Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zugvögel nach Indien und Pakistan

Bundesregierung besorgt das Geschäft deutscher Rüstungskonzerne in Spannungsgebieten

Von René Heilig *

Die Bundeswehr wird seit Jahren kleiner, ihr Bedarf an Großwaffensystemen sinkt. Dennoch verfallen die deutschen Rüstungskonzerne in keinen Jammergesang, denn: 70 Prozent der Kriegsprodukte gehen inzwischen ins Ausland – mit Hilfe der Bundesregierung auch illegal in Spannungsgebiete wie Indien und Pakistan.

Vor dem G20-Gipfel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den deutschen Exportüberschuss verteidigt. »Unsere Exporterfolge belegen, wie wettbewerbsfähig deutsche Produkte sind.« Das gilt für Rüstungsgüter in besonderer Weise. Die Hersteller wachsen – entgegen den bestellten Warnrufen von Betriebsräten. Noch vor zehn Jahren war man vor allem auf Bundeswehr-Aufträge angewiesen, jetzt bleiben nur knapp 30 Prozent in Deutschland. Das Stockholmer SIPRI-Institut stellte fest, dass Deutschland den Wert seiner Rüstungsexporte zwischen 2005 und 2009 im Vergleich zum Zeitraum 2000 bis 2004 verdoppeln konnte. Mit jährlich rund 2,5 Milliarden Euro hat Deutschland einen Weltmarktanteil von elf Prozent und ist nach den USA und Russland die Nummer 3 unter den Todesverkäufern.

Ende September war Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) zu einem offiziellen Besuch in Indien. Er wurde begleitet von Vertretern der Rüstungsunternehmen ThyssenKrupp Marine System AG, der Westerwälder Eisenwerk GmbH, von Krauss-Maffei Wegmann, Grob Aircraft, Atlas Elektronik, Carl Zeiss Optronics, der EADS-Rüstungssparte Cassidian sowie von Diehl. Auch als Außenminister Guido Westerwelle (FDP) Mitte Oktober in Indien war, hatte er einen EADS-Rüstungsvertreter »im Gepäck«.

Obwohl die geltenden Rüstungsexportrichtlinien die Ausfuhr von Kriegsgerät in Spannungsgebiete generell verbietet, behält sich die schwarz-gelbe Bundesregierung »eine Einzelfallprüfung unter Einbezug von wirtschaftlichen und politischen Aspekten in den Empfängerländern bei der Genehmigung von Rüstungsgütern vor«, heißt es in einer aktuellen Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. Dabei kann – auch nach bisherigen Auskünften der Bundesregierung – kein Zweifel daran bestehen, dass zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan Spannungen entstehen. Und das in einer Region, die durch den Afghanistan-Krieg zum Pulverfass geworden ist.

Die »Flankierung der Exportvorhaben erfolgt im Rahmen von Treffen mit hochrangigen Regierungsvertretern. Auf Anfrage der Industrie wird diese in Bereichen unterstützt, in denen eine regierungsseitige Mitwirkung erforderlich ist.« Bei seinen Gesprächen in Indien habe auch Brüderle »auf Rüstungsexportvorhaben der deutschen Industrie aufmerksam« gemacht. Unter anderem versucht die Regierung den Verkauf von Eurofightern nach Indien zu unterstützen. Dazu hat die Luftwaffe im vergangenen Jahr mehrere Kampfjets zur Luftfahrtmesse AirIndia überführt. Der Werbeflug dauerte dem Bericht zufolge 96 Stunden und kostete 7,1 Millionen Euro.

Parallel zum Brüderle-Besuch in Indien hat das deutsche Verteidigungsministerium einen Vertreter samt Industrie-Anhang nach Pakistan geschickt, »um mögliche Unterstützungsleistungen bei der Qualitätssicherung des Vorhabens U-Boote U214 zu sondieren«. Die Reisekosten habe die »Industrie übernommen«.

2009 genehmigte die Regierung in Richtung Indien 291 Rüstungsexportanfragen im Gesamtwert von 67,9 Millionen Euro. Nach Pakistan gingen 2009 Kriegswaffen für 45,5 Millionen Euro. Seit 2007 sicherte der Bund 18 genehmigungspflichtige Dual-Use-Exporte mit Hermes- Krediten ab.

* Aus: Neues Deutschland, 12. November 2010


Zu weiteren Beiträgen über Rüstung und Rüstungsexport

Zur Indien-Seite

Zurück zur Homepage