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Bronze für Deutschland

Die Rüstungsexporte steigen wieder. Das freut die Waffenindustrie, widerspricht aber der von Rot-Grün versprochenen Friedenspolitik.

Von Jürgen Grässlin

In der Endphase der alten Regierungskoalition litten Deutschlands Rüstungsfirmen unter der Reduzierung der Waffenarsenale. Rüstungsbetriebe mussten fusionieren, Aufträge gab es allenfalls für Modernisierungen vorhandener Waffensysteme. Weltweit erreichten die Militärausgaben 1998 ihren Tiefststand und Deutschland lag in der Spitzengruppe der abrüstenden Nationen. Heute wird wieder aufgerüstet und exportiert. Der Verteidigungshaushalt wurde bis 2006 auf einem exorbitant hohen Niveau von 46,2 Milliarden Mark eingefroren. Mehr noch: Offene und versteckte Zuwendungen aus anderen Etats lassen die Militärausgaben des vergangenen Jahres auf insgesamt 59,6 Milliarden Mark steigen.

Dennoch plagt Verteidigungsminister Scharping ein Problem: Er hat Truppe und Öffentlichkeit eine Bundeswehrreform versprochen, bei deren Umsetzung vor allem die Krisenreaktionskräfte für Auslandseinsätze mit modernster Waffentechnik ausgerüstet werden. Laut Generalinspekteur Harald Kujat sollen in den kommenden Jahren rund 220 Milliarden Mark für die Beschaffung neuer Waffensysteme ausgegeben werden. So schafft man eine schlagkräftige Truppe und findet neue Freunde in den Chefetagen der Rüstungskonzerne wie Heckler & Koch und DaimlerChrysler.

Dazu reichen aber selbst die knapp 60 Milliarden Mark - von denen noch immer die Hälfte für Personalkosten benötigt wird - nicht aus. Deshalb sollen zusätzliche Gelder erwirtschaftet werden - auch durch den Verkauf überschüssiger Waffen. Eine Rüstungsexportwelle nie gekannten Ausmaßes steht bevor: Alpha Jet-Flugzeuge, Leopard-Panzer und G3-Schnellfeuergewehre werden weitere Milliarden einbringen.

Bereits im ersten Jahr der Schröderschen Koalition verdoppelte sich die Summe legaler Rüstungsexporte auf 1,33 Milliarden Dollar. Der jetzt veröffentlichte Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI für das Jahr 2000 bestätigt den Trend und widerlegt die Behauptung, die Steigerung des deutschen Rüstungsexports gingen vor allem auf Altaufträge aus der Ära Kohl zurück: Mit Verkäufen von mehr als rund 2,5 Milliarden Mark rangiert die Bundesrepublik weltweit mittlerweile sogar auf Platz drei der Waffenhändler.

So ist die im Koalitionsvertrag propagierte zivile Außen- und humanitäre Friedenspolitik, für die SPD und Grüne unter anderem gewählt worden sind, zur Makulatur geworden. Denn auch Spannungsgebiete wie nahezu alle Staaten des Nahen Ostens werden ganz legal mit deutschen Rüstungsgütern beliefert. Hauptempfänger bleibt die Türkei. Erst vor wenigen Monaten hat der Bundessicherheitsrat die Lieferung einer Munitionsfabrik der Rüstungsfirma Fritz Werner in die Türkei genehmigt. Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul und Außenminister Fischer votierten zwar dagegen, schwiegen ansonsten aber demütig. Viele weitere Waffengeschäfte für das menschenrechtsverletztende türkische Militär stehen an. Abgesehen vom medienwirksamen Exportverbot für den Leopard-II-Panzer, erhält die Türkei nahezu alles, was das Herz begehrt.

Worin also besteht der Fortschritt im Vergleich zur Regierung Kohl? Immerhin legt die rot-grüne Bundesregierung dem Deutschen Bundestag alljährlich einen Rüstungsexportbericht vor. Damit wissen interessierte Bundesbürger wenigstens im Nachhinein, wer in welchem Umfang deutsche Waffen erhalten hat. Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte lehrt jedoch: Gleich welche Parteien gerade die Bundesregierung gebildet und welche Oppositionsparteien flammende Reden gegen "menschenrechtsverletzende Rüstungsexporte" gehalten haben, die spätere Regierungspolitik unterscheidet sich kaum von der ihrer Vorgänger.

Unter Rot-Grün hat sich die Problematik sogar verschärft, was mit dem gestiegenen Einfluss der Rüstungsfirmen sowie einem neuen Zeitgeist erklärbar ist: Kriege "für Menschenrechte" (ein Paradoxon an sich) und Waffenlieferungen an Scheindemokraten sprechen eine eindeutige Sprache. Logischerweise steigt damit auch der Aktienkurs der neuen European Aeronautic Defence and Space Company, dem größten europäischen Rüstungskonzern mit dem führenden Anteilseigner DaimlerChrysler, stetig. Derweil haben viele Entscheidungsträger in der Regierung nicht einmal wahrgenommen, dass das Primat der Politik durch das Diktat der Rüstungsindustrie ausgehebelt ist.

Die Bundesregierung muss sich entscheiden: Will sie weiterhin dem Drängen von Militärlobbyisten und Konzernen folgen oder ihre eigenen Menschenrechtserklärungen aus den neuen "Politischen Grundsätzen zum Rüstungsexport" ernst nehmen? Da Handfeuerwaffen neben den Landminen zu den mörderischsten Waffen auf den Schlachtfeldern in aller Welt zählen, wäre nach der Einführung des neuen G36-Gewehrs die symbolträchtige Verschrottung der überschüssigen 400000 alten G3 endlich ein international wahrnehmbares Abrüstungssignal der deutschen Bundesregierung.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastkommentar, den Jürgen Grässlin in der Zeitung zum Sonntag, 24. Juni 2001, veröffentlichen konnte. Wir danke Jürgen für die Übermittlung des Artikels.

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