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Bremen - Stadt des Friedens?

Lühr Henken über die Rüstungsindustrie in der Freien Hansestadt

Der 55-jährige Hamburger ist einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Hier geht es zu einem älteren Beitrag über die Bremer Rüstungsindustrie:
Rüstungsproduktion - Das Beste für die Stadt?



ND: Die Freie Hansestadt Bremen bekennt sich in ihrer Landesverfassung zu Frieden und Völkerverständigung. Können wir von der Friedensstadt Bremen sprechen?

Lühr Henken: Ganz im Gegenteil, Bremen ist eine Rüstungshochburg. Bundesweit gibt es etwa 80 000 Arbeitsplätze im Rüstungsbereich, davon werden die Hälfte dem Bereich "Dual-Use", also sowohl zivil als auch militärisch nutzbarer Produkte, und der Zuliefererindustrie zugerechnet. 4000 dieser Arbeitsplätze sind in der Stadt Bremen angesiedelt. Also jeder zwanzigste Rüstungsarbeitsplatz befindet sich dort.

In diesem Zweig wurde 2005 von einem Gesamtumsatz von 15,5 Milliarden Euro bundesweit ausgegangen, eine Milliarde Euro davon wurde in Bremen erwirtschaftet. Das sind 6,5 Prozent der BRD-Produktion. Es leben aber nur 0,66 Prozent der Bundesbürger in Bremen. Das bedeutet, die Rüstungsindustrie ist in der Wesermetropole deutlich überrepräsentiert.

Welche Rüstungsfirmen sind dort ansässig?

In Bremen gibt es unter anderem Werke bzw. Zweigniederlassungen von Atlas-Elektronik, dem weltweit führenden Elektronik-Ausstatter von U-Booten und Weltmarktführer bei Minenjagdsystemen, Rheinmetall Defensive Electronics, laut Eigenwerbung auf der Website »das führende europäische Systemhaus für Landstreitkräfte«, die Friedrich-Lürssen-Werft, die im Fregatten- und Korvettenbau tätig ist, die Firma Orbitale Hochtechnologie Systeme (OHB), das Generalunternehmen für die Herstellung des ersten Aufklärungssatellitensystems der Bundeswehr sowie EADS Bremen, wo maßgeblich die Entwicklung und Fertigung der Militärmaschine Airbus A 400 M durchgeführt wird: In Bremen werden sämtliche 192 Rümpfe hergestellt.

Das klingt nach einem wichtigen Faktor im Rüstungsbereich.

Wie wichtig der Standort Bremen für die Rüstungsindustrie ist, möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen: dem Korvettenbau und der Entwicklung von Aufklärungssystemen. Die Lürssen-Werft ist an der Produktion der Korvetten der so genannten Braunschweig-Klasse, ausgestattet mit den schwedischen Marschflugkörpern RBS 15 MK3, beteiligt. Die Korvetten sind ein spektakulär neues Kampfmittel, erstmals kann die Deutsche Marine mit Flugkörpern weit auf fremdes Land schießen.

OHB ist im Technologiepark der Universität Bremen angesiedelt und im Satellitenbau für militärische Zwecke tätig. Das dort entwickelte System SAR-Lupe basiert auf Radartechnik und erlaubt eine nationale, von Wetter und Tageszeit unabhängige präzise Erdbeobachtung weltweit. Dieses System ist die Voraussetzung für die weltweite Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Außerdem ist OHB an der Herstellung des EU-Navigationssystems Galileo beteiligt. Mit diesem Konkurrenzsystem zum vom Pentagon betriebenen GPS ließen sich unabhängig von den USA Marschflugkörper lenken.

Wozu brauchen Bundeswehr und Marine solche Kampfmittel?

Derzeit findet eine bisher nicht dagewesene Umstrukturierung der Bundeswehr statt, eine Umorientierung weg von der Landesverteidigung hin zur globalen Interventionsfähigkeit. Besonders erschreckend ist diese Strategie, weil Experten davon ausgehen, dass 2020 etwa 75 Prozent der Weltbevölkerung innerhalb eines nur 60 km breiten Küstenstreifens leben werden. Demnach geraten drei Viertel der Menschheit durch die neue Technologie ins Fadenkreuz des deutschen Militärs. Die technischen Voraussetzungen dafür werden in den Rüstungsbetrieben unter anderem in Bremen erdacht, geplant und produziert.

Fragen: Birgit Gärtner

* Aus: Neues Deutschland, 11. Dezember 2008


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