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Europameister beim Waffenhandel

Dem Rüstungsgegner Jürgen Grässlin ist mit seinem Schwarzbuch eine Großaufnahme gelungen

Von Hermannus Pfeiffer *

Kriegswaffenexporte in Drittstaaten außerhalb von EU und NATO sind nach den deutschen Rüstungsexportrichtlinien nur in Ausnahmefällen zulässig. Doch diese scheinen zur Regel geworden zu sein.

Die deutsche Rüstungsindustrie boomt weiter. Eindrucksvoll bestätigen dies zahlreiche aktuelle Meldungen: Genehmigt wurde etwa die Lieferung von 104 Kampf- und 50 Schützenpanzern der Firmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall an Indonesien; 62 Kampfpanzer und 24 Haubitzen der Firma Diehl werden an das Emirat Katar verkauft und eine ungenannte Zahl von Maschinenpistolen liefert der Hersteller Heckler & Koch an die Vereinigten Arabischen Emirate.

»Deutschland ist Europameister beim Waffenhandel«, kritisiert Rüstungsgegner Jürgen Grässlin in seinem soeben erschienenen »Schwarzbuch Waffenhandel«. Zweieinhalb Jahre hat der Publizist aus Freiburg recherchiert. »Kriegswaffen und Rüstungsgüter werden selbst an menschenrechtsverletzende und Krieg führende Staaten verkauft«, prangert Grässlin an.

Deutsche Konzerne wie Daimler, EADS oder Thyssen-Krupp verdienten »bestens« am Export ihrer Großwaffensysteme, und Heckler & Koch eroberten den Weltmarkt mit Kleinwaffen und Lizenzvergaben. Auch Finanzdienstleister verdienten mit: »Durch die Unterstützung von Banken werden die Konzerne zu Kriegsgewinnlern.«

Doch wie ist es möglich, dass Deutschland trotz aller friedenspolitischen Sonntagsreden - wenngleich mit deutlichem Abstand zu den USA und Russland - zur Nummer drei im weltweiten Waffenhandel wurde? Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetz verbieten eigentlich Waffenlieferungen in Krisengebiete wie den Nahen Osten. Die Täter sieht Grässlin in der Industrie sitzen, denen Rüstungsgeschäfte überdurchschnittliche Profitraten versprechen, und in der Politik: Rüstungsexporte müssen vom Bundessicherheitsrat genehmigt werden. Die Bundeskanzlerin führt dort den Vorsitz, ihr Stellvertreter ist FDP-Chef und Vizekanzler Philipp Rösler. Dazu kommen noch sechs weitere Bundesminister sowie der Chef des Bundeskanzleramtes, Ronald Pofalla (CDU). Der Bundessicherheitsrat tagt geheim - selbst Termin und Tagesordnung bleiben der Öffentlichkeit und dem Parlament verborgen.

Das war auch unter Rot-Grün nicht anders. Für Grässlin sind denn auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und die heutige Grünenvorsitzende Claudia Roth »eiskalte Diener der Rüstungslobby«. Doch im Wahljahr regt sich Widerstand gegen die geheime Militärmacht des Bundessicherheitsrates im Parlament. Die Opposition fordert Einsicht und Mitsprache. Grässlin sieht in der Rüstungsexportpolitik der Regierung Angela Merkels (»Marketenderin des Todes«) vor allem die Rüstungslobby am Werk. Wenigstens ebenso wichtig dürften die Außenpolitik und vermeintliche »nationale Interessen« sein. Stichworte: Israel oder »freier und ungehinderter Welthandel«, wie es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien heißt. So richtet sich die auch von anderen EU-Staaten und den USA betriebene Aufrüstung mutmaßlich pro-westlicher Länder in Arabien gegen die Regionalmacht Iran. Man wird Grässlin nicht in jedem Punkt folgen müssen, aber dem Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei: Stoppt den Waffenhandel!« ist eine Großaufnahme der deutschen Waffengeschäfte gelungen.

Jürgen Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel; Heyne Verlag, München 2013, brosch., 624 S., 14,99 €.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. Mai 2013


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