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"Grünes Kanonenboot"

Gedankenspiele in der Bundestagsfraktion der Grünen

Die Meldung

Am 14. September 2000 erschien in der taz, der man einen besonderen Draht zu grünen Kreisen nachsagt, ein Artikel über zwei Papiere, die in der grünen Bundestagsfraktion kursierten und einigen fraktionsinternen Staub aufgewirbelt haben. Das eine Papier stammt aus dem Umfeld des grünen Außenministers Fischer und hat daher politisches Gewicht. Über den oder die Urheber/in des zweiten Papiers werden keine Angaben gemacht. Beide Papiere haben es aber in sich oder, wie die Süddeutsche Zeitung (15.09.00) titelt, es sind "Kopfgeburten mit Sprengwirkung": Sie stellen die im Januar 2000 vom Bundeskabinett verabschiedeten Rüstungsexportrichtlinien in Frage - zugunsten eines gezielteren Einsatzes von Waffenexporten als Instrument deutscher Interessenpolitik.

Im taz-Artikel (Autorin: Severin Weiland) heißt es u.a.:

Bei den Grünen zeichnet sich ein Grundsatzstreit um den Umgang mit Rüstungsexporten ab. In zwei internen Papieren von Mitarbeitern der Bundestagsfraktion wird erstmals der Rüstungsexport auch als Mittel zur politischen Einflussnahme erörtert. "Auf Dauer werden die Menschenrechte als Hauptkriterium nicht tragen", schreibt Reinhard Weißhuhn, der im Bundestagsbüro von Außenminister Fischer arbeitet.
...
Nach Ansicht Weißhuhns könnte eine Debatte dazu beitragen, eine "bewusste, in ihren Konsequenzen hinreichend klare Position zum Rüstungsexport insgesamt zu formulieren bzw. zu bestätigen und öffentlich vertreten zu können". Der gegenwärtige Zustand der Grünen in dieser Frage, so der Mitarbeiter Fischers, wirke "nach außen außerordentlich unbefriedigend, defensiv bis hilflos". Die Verknüpfung mit Menschenrechten diene "eher dem Versuch, möglichst viele Rüstungsexportgeschäfte zu verhindern". Dies sei ein "pragmatisches, auch taktisches Vorgehen, aber noch kein hinreichendes Prinzip", heißt es in dem der taz vorliegenden Papier.

Über das andere Papier wird nur wenig mitgeteilt. Es scheint aber in eine ähnliche Richtung zu gehen:
In einer weiteren fraktionsinternen Analyse zu weltweiten Waffengeschäften wird die Frage nach einer "politisch motivierten Steuerung des Rüstungsexports" aufgeworfen. Dies müsse nicht zwangsläufig eine Liberalisierung des Exports bedeuten. Im Zusammenhang mit dem internationalen Einsatz der Bundeswehr werde sogar die Notwendigkeit einer restriktiven Ausfuhrpolitik zunehmen, damit die Rüstungsgüter eines Tages nicht gegen die Exporteure selbst oder "ihre Soldaten zum Einsatz kommen".

Interessant an der letzten Äußerung sind drei Dinge:
Einmal die Beschwichtigung, eine "politische Steuerung des Rüstungsexports" müsse "nicht zwangsläufig" zu einer "Liberalisierung des Exports führen. Ist denn eine an den "Menschenrechten" orientierte Exportpolitik, so wie sie in den Exportrichtlinien der Bundesregierung und übrigens auch im Kodex der Europäischen Union (1998) verlangt wird, keine "politische" Steuerung? Hat Politik denn nichts mit Menschenrechten zu tun? Wenn es diesen Gegensatz zwischen Politik und Menschenrechten, der hier konstruiert wird, gibt, dann hätte so mancher rot-grüner Spitzenpolitiker in den vergangenen zwei Jahren keine Politik getrieben, so häufig war von "Menschenrechten" die Rede!
Zum Zweiten: Dass es "nicht zwangsläufig" zur Liberalisierung des Rüstungsexports komme, mag allenfalls Zeitgenossen beruhigen, die mit grünen Tomaten vor den Augen herumlaufen. Der Satz kann nämlich auch so verstanden werden: Zu einer Liberalisierung der Waffenexporte wird es kommen, aber nicht "Zwangsläufig", sondern - vielleicht - willkürlich, gezielt, absichtlich, gewollt, von Fall zu Fall (Zutreffendes bitte unterstreichen).
Drittens haben die Grünen wenigstens nicht verlernt, Visionäres zu denken. Eine "restrikivere" Exportpolitik sei ja immerhin auch möglich, weil man künftig sehr genau überlegen müsse, ob das Empfängerland von deutschen Waffen diese nicht irgendwann einmal gegen den Absender wenden könnte. Warum dieses? Weil vermutlich die "internationalen Einsätze" der Bundeswehr zunehmen werden. Da wird nicht etwa die Frage gestellt, ob solche internationalen Einsätze vertretbar oder vernünftig sind; nein, sie werden als etwas Gegebenes hingenommen. Bei den Rüstungsexporten muss dann eben nur darauf geachtet werden, dass die Waffen nicht in die "falschen", bzw. dass sie nur noch in die "richtigen" Hände gelangen. Politische Erfahrung lehrt allerdings, dass beim Zustand der Welt diese Frage häufig gar nicht, sehr häufig falsch und selten richtig beantwortet werden kann.


Die Reaktionen

Unter der Überschrift "Grünes Kanonenboot" veröffentlichte am 15. September die taz einen Leitartikel von Patrik Schwarz, der aufhorchen lässt. Handelt er doch um sich verdichtende Gerüchte, dass innerhalb der Grünen, insbesondere im Umfeld des Bundesaußenministers Fischer, Überlegungen auftauchen, die Rüstungsexportrichtlinien den neuen Gegebenheiten anzupassen. Kurz gesagt: Es geht darum, moralische Grundsätze außen vor zu lassen und auch die Rüstungsexporte als politisches Mittel deutscher Interessenpolitik in der Welt einzusetzen.

Der taz-Kommentar beginnt mit der Feststellung: "Kanonenbootpolitik gilt eigentlich als Spezialität von Kaiser Wilhelm Zwo. Seit gestern (also seit 14.09.00, P.S.) müssen die Grünen sich mit dem Verdacht herumschlagen, durch das Verhökern von Kanonenbooten und anderlei Rüstungsgütern den deutschen Einfluss in der Welt fördern zu wollen." Dies lässt in der Tat aufhorchen. Welche Schweinerei wird da zu Tage gefördert? Doch Gemach: Der reißerische Anfang des Artikels wird sogleich gedämpft mit der etwas kryptischen Einschränkung: "Dass ein internes Papier der grünen Bundestagsfraktion diesen Eindruck erwecken konnte, liegt zuerst einmal an grünen Reflexen."

Die taz war schon immer ein guter Ratgeber der Grünen. Deshalb fährt der Kommentator fort:

Manche Worte sollten Grüne wirklich besser nicht verwenden - zu sicher ist, dass sie von anderen Grünen missverstanden werden. "Interessenpolitik" ist so eine Vokabel. Die Autoren der Analyse werfen die Frage auf, ob Rüstungsexporte nicht künftig als Instrument deutscher Interessenpolitik verstanden werden müssten - und ernten dafür prompt Empörung. Doch zu keinem Zeitpunkt wollten irgendwelche Grünen den Schutz der Menschenrechte als Maßstab für Regierungshandeln aufgeben. Das Papier drängt vielmehr die Fraktion dazu, eine unangenehme Frage zu beantworten: Gibt es auch Rüstungsexporte, zu denen Grüne Ja sagen können?

Die Frage ist durchaus berechtigt. Derzeit entscheidet sich die Partei weder für ein Ja noch ein Nein. Auf diese Weise haben sich die Grünen im Fall der Munitionsfabrik für die Türkei in eine absurde Position manövriert: Einerseits lehnen sie per formellen Fraktionsbeschluss die Lieferung als Verstoß gegen die Rüstungsexportrichtlinien ab - andererseits lassen sie zu, dass die rot-grüne Bundesregierung der Fabrik ihren Segen erteilt.

Durchaus zu Recht regen die Autoren des Papiers mehr Mut zur Klarheit an. Entweder entscheiden sich die Grünen bei Rüstungsexporten für Fundamentalopposition. Damit ersparen sie sich in Zukunft die Qualen der Entscheidung bei jedem neuen Rüstungsgeschäft. Oder aber sie unterscheiden künftig zwischen guten und schlechten Waffenexporten - für Grüne zugegeben schwierige Kategorien. Als Handreichung für diese Unterscheidung zwischen Gut und Böse war das fatale Wort von den deutschen Interessen gemeint - wobei die Menschenrechte ausdrücklich als Teil der Interessen der rot-grünen Bundesrepublik verstanden werden.

Die Wortwahl war es also! Die Verfasser der zitierten Papiere haben ja Recht, so die Botschaft der taz, aber warum reden sie denn plötzlich von "deutschen Interessen", wenn sich die Vokabel "Menschenrechte" so viel besser anhört? Im Grunde also nur ein "Kommunikationsproblem"? Der Schlusssatz in der taz lautet:
Bei allen Problemen, die dieser Zugang aufwirft, bietet er eine Chance: Wer gute Exporte in gute Staaten befürwortet, kann bei den bösen Exporten in böse Staaten hoffentlich wirkungsvoller protestieren. Fragt sich nur, ob eine Munitionsfabrik für die Türkei gut oder böse ist.

Wir für unseren Teil fragen uns das nicht, sondern haben eine Antwort parat: Rüstungsexporte in die Türkei sind abzulehnen, weil die türkische Armee einen grausamen Krieg im Inneren gegen die kurdische Bevölkerung führt und Menschenrechte massiv verletzt.
Ähnlich sehen das auch grüne Abgeordnete, die sich gegen die zitierten Papiere zur Wehr setzen, in ersten Stellungnahmen (nach taz vom 15.09.00) waren das Claudia Roth, die grüne Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, und Christian Sterzing, Koordinator des Fraktions-Arbeitskreises Außenpolitik und Abrüstung. Beide wiesen die Gedankenspiele als "Angriff" auf die Rüstungsexportrichtlinien zurück. Sie zu ändern, bestehe überhaupt kein Anlass, vielmehr müsse man darüber nachdenken, wie die in den Richtlinien verankerten Grundsätze besser "umgesetzt" werden können. Weiter heißt es in der taz:

"Deshalb zu sagen, das Menschenrechtskriterium hält auf Dauer nicht, diskreditiert Menschenrechtspolitik", kritisiert Roth, "es geht dabei nicht um grüne Träumerpolitik." Wenn die Autoren der Analyse die Exportrichtlinien als "ein Placebo für die grüne Seele" beschrieben, würden sie die Bedeutung der Menschenrechte für die Außenpolitik verkennen. Rot-Grün habe sich bei Waffengeschäften auf eine restriktive Linie geeinigt, weil ihr Ziel die Zivilisierung der Außenpolitik und die Stärkung der Krisenprävention sei. Die Bundesrepublik unterscheide sich damit bewusst von der primär interessengeleiteten Politik anderer Staaten.

Sterzing und Roth bestreiten, dass die Grünen beim Thema Rüstungsexporte zwangsläufig in die Defensive geraten müssen. In der Analyse heißt es: "Der gegenwärtige Zustand wirkt vor allem nach außen außerordentlich unbefriedigend, defensiv bis hilflos." Sterzing hält dagegen, es gebe auch in der SPD-Fraktion zahlreiche Gegner einer laxen Exportpolitik, die sich im Fall der Munitionsfabrik allerdings nicht öffentlich zu Wort gemeldet hätten.

Winfried Nachtwei

Winfried Nachtwei, MdB-Bü90/Grüne, äußerte sich in einem e-mail an uns über die Munitionsfabrik wie folgt:
Der Beschluss des Bundessicherheitsrates zur Munitionsfabrik fiel vor Monaten gegen die Stimmen von Aussen- und EntwicklungsministerIn. Wenn es Konsens ist in der Koalition, dass die gegenwärtige Menschenrechtslage in der Türkei die Lieferung von Leopard-Panzern ausschließt, dann gilt das erst Recht für eine Munitionsfabrik. Die missbräuchliche Anwendung ihrer Produkte ist noch leichter als die von Panzern. Insofern verstößt der Beschluss gegen Wortlaut und Geist der im Januar verschärften Rüstungsexportrichtlinien. Nach allen bisherigen Informationen entfalteten die positiv beantworteten Voranfragen keineswegs eine zwingende rechtliche Bindung. Es kann deshalb nicht mehr von einer "Altlast" der alten Regierung gesprochen werden. Offenkundig wollen interessierte Kreise - auch in den Reihen des Koalitionspartners - die Rüstungsexportrichtlinien aushöhlen, in der Praxis rückgängig machen und die Grünen dabei systematisch vorführen. Dieser Fall beweist, von welch zentraler Bedeutung mehr rechtszeitige Transparenz in Sachen Rüstungsexporten ist und wie dringend öffentlicher politischer Druck auch mal auf die SPD gerichtet werden müsste. Ihre Führung verbricht solche Beschlüsse, die RüstungsexportskeptikerInnen in der SPD halten still - und die Grünen müssen dafür zahlen.

Alles richtig, Winni Nachtwei, nur: Druck ist nicht nur auf die SPD, sondern auch auf die Grünen nötig. Die "interessierten Kreise", von denen in der Stellungnahme die Rede ist, sind auch in den Reihen der Grünen zu finden und sie haben Namen: z.B. Joseph Fischer. Immerhin stammt das Papier, das den Grünen einen neuen Umgang mit den eigenen Rüstungsexportrichtlinien nahelegen will, aus dem Büro des Außenministers. Der sonnt sich derweil auf der UN-Generalversammlung und verspricht unter dem Beifall der Medien den 15 bis 20 ärmsten Ländern der Welt einen baldigen Schuldenerlass. Wie schön! Unter ihnen werden wohl ein paar "gute" Regime sein, denen man gern Waffen liefert und die dann die Waffen auch wieder bezahlen können.
Pst

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