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Rot-Grün sorgt für deutschen Rüstungsboom

Pressemitteilung anlässlich der Bundestagsdebatte über den Rüstungsexportbericht 2003 der Bundesregierung

Anlässlich der Bundestagsdebatte über den Rüstungsexportbericht 2003 der Bundesregierung am 10. März 2005 stellen die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag Dr. Peter Strutynski (Kassel) und Lühr Henken (Hamburg) fest:
  • die Kriegswaffenexportbilanz der rot-grünen Bundesregierung ist noch miserabler als jene unter Kohl/Genscher
  • selbstgesteckte Exportrestriktionen der Bundesregierung sind Augenwischerei
  • Rüstungslieferungen in die Emirate: ein verheerendes Signal
  • der vordemokratische „Bundessicherheitsrat“ muss abgeschafft werden
Kassel/Hamburg, 10. März - Der aktuelle Rüstungsexportbericht der Bundesregierung weist einen explosionsartigen Anstieg der Kriegswaffenexporte des Jahres 2003 auf den vierfachen Wert des Vorjahres aus (von 0,3 auf 1,3 Milliarden Euro). Dies steigert den Durchschnittswert der Kriegswaffenexporte unter Schröder/Fischer der Jahre 1999 bis 2003, so dass er 30 Prozent über dem Durchschnittswert der letzten drei Jahre der Kohl/Genscher-Regierung liegt.

Wir stellen fest, dass unter Schröder/Fischer der deutsche Kriegswaffenexport erheblich angestiegen ist.

Entschuldigende Einwände, der Wertzuwachs sei vor allem darauf zurückzuführen, dass unter der rot-grünen Regierung lediglich Ausfuhrverträge in die Tat umgesetzt werden mussten, die bereits während der schwarz-gelben Regierungszeit erteilt wurden, sind ein Ablenkungsmanöver. Das Gegenteil ist richtig: Auch die Genehmigungspraxis unter Rot-Grün ist liberaler als unter Schwarz-Gelb. Die Durchschnittswerte der von Rot-Grün erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen der Jahre 1999 bis 2003 liegen um 49 Prozent über denen der letzten drei Jahre Kohl/Genscher (1996 bis 1998). Dabei liegt der Wert der Einzelausfuhrgenehmigungen des Jahres 2003 allein schon um knapp 50 Prozent über dem von 2002.

Wir stellen fest, das Ende eines deutschen Rüstungsexportbooms ist nicht in Sicht und wird unter Schröder/Fischer auch nicht angestrebt. Die Vertreter deutscher Rüstungskonzerne fühlten sich sichtlich wohl im Tross des Bundeskanzlers bei seinem 7-Tage-Trip durch die Golfstaaten.

Sinnbildlich für die liberale Rüstungsexportpraxis der Bundesregierung stehen die jüngsten Vertragsabschlüsse mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) im Gesamtwert von 260 Mio. Euro. Die Lieferung von 32 Fuchs ABC-Spürpanzern in den Jahren 2007 bis 2010 durch Rheinmetall und die Modernisierung der Armee-Kommunikation in den beiden nächsten Jahren durch Rohde & Schwarz sollen die von Schröder gewollte „strategische Partnerschaft“ mit den Emiraten fundamentieren. Die Emirate sind eine anachronistische Herrschaftsform, die durch keine Wahl legitimiert ist, jedoch durch Waffenlieferungen stabilisiert werden soll. Damit verstößt die Bundesregierung gleich doppelt gegen ihre eigenen Grundsätze. Dass die VAE am Persischen Golf in einem Spannungsgebiet liegen, ist unverkennbar, zumal sie zudem noch ungelöste Territorialkonflikte mit dem Iran, Saudi-Arabien und dem Oman haben. Zwar hat die Bundesregierung in ihren Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen vom 19.1.2000 lobenswerterweise festgelegt, dass sie bei ihrer Entscheidung über Waffenexporte „der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungsland ... besonderes Gewicht“ beimessen, und auch Berichte von Menschenrechtsorganisationen berücksichtigen will, nur geschieht dies nicht. Denn die Gerichtsbarkeit der VAE unterliegt der Scharia, die entsprechend der Berichte von amnesty international zuletzt im Dezember zwei unverheiratete Frauen zu 100 bzw. 150 Peitschenhieben verurteilten, weil sie angeblich Ehebruch begangen hätten. Prügelstrafe kommt der Folter gleich und ist nach internationalem Recht verboten. Vor zwei Jahren wurde laut ai ein Pakistani wegen des Diebstahls von 70 Dollar mit Handamputation bestraft.

Im Vorfeld der Kanzlerreise in die Golfregion machten Meldungen über die Absicht der Emirate Schlagzeilen, sie wollten „Hunderte Exemplare des Kampfpanzers Leopard II A4, des Schützenpanzers Marder und der Panzerhaubitzen 2000 von der Bundeswehr übernehmen.“ Die Kieler ThyssenKrupp-Werft HDW bestätigte Verhandlungen mit den Emiraten über U-Boote (Plural). Meldungen machten deutlich, dass der Bundessicherheitsrat angesichts der Grundsatzentscheidung einer strategischen Partnerschaft mit den Emiraten einem solchen Deal zustimmen würde.

Angesichts der Menschenrechtsverletzungen in den Emiraten und der Lage des Landes in einem Spannungsgebiet warnen wir die Regierung dringend davor, schwere Waffen in die Vereinigten Arabischen Emirate oder in andere Golfstaaten zu exportieren. Sie würden das Wettrüsten im Nahen Osten weiter anheizen.

Der Deutsche Bundestag darf – gut drei Monate nach der Veröffentlichung des Exportberichts! – heute (10. März) eine halbe Stunde über die Rüstungsexportpraxis diskutieren. Entschieden wird aber in dem geheim tagenden „Bundessicherheitsrat“. In Sachen Rüstung und Rüstungsexport befindet sich Deutschland immer noch in vordemokratischen Zuständen. Höchste Zeit, dass der Bundessicherheitsrat abgeschafft und die Geheimniskrämerei um die Rüstungsexporte beendet wird.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg,
Peter Strutynski, Kassel


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