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Rüstungsexporte und globale Militarisierung im Brennpunkt

BICC wartet mit einer neuen Datenanalyse zur Politikberatung auf - Auszug aus dem Jahresbericht 2009/2010

Datenanalyse zur Politikberatung - Rüstungsexporte und globale Militarisierung im Brennpunkt *

Deutsche Rüstungsgüter sind auf dem Weltmarkt nach wie vor sehr gefragt. Die Ausfuhren deutscher Waffensysteme haben in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Weiterhin sind unter den Empfängern einige kritische Länder wie Pakistan, Angola und Saudi Arabien. Im Rahmen einiger vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderter Projekte untersuchen Wissenschaftler des BICC Zusammenhänge zwischen Rüstungsexporten sowie gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungstransfers. Der vom BICC entwickelte Globale Militarisierungsindex (GMI) bildet die Bedeutung staatlicher Militärapparate im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft ab.

Der Trend steigender deutscher Rüstungsexporte lässt sich in den letzten Jahren deutlich belegen. Erteilte Deutschland im Jahr 2007 Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von 3,67 Milliarden Euro, stieg diese Zahl 2008 auf 5,78 Milliarden Euro. Kurz - deutsche Rüstungsgüter sind weltweit zunehmend begehrt.

www.ruestungsexport.info

Das BICC stellt auf seiner Homepage (www.ruestungsexport. info) 21 Länderberichte zu Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte bereit. Diese sind Ägypten, Algerien, Brasilien, Indien, Indonesien, Kolumbien, Libyen, Malaysia, Marokko, Mexico, Oman, Pakistan, Philippinen, Republik Korea, Saudi Arabien, Singapur, Südafrika, Thailand, Tunesien, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Venezuela. Die umfassenden Berichte liefern einen Überblick über die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation sowie Angaben über den militärischen Sektor in den jeweiligen Ländern. Darüber hinaus beinhalten die Berichte Angaben zu deutschen Rüstungsexporten, Analysen der heimischen Rüstungsindustrien sowie Untersuchungen über die Rolle des Militärs in der Gesellschaft.

Die Bedeutung des EU-Verhaltenskodex hat nach seiner Aufwertung zu einem „Gemeinsamen Standpunkt“ (2008/944/GASP) [externer Link] deutlich zugenommen. In den Berichten werden die acht Kriterien des Verhaltenskodex für die jeweiligen Länder genau untersucht und analysiert. Vor dem Hintergrund der Situation im Empfängerland ermöglichen sie eine genaue Einschätzung im Hinblick auf Rüstungsexporte.



Zahlreiche Rüstungsgüter werden dabei nicht nur in EU- und NATO-Staaten, sondern auch in Drittstaaten exportiert, die in einigen Fällen als bedenklich eingestuft werden müssen. Denn unter diesen Abnehmern befinden sich etwa auch Empfänger offizieller deutscher Entwicklungshilfe wie Pakistan, Angola oder der Sudan. Die größten Abnehmer deutscher Rüstungsexporte im Jahr 2008 außerhalb der EU- oder NATO Staaten waren jedoch Südkorea (1,87 Milliarden Euro), Singapur (339 Millionen Euro), Saudi Arabien (170,4 Millionen Euro) sowie die Vereinigten Arabischen Emirate (142 Millionen Euro).

Deutsche Leopard-Panzer und U-Boote – auch in bedenkliche Länder

Auf Grundlage der vom BICC bereitgestellten Datenbank mit Informationen zu Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte lässt sich beobachten, dass in den vergangenen Jahren in über 40 Länder Rüstungsgüter exportiert wurden, deren Menschenrechtssituation als bedenklich eingestuft wird. Kritische Regionen sind insbesondere der Nahe und Mittlere Osten, Lateinamerika sowie Südostasien. In allen diesen Gebieten haben in den vergangen Jahren umfassende Rüstungslieferungen – nicht nur von deutscher Seite – zur regionalen Instabilität beigetragen und die regionale Sicherheitskooperation vor neue Herausforderungen gestellt.

Besonders Lieferungen deutscher Leopard-Panzer nach Chile und Brasilien in den letzten Jahren zeigen, wie gut Deutschland auf dem Weltrüstungsmarkt aufgestellt ist. Hinzu kommen zahlreiche U-Boot-Lieferungen in verschiedene Staaten, die für die technologische Dominanz deutscher Rüstungsunternehmen in diesem Bereich stehen. Der Ende 2008 geschlossene Vertrag zwischen der HDW-Werft und Südkorea über den Kauf weiterer sechs U-Boote des Typs 214 zeigt die besondere Stellung deutscher Unternehmen bei konventionell betriebenen U-Booten. Aber auch die andauernde Debatte über den U-Boot Transfer nach Pakistan zeugt davon. Vor dem Hintergrund des andauernden Konflikts und den schlechten Menschenrechtsstandards sowie den Spannungen zwischen Pakistan und Indien, ist dieser geplante Transfer aus entwicklungspolitischer und konfliktsensitiver Sicht allerdings nur schwer nachvollziehbar.

Der Globale Militarisierungsindex (GMI) wird weiterentwickelt

Mit dem Globalen Militarisierungsindex (GMI) hat das BICC erstmals objektiv die weltweite Militarisierung abgebildet. Der GMI setzt Militärausgaben eines Landes ins Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie seinen Aufwendungen für die medizinische Versorgung. Er stellt die Gesamtzahl militärischer und paramilitärischer Kräfte eines Landes der Zahl seiner Ärzte gegenüber. Schließlich untersucht er die Menge an schweren Waffen, die den Streitkräften eines Landes zur Verfügung stehen. Mittels dieser und anderer Indikatoren wird das Ranking eines Landes ermittelt, das es erlaubt, den jeweiligen staatlichen Militarisierungsgrad im Verhältnis zu anderen Ländern zu messen. Beim GMI geht es also nicht um die Frage, ob ein Land „militaristisch“ ist, sondern um eine auf Zahlen basierte Zustandsbeschreibung. Dies macht ihn zum idealen Hilfsmittel für Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik.

Erste Ergebnisse des GMI zeigen deutliche regionale Unterschiede auf. Der Nahe und Mittlere Osten ist die wohl weltweit am höchsten militarisierte Region der Welt. Sieben der ersten zehn Länder mit dem weltweit höchsten Militarisierungsgrad sind dort zu finden, was darauf hindeutet, dass der Militärapparat im Verhältnis zur Gesellschaft eine herausragende Rolle einnimmt. Derzeit wird der GMI weiterentwickelt, indem sowohl historische als auch aktuelle Daten hinzugefügt werden. Dies ermöglicht in Zukunft die Darstellung von Trends von den 1990er Jahren bis heute sowie weitere detaillierte Analysen spezifischer regionaler oder nationaler Entwicklungen. Ziel des BICC ist es, mit Hilfe des GMI einen Beitrag zur Debatte über weltweite Militarisierung zu leisten und auf die oft widersprüchliche Ressourcenverteilung hinzuweisen.

GMI 2010

Der Globale Militarisierungsindex (GMI) wird derzeit weiterentwickelt. Sowohl historische als auch aktuelle Daten werden hinzugefügt. Dies ermöglicht in Zukunft die Darstellung von Trends sowie detaillierte Analysen von regionalen oder nationalen Entwicklungen. Durch die Betrachtung unterschiedlicher Jahre wird es möglich, über den status quo hinaus den GMI als Analyseinstrument noch spezifischer und direkter für anzuwenden. Die Veröffentlichung der neuen Daten und Zahlen ist für Oktober 2010 geplant.



Denn einerseits lassen sich Länder wie Eritrea identifizieren, die unverhältnismäßig viele Ressourcen für den Militärsektor verwenden, dabei aber andere gesellschaftliche und soziale Sektoren sträflich vernachlässigen. Andererseits gibt es Staaten wie Nigeria, die zwar einen sehr geringen Militarisierungsgrad aufweisen, aber dennoch Ort von internen militärischen Konflikten sind. Diese Beispiele verdeutlichen das Dilemma der Debatte. Der weit verbreiteten Grundannahme, dass eine hohe Militarisierung schlecht und eine niedrige per se gut sei, versucht der GMI zu begegnen und zu einer Neubetrachtung beizutragen. Für eine Bewertung der Situation bedarf es der spezifischen Analyse einzelner Länder und Regionen – eben dazu dient der GMI als Instrument.

Jan Grebe

* Auszug aus dem Jahresbericht 2009/2010 des BICC, S. 12-13

Weiter lesen:

Jahresbericht 2010 (pdf-Datei) [externer Link!]




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