Rüstungskontrolle ist somit kein "überholtes Konzept", sondern gerade angesichts neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen notwendiger denn je. In einem Punkt jedoch hat die amerikanische Seite recht: Die veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen erfordern neue, innovative Konzepte der Verifikation mittels neuer Technologien vor allem im Bereich der Fernerkundung und der Informationstechnologien. M.a.W.: Rüstungskontrolle muss - wenn sie eine Zukunft haben soll - in der Lage sein, wirksame Verifikations- und Sanktionsmechanismen zu entwickeln, die auch für die USA glaubwürdig und attraktiv sind.

(...)

6. Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Für die Fort- und Weiterentwicklung von Abrüstung und Rüstungskontrolle führt das oben Ausgeführte zu einer Reihe von Schlussfolgerungen und Forderungen, mit denen der dar nieder liegende Prozess der Rüstungskontrolle wiederbelebt werden sollte. Dabei muss bedacht werden, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung mehr ist, als die Einhegung des Rüstungswettlaufs. Die Vertragsverhandlungen selbst und die Einrichtungen zur Kommunikation und zur Überwachung schaffen die Plattformen für weitere Vertrauens- und Vertragsbildungen. Hierzu gehören:

1. Intensivierung der Abrüstung: Rüstungskontrolle sollte darauf gerichtet sein, Abrüstung zu intensivieren und den Trend zur Abrüstung zu verstetigen. Dies ist besonders dringlich auf dem Gebiet der Nuklearwaffen. Das Versprechen der Nuklearmächte, vollständig nuklear abzurüsten, muss von entsprechenden Taten begleitet werden. Zudem sind - über die 1999 im Rahmen der KSE neu vereinbarten Festlegungen für konventionelle Streitkräfte in Europa hinaus - weitere substanzielle Abrüstungs- und Rüstungskontrollschritte möglich.

2. Verbesserung des Überwachungsregimes der IAEO: Zurecht weisen die USA darauf hin, dass das Safeguard-System der IAEO unzulänglich ist und die vollständige Verifikation der Vertragseinhaltung erfolgreich umgangen werden kann. Hierzu bieten sich mehrere Möglichkeiten an: Zum einen kann man das bestehende System auf der Basis des gültigen Vertragsdokuments reformieren, indem man beispielsweise das vorgesehene aber bislang ungenutzt gebliebene Instrument der "Sonderinspektionen" aktivieren würde. Hier böte sich der Iran eventuell als Testfall an. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin das Vertragswerk zu ergänzen und zu reformieren, indem man bspw. Verdachtsinspektionen einführt.

3. Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen: Ein besonders vielversprechendes Gebiet der Rüstungskontrolle sind die Bemühungen zur wirksamen Kontrolle der Proliferation von Kleinwaffen und leichten Waffen. Hier sollten die vorhandenen Ansätze im Rahmen der OSZE und der Vereinten Nationen weiter verfolgt und intensiviert werden.

4. Durchsetzung selektiver Initiativen: Obwohl es wichtig ist, dass die großen Mächte - und allen voran die USA - sich an Rüstungskontrolle und Abrüstung beteiligen, sollte man Einzelinitiativen gleich gesinnter Staaten nicht von vorn herein ausschließen, wenn die Großmächte die Zusammenarbeit versagen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Unterschriften wichtiger Regierungen unter Rüstungskontrollverträgen fehlen. Die Landminen-Konvention ist hier keine Ausnahme und macht deutlich, dass auch selektive Initiativen Fortschritte erreichen können.

5. Finanzielle und technische Abrüstungshilfe: Die Erhöhung der Abrüstungshilfe ist dringend erforderlich. Oft sind die Abrüstungskosten die entscheidende Hürde für eine schnelle und komplette Durchführung von Abrüstungsmaßnahmen, beispielsweise bei Landminen oder chemischen Waffen. Eine Reihe von Regierungen gewährt derartige Hilfen (v.a. die USA mit dem Nunn-Lugar-Programm), doch sind diese Beträge im Vergleich zu den weltweiten Militärausgaben minimal. Die Globale G8-Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Bestätigung auf dem Weltwirtschaftsgipfel von Evian, sind hier uneingeschränkt zu begrüßen.

6. Gegenüber der Gefahr chemischer und biologischer Waffen kommt es darauf an, ein dichtes Netz von Transparenzmaßnahmen zu entwickeln, die eine Früherkennung entsprechender Aktivitäten erlauben und der Staatengemeinschaft so die Chance zum rechtzeitigen Handeln geben. Die bestehenden Verträge sollten zügig und unter Einbeziehung wirksamer Verifikationsmaßnahmen ausgebaut werden.

7. Im Bereich der nuklearen Abrüstung sollten folgende Maßnahmen angestrebt werden: Ein umfassender Teststopp mit lückenloser Verifikation, die Erweiterung der Zugangsrechte der IAEO-Waffeninspektoren in allen Nichtkernwaffenstaaten, ein START-III-Abkommen, das die Arsenale der kleineren Kernwaffenstaaten mit einbeziehen und strikter Verifikation unterwerfen müsste sowie ein UN-Kernwaffenregister. Im Rahmen der Nato sollte die Frage der Abrüstung der nuklearen Kurzstreckenraketen wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.

8. Wirksame Kontrolle von Trägertechnologien: Entwicklung, Erwerb, Besitz und Weitergabe von militärischer Trägertechnologie sind bislang nicht durch völkerrechtliche Verbots- bzw. Nichtverbreitungsnormen geregelt und auch das Exportkontrollregime "Missile Technology Control Regime" (MTCR) ist in seiner Wirksamkeit beschränkt. Die Raketenproliferation hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen und birgt ernsthafte Risiken für die Stabilität und Sicherheit der betroffenen Regionen. Mit der Unterzeichnung des "Haager Verhaltenskodex gegen die Proliferation ballistischer Raketen" am 25. November 2002 wurde ein erster Schritt unternommen, um diese Lücke zu schließen.

9. Im OSZE-Rahmen bietet sich die Einrichtung einer OSZE-Agentur für Rüstungskontrolle und Abrüstung an, die aus dem Konfliktverhütungszentrum hervorgehen könnte.

10. Ziel europäischer Politik sollte eine wirksame Verknüpfung von Abrüstung und Nichtweiterverbreitung sein. Abrüstung muss zum Instrument der Bekämpfung der Verbreitung von MVW werden. Diese wiederum ist die Voraussetzung für weitere Abrüstung. Multilaterale Verträge und wirksamere Exportkontrollregime sollten als Teil einer gemeinsamen Strategie weiterentwickelt werden. Die transatlantische Erklärung vom 26. Juni 2003 geht in die richtige Richtung. Darin erkennen die Vereinigten Staaten die Bedeutung multilateraler Verträge an und erklären sich zumindest deklaratorisch zu einer gemeinsamen Strategie im Kampf gegen die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen bereit.

11. Entscheidend bleibt jedoch eine verbesserte Verifikation. Nur so wird man die Vereinigten Staaten mittel- bis langfristig wieder von der Sinnhaftigkeit internationaler Rüstungskontrolle überzeugen können. Verifikation braucht "Zähne" und Phantasie, um wirksam zu werden. Hierzu gehören unangemeldete Vor-Ort-Inspektionen, der Einsatz neuer Überwachungstechnologien und der Aufbau von qualifizierten unparteiischen Inspektorenteams, auf die im Bedarfsfall schnell und unbürokratisch zugegriffen werden können muss. Nach Vorbild der Stand-by Forces für Peacekeeping-Operationen, wäre auch der Aufbau von kompetenten Stand-by-Inspektionsteams in Betracht zu ziehen.

7. Fazit

Der bilaterale Rüstungskontrollansatz des Kalten Krieges ist obsolet geworden. Neue multilaterale Ansätze müssen gefunden werden, um die unkontrollierte Weiterverbreitung von neuen Rüstungstechnologien zu regeln und zu begrenzen. Rüstungskontrolle wandelt sich zunehmend von einem erfolgsorientierten zu einem prozessorientierten Ansatz. Probleme auf diesem dornigen Weg sind die unterschiedlichen Militärpotenziale und Einsatzdoktrinen, die verschiedenen Rechtskulturen und die fortschreitende Weiterverbreitung. Angesichts der rüstungstechnischen und militärischen Überlegenheit der USA und dem augenscheinlichen Desinteresse der augenblicklichen Administration, wird Rüstungskontrolle immer schwieriger umsetzbar. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist die Stabilisierung essenzieller Rüstungsregime in Europa (KSE) wie Weltweit (NPT) dringend geboten.

Eine vorausschauende Behandlung impliziert auch, vorhandene Verträge "krisenfest" zu machen. Eine Betonung kooperativer Sicherheit an den Grenzen Europas im Hinblick auf den Nahen/Mittleren Osten und Asien erscheint ebenso geboten zu sein, wie die Erarbeitung neuer Initiativen im Bereich neuer Technologien und Kleinwaffen. Regionale Initiativen haben dabei nicht nur den Vorteil, den Rüstungswettlauf zu bearbeiten, sie erzielen in der Regel auch einen Spin-off-Effekt, da die Gespräche, Ergebnisse und Verfahren zumeist der Beginn für Vertrauens- und weitere Regimebildungen sind. Darüber hinaus muss die Rüstungskontrolle der Zukunft den neuen asymmetrischen Kriegsbildern (Terrorismus, Bürgerkriege, Low Intensity Warfare etc.) angepasst werden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Rüstungskontrolle vor dem Hintergrund weiterhin enormer Rüstungsstände in Europa, der verstärkten technologischen Dynamik und internationaler Technologiekonkurrenz, des sich ausweitenden Welthandels, der fortschreitenden militärtechnologischen Revolution, ungelöster regionaler Konflikte und fehlender Konfliktlösungsmechanismen vor völlig neuen Herausforderungen steht. Dabei müssen sowohl die Erfolge der bisherigen Rüstungskontrollbemühungen gegen machtpolitische Alleingänge der USA gesichert werden, als auch die neuen Herausforderungen durch die zunehmende Kommerzialisierung und Privatisierung von Rüstung und Sicherheit bewältigt werden.

Internationale und regionale Abkommen zur Kontrolle und Abrüstung der vorhandenen Waffenarsenale verbunden mit der Einhaltung und gegebenenfalls Verschärfung von Rüstungsexportrichtlinien bleiben unverzichtbare Instrumente, um der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und konventionellen Waffen aller Art Einhalt zu gebieten. Die Behauptung, die klassischen Instrumente der Rüstungskontrolle funktionierten nicht mehr ist ein wohlfeiles Argument, das in Washington bereits Anfang der neunziger Jahre formuliert wurde: Rüstungskontrolle und Verifikation wird es niemals flächendeckend und allumfassend geben. Auch künftig wird es Möglichkeiten geben, Rüstungskontrollverträge und die darin enthaltenen Kontroll- und Überprüfungsmechanismen zu umgehen bzw. zu unterlaufen. Gleichwohl gibt es zur vertragsbasierten und verifizierbaren Rüstungskontrolle nur eine Alternative. Ein weltweites nukleares, chemisches und biologisches Wettrüsten. Ein solches kann auch nicht im Interesse der USA liegen. Die Risiken, die aus der Trias der Bedrohung von transnationalem Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und zerfallenden Staaten resultieren, sind jedenfalls mit nachrichtendienstlichen, rüstungskontrollpolitischen und polizeilichen Instrumentarien wirksamer zu bekämpfen, als durch militärische Interventionen.

* Dr. Rolf Mützenich, 44, ist seit 2002 SPD-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Köln 3. Der Diplom- Politikwissenschaftler gehört dem Auswärtigen Ausschuss sowie dem Unterausschuss "Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung" an.
Matthias Z. Karádi ist Politikwissenschaftler sowie wissenschaftlicher Referent und Büroleiter Mützenichs.



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