Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Waffen unter Kontrolle!" – Für ein verbindliches internationales Waffenkontrollabkommen!

Weltweite Kampagne von amnesty international, Oxfam und IANSA - Informationen und Hintergründe

Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung zum Start einer weltweiten Kampagne gegen die unkontrollierte Verbreitung und den Missbrauch von Waffen, die von den Initiatoren am 9. Oktober 2003 veröffentlicht wurde.
Daran schließt sich ein Argumentationspapier an, in dem die wichtigsten Fakten und Hintergründe der Kampagne vorgestellt werden.



Pressemitteilung

Berlin, 9. Oktober 2003 – Die unkontrollierte Verbreitung und der Missbrauch von Waffen sind Ursachen vieler Menschenrechtsverletzungen. Trotzdem wird der internationale Waffenhandel kaum kontrolliert. Diesen Missstand will die weltweite Kampagne „Waffen unter Kontrolle!“ beenden, die amnesty international, Oxfam und das Internationale Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen (IANSA) heute mit Aktionen in über 60 Ländern starten. Ziel ist ein rechtlich verbindliches internationales Abkommen, das alle Rüstungstransfers strikt kontrolliert sowie völker- und menschenrechtsverletzende Waffengeschäfte verbietet.

Zum Start der Kampagne erscheint ein ausführlicher Bericht. Er belegt: Gräueltaten, Konfliktverschärfung, Menschenrechtsverletzungen, Unterentwicklung, Armut, Gewalt, ständige Angst und Unsicherheit – dies alles sind die Folgen der Ausbreitung und des Missbrauchs von Rüstungsgütern.

“Vor allem so genannte Klein- und Leichtwaffen töten jährlich 500.000 Menschen auf der Welt, darunter immer mehr Zivilisten“, sagte Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen ai-Sektion. "Die Staatengemeinschaft ist in der Pflicht, endlich den Teufelskreis von Waffenhandel, Menschenrechtsverletzungen und Unterentwicklung zu durchbrechen. Es ist höchste Zeit für einen internationalen Pakt zur Rüstungsexportkontrolle."

"Unkontrollierte Rüstungstransfers haben weltweit katastrophale Konsequenzen – vor allem für die Ärmsten", sagte Paul Bendix, Geschäftsführer von Oxfam Deutschland, "Die Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung werden durch Rüstungsausgaben und Waffenmissbrauch zunichte gemacht. Es ist Aufgabe der Politik in allen Ländern, den Menschen Sicherheit und Schutz vor Übergriffen zu gewährleisten.“

Obwohl die Bundesregierung nach eigenen Angaben eine restriktive Rüstungsexportpolitik verfolgt, ist Deutschland einer der weltweit größten Rüstungsexporteure. Dabei genehmigt die Bundesregierung immer wieder auch Exporte an Staaten mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen – so Munitionsfabriken für die Türkei und Nepal. "Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen und der Rhetorik Taten folgen lassen. Bei Exportentscheidungen müssen die Menschenrechte endlich konsequent berücksichtigt werden. Genehmigte Rüstungslieferungen müssen umfassend offengelegt werden", forderte Dr. Mathias John, Rüstungsexperte der deutschen ai-Sektion.

Den Bericht "Shattered Lives: The Case for tough international arms controls" erhalten Sie als Download über die Homepage der Kampagne www.controlarms.org.

***

„Zerstörte Leben“
Die Notwendigkeit starker internationaler Waffenkontrollen

(Zusammenfassung des Berichts zur Kampagne)

„Es ist, als ob wir den Boden aufwischen, während der Wasserhahn läuft. Ein Kugelhagel dauert nur fünf Minuten, aber es kostet drei Stunden Zeit und enorme Ressourcen, um einen Menschen wieder herzustellen.“ (Dr. Olive Kobusingye, Unfallchirurg in Uganda)

Waffen fördern Armut und Leid

Jeden Tag leben Millionen Männer, Frauen und Kinder in Angst vor bewaffneter Gewalt. Jede Minute wird ein Mensch getötet. Von den Gangs in Rio de Janeiro und Los Angeles bis zu den Bürgerkriegen in Liberia und Indonesien: Die Waffen sind außer Kontrolle.

Die unkontrollierte Verbreitung von Waffen und ihr Missbrauch durch staatliche Sicherheitskräfte und bewaffnete Gruppen vernichtet Menschenleben, Existenzen und Chancen, der Armut zu entkommen. Die Länder in Afrika und Asien, im Mittleren Osten und Lateinamerika geben pro Jahr durchschnittlich 22 Mrd. US-Dollar für Waffen aus – ein Betrag, mit dem sie in der Lage wären, zwei der Millennium- Entwicklungsziele zu erreichen: Grundbildung für alle (geschätzt jährlich 10 Mrd. USDollar) und drastische Reduzierung der Kinder- und Müttersterblichkeit (geschätzt jährlich 12 Mrd. US-Dollar).

Oxfam und Amnesty International erleben weltweit in ihrer täglichen Arbeit den Missbrauch von Waffen, der kriegerische Konflikte anheizt, Armut fördert und zu Verletzungen der Menschenrechte führt.

Die Waffen sind außer Kontrolle

Die Auswirkungen der massenhaften Verbreitung und des Missbrauchs von Waffen haben einen kritischen Punkt erreicht. Der „Krieg gegen den Terror“ hätte die Aufmerksamkeit der Politik darauf lenken müssen, Waffen nicht in die falschen Hände geraten zu lassen. Doch das Gegenteil geschah: Seit den Anschlägen auf das World Trade Center und auf das Pentagon vom 11. September 2001 haben einige Exportstaaten ihre Kontrollen gelockert, um ihre neuen Verbündeten gegen den „Terrorismus“ aufzurüsten – ungeachtet deren Missachtung internationaler Menschenrechte. Trotz des Schadens, den diese Waffen anrichten, gibt es noch immer kein bindendes, umfassendes internationales Recht, das die Ausfuhr von konventionellen Waffen kontrolliert.

Gleichzeitig beobachten wir weltweit einen langfristig Wandel, indem Waffen mehr und mehr zum Alltag vieler Gemeinden und Städte gehören – und somit immer häufiger als Todesursache auftreten. Von den Hirtennomaden im nördlichen Uganda bis zu den Gangs in Rio de Janeiro: Das Tragen von immer gefährlicheren Waffen und ihr Gebrauch werden zur Norm.

Jetzt handeln

Jede Regierung hat die Pflicht, Waffen zu kontrollieren: sowohl die Verbreitung im eigenen Land, um ihre eigenen Bürger zu schützen, als auch den Export in andere Länder, um die weltweite Achtung der internationalen Menschenrechte zu gewährleisten. Die mächtigsten Regierungen der Welt - gleichzeitig die größten Waffenlieferanten - tragen die größte Verantwortung, den weltweiten Handel zu kontrollieren. Die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China – sind zusammen für über 88 Prozent aller konventionellen Waffenexporte verantwortlich; und diese Waffen tragen regelmäßig zu schweren Menschenrechtsverletzungen bei.

Alle Regierungen stehen vor einer entscheidenden Herausforderung: Sie müssen zusammenarbeiten, um die Ausbreitung von Waffen und ihrer Produktion zu kontrollieren und einzudämmen. Zumindest dürfen die exportierenden Staaten in keinem Fall Waffen dorthin liefern, wo klare Indizien dafür sprechen, dass sie zur Verletzung der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts eingesetzt werden. Jedoch, um nochmals mit dem ugandischen Chirurgen zu sprechen: Es reicht nicht, entweder den Fußboden zu aufzuwischen oder den Wasserhahn zuzudrehen – es geht darum, sich sowohl um den Waffenhandel als auch um die Sicherheit auf lokaler Ebene zu kümmern. Für Gemeinwesen, die von derartiger Gewalt direkt betroffen sind, ist es daher lebenswichtig, bei der Beseitigung der tödlichen Waffen zu kooperieren. Dabei müssen Frauen, Männer und Kinder von rechtmäßigen Sicherheitskräften, die die Menschenrechte respektieren, ausreichend geschützt werden.

Oxfam und Amnesty International sind überzeugt, dass es möglich ist, die Ausbreitung der Waffen zu kontrollieren. Die Konvention über das Verbot von Antipersonenminen aus dem Jahr 1997 resultierte aus dem Zusammenspiel von engagierten Regierungen und weltweiter öffentlicher Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Obwohl die Geißel Landminen noch nicht vollständig beseitigt ist, handelt seit 1997 kein Land mehr offen mit Antipersonenminen. Die gleiche Kombination aus öffentlichem Druck und verbündeten Regierungen benötigen wir, um auch ein Abkommen zum Waffenhandel zu erreichen.

Gegenwärtig handeln Regierungen zu langsam, um Waffen zu kontrollieren. Amnesty International und Oxfam schlagen deshalb sofortige, koordinierte Aktionen vor, von der lokalen bis zur internationalen Ebene. Nur so können die Verbreitung und der Missbrauch von Waffen wirksamer kontrolliert werden.

Auf internationaler Ebene

Hauptziel: Die Regierungen werden aufgefordert, einem weltweiten Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels bis 2006 zuzustimmen. Damit soll verhindert werden, dass Waffen in Gebiete gelangen, wo anzunehmen ist, dass sie zu Verletzungen der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts missbraucht werden.

Die Regierungen sollten:
  1. Bis zur UN-Folgekonferenz zu Kleinwaffen im Jahr 2006 ein internationales Waffenhandelsabkommen unterzeichnen. Fortschrittliche Regierungen müssen sich in internationalen und regionalen Foren für das Waffenhandelsabkommen einsetzen und weitere Regierungen dafür gewinnen. Nötigenfalls muss dies auch außerhalb des UN-Prozesses geschehen. Einmal in Kraft, wird dieser neue und rechtlich bindende Vertrag bewirken, dass alle Staaten nach den selben Standards handeln, um verantwortungslose Waffengeschäfte zu verhindern, die zu Verletzungen der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts führen würden.
  2. Neue internationale Instrumente schaffen, um verantwortungslose Waffengeschäfte, Transport, Finanzierung und ausländische Lizensproduktion von Waffen zu verhindern. Der Entwurf des Waffenhandelsabkommen bietet dabei die Kriterien, um verantwortungslose Geschäfte zu identifizieren und zu verhindern.
  3. Mehr finanzielle Mittel bereitstellen, um die von Waffengewalt betroffenen Gemeinden konkret zu unterstützen – insbesonders durch Fördergelder aus Waffen produzierenden Ländern.
Auf regionaler Ebene

Hauptziel: Die Regierungen werden aufgefordert, regionale Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels zu entwickeln und zu stärken, um die internationalen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht zu verteidigen.

Benachbarte Regierungen müssen eng zusammenarbeiten, um regionale Waffenkontrollen zu veranlassen oder zu verstärken – aufbauend auf der Arbeit in den einzelnen Ländern. Diese Kontrollen sollten erstens Waffentransfers betreffen, indem wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um Angebot und Nachfrage für Waffen zu begrenzen. Zweitens muss die allgemeine Verfügbarkeit von Waffen eingeschränkt werden, um die Lebensbedingungen der Menschen sicherer zu machen. Die Zusammenarbeit mehrerer Staaten bietet die Chance, Informationen und Erfahrungen auszutauschen und Konsens über regionale Politik und Programme zu erzielen.

Auf nationaler Ebene

Hauptziel: Die Regierungen werden aufgefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die Kapazitäten zu erhöhen, um Waffentransfers zu kontrollieren und ihre Bürger vor bewaffneter Gewalt zu schützen – im Einklang mit internationalem Recht und internationalen Standards.

Um den Missbrauch von Waffen zu verhindern, muss jede Regierung:
  1. Sicherstellen, dass Sicherheitskräfte verantwortungsvoll mit Waffen umgehen und sich dabei strikt auf Grundlage der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts bewegen. Dabei sind eine geeignete Ausbildung, Disziplin und Kontrolle zu gewährleisten. Alle Staaten müssen die UN-Prinzipien für den Einsatz von Gewalt und Schusswaffen durch staatliche Sicherheitskräfte, den UN-Verhaltenskodex für staatliche Sicherheitskräfte, die Genfer Konvention und weitere relevante internationale Regelungen befolgen. Die Regierungen müssen die darin enthaltenen Bedingungen in ihr jeweiliges Rechtssystem integrieren.
  2. Unmittelbar nach Beendigung von Konflikten mit internationalen Gremien zusammenarbeiten, um umfassende Abrüstung, Demobilisierung und Wiedereingliederungsprogramme durchzuführen.
  3. Unabhängige Mechanismen etablieren, um unverzüglich Personen vor Gericht zu stellen und angemessen zu bestrafen, die sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig machen.
  4. Bestehende Gesetze durchsetzen oder neue entwerfen, um die Ein- und Ausfuhr, den Transit, die Herstellung, den Verkauf, die Verbreitung und den Gebrauch aller Waffen zu kontrollieren. Die Grundsätze, die im Entwurf des Waffenhandelsabkommens skizziert sind, sollten angewendet werden, wenn Entscheidungen zu Waffenexporten getroffen werden. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Menschenrechte, internationales humanitäre Völkerrecht und eine nachhaltige Entwicklung nicht unter kommerziellen Interessen leiden.
  5. Transparenz und Kontrolle über Produktion, Besitz und Austausch von Waffen herstellen, indem die Öffentlichkeit regelmäßig und gründlich informiert wird. Entsprechende Berichte sollten regelmäßig von den Parlamenten geprüft werden.
  6. Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft einen Aktionsplan für die strenge Kontrolle aller Waffen umsetzen. Der erste Schritt dazu ist, einen Überblick über Probleme der Sicherheit, der Verfügbarkeit sowie des Missbrauchs von Waffen zu gewinnen. Anschließend müssen Lösungen entwickelt und ein Aktionsplan umgesetzt werden. In jeder Phase muss die Zivilgesellschaft eng einbezogen werden.
Auf lokaler Ebene

Hauptziel: Institutionen der Zivilgesellschaft und lokale Behörden sind aufgefordert, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit auf lokaler Ebene zu verbessern, indem die Nachfrage und die Verfügbarkeit von Waffen reduziert werden.

Die Sicherheit in lokalen Gemeinschaften muss durch folgende Maßnahmen verbessert werden:
  1. Das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unbewaffneter Sicherheit wiederherstellen, indem
    • die Menge der im Umlauf befindlichen überzähligen und illegalen Waffen verringert wird. Dies kann erreicht werden durch Schaffung von waffenfreien Zonen, durch Beseitigung von illegalen Waffen, die zur Verletzung von Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts verwendet werden könnten, und durch Vernichtung von überzähligen Waffen,
    • Beziehungen und Vertrauen zwischen verfeindeten Gruppen ebenso wie zwischen lokalen Gemeinschaften und der Polizei aufgebaut werden,
    • Aufklärungsarbeit zur Sicherheit in lokalen Gemeinschaften stattfindet, um der Kultur der Gewalt zu begegnen – insbesondere dem zerstörerischen Zusammenhang von Waffen und weit verbreiteten Vorstellungen von Männlichkeit,
    • Instrumente zur friedlichen Konfliktlösung initiiert und angewendet werden.
  2. Hilfen für die Opfer von bewaffneter Gewalt bereitstellen.
  3. Personen, die ihren Lebensunterhalt mit bewaffneter Gewalt bestreiten, friedliche ökonomische Lebensgrundlagen als tragfähige Alternative ermöglichen.


Zurück zur Rüstungsexport-Seite

Zur Kleinwaffen-Seite

Zurück zur Homepage