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"Wir dürfen nicht vergessen, dass der Feind im eigenen Land steht"

Ein Interview mit Winfried Wolf (Ex-MdB)

Das folgende Interview mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Verkehrsexperten Winfried Wolf (PDS) wurde am 25. Oktober 2002 geführt. Sven Barske von der Internetseite www.salonrouge.de hat es uns dieser Tage zur Verfügung gestellt.


Als vor einem Jahrzehnt schon einmal Krieg gegen den Irak geführt wurde, lautete die Parole der Friedensbewegung "Kein Blut für Öl". Wäre es diesmal wieder richtig, diese Parole zu verwenden, steht diesmal wieder das Öl im Mittelpunkt des Kriegs?

Ja, sicher, wobei ich den Slogan zwar damals geteilt habe, aber heute etwas vosichtiger bin, weil er doch etwas nach Blut und Boden riechen könnte. Dennoch ist richtig: In diesem Krieg, der droht und der wohl kommen wird, wenn der Widerstand nicht wächst, ist das Öl eindeutig die Haupttriebkraft.
Unter dem Irak liegen rund 14 Prozent der weltweiten Erdölvorkommen, der Irak ist hinter Saudi-Arabien das Land mit den zweitgrößten Ölreserven der Welt. Es gibt sogar einen speziellen Faktor, die so genannte Ökonomie des letzten Tropfens. Das soll besagen: Die Reserven im Irak sind noch dermaßen wenig erschlossen und liegen dermaßen tief, dass man erwartet, diese Reserven werden am längsten reichen bei der Ressource Nummer eins. Dass sie also länger reichen werden als die in Saudi-Arabien: statt 40, 50 vielleicht 60 Jahre. Das heißt, auch von daher ist die Bedeutung des Öls unter irakischem Boden eine ganz besondere.

Nach dem zweiten Golfkrieg und dem Afghanistankrieg ist dies nun schon der dritte Krieg um Öl. Wieso werden diese Kriege erst jetzt geführt und nicht schon vor 20 oder 30 Jahren - schließlich brauchten die Industriestaaten auch damals schon Öl?

Das hat sicherlich mit der Wende zu tun, die 1989/90 eingetreten ist. Damals ist das Gleichgewicht des Schreckens weggefallen, das auch kein angenehmer Zustand war - und ein brandgefährlicher dazu. Seit damals ist die relative Hegemonie der US-amerikanischen Militärmaschine zu einer absoluten Hegemonie geworden. Die Tendenz, Krieg als ganz normale Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu begreifen, was ja die normale Tendenz im Kapitalismus war und ist, ist viel deutlicher jetzt, weil die USA einen viel größeren Abstand zum Rest der Welt haben und ihre neue Weltordnung viel eher konkret umsetzen und mit militärischen Mitteln untersetzen können - die "new world order", die George Bush senior im Golfkrieg 1990/91 proklamiert hat. Insofern gibt es eine Logik, vom Golfkrieg 1990/91 über den Balkankrieg 1999 und den Afghanistankrieg zum Irakkrieg zu kommen: Das ist eine innere Logik der Steigerung dieser Aggressivität, die aber nicht eine primär persönliche von George W. Bush ist, sondern eine Aggressivität, die in der Logik des Kapitals inbegriffen ist.

Was macht die neue Weltordnung aus, die in Kriegen wie diesen durchgesetzt werden soll?

Es gibt ja die Vergleiche mit dem Imperium Romanum, also einer Macht, die absolut in der Welt herrscht und gegebenenfalls ihre Weltordnungspläne militärisch untersetzt, das hat sich von Jahr zu Jahr in den vergangenen zwölf Jahren konkretisiert und herausgebildet. Ich möchte darauf hinweisen, dass die USA in diesem Jahr bereits rund 40 Prozent dessen ausgeben, was weltweit für Rüstung ausgegeben wird. Und sie werden in zwei Jahren bereits mehr für Rüstung ausgeben als der Rest der Welt, also als China, Russland, Rest-Nato und die geamte Dritte Welt ausgeben wird. Das heißt, dieser Abstand ist einfach massiv größer geworden.
Das heißt zweitens, dass vor diesem Hintergrund natürlich der Kampf um Öl, also die Reserven des Energieträgers Nummer eins, sich verschärft und die USA angesichts der Knappheit dieser Ressource, die ja zwischen 40, 50, 60 Jahre taxiert wird, eben ihre militärische Macht einsetzen, um die Transportwege von Öl - Stichwort Afghanistankrieg und Kaspisches Meer - und die Reserven selber direkt zu kontrollieren.
Und das Dritte ist, dass die USA in dem Maße der neuen Weltordnung, in dem Maße, in dem sie letztlich absolut herrschen können, auch nicht mehr angewiesen sind auf internationale Verträge, auf das Völkerrecht, auf die Uno und diese nur noch rein instrumentell benutzen. Man kann grob sagen, dass zwischen den Kriegen Golfkrieg 1990/91, Balkankrieg 99 und Afghanistankrieg 2001/2002 die Losung "Uno - Nato - solo" liegt. Das heißt: Der Golfkrieg 1990/91 war formal noch ein Krieg, der noch von der Uno sanktioniert wurde, vom UN-Sicherheitsrat ohne Veto abgestimmt wurde, der Krieg 1999 gegen Jugoslawien war ein Krieg, der formal im Nato-Bündnis stattgefunden hat und vom Nato-Vertrag formal getragen wurde, der Afghanistankrieg war dann bereits ein reiner Solokrieg der US-amerikanischen Kriegsmaschine mit dem speziellen Bündnispartner Tony Blair, wobei die anderen Länder teilweise mal mitbomben durften in der Endphase - wie die französische Armee -, oder teilweise mit Krieg führen durften wie einzelne Einheiten der KSK aus der Bundeswehr am Anfang dieses Jahres 2002.
Aber diese Entwicklung "Uno - Nato - solo" ist im Grunde eine innere Logik, mit der auch das Völkerrecht immer deutlicher als ein Produkt der Kräfteverhältnisse präsentiert wird. Das Völkerrecht war nach dem Zweiten Weltkrieg so festgeschrieben worden mit dem UN-Sicherheitsrat, heute können die USA sagen: Das interessiert nicht - legal, illegal, scheißegal: kollateral. Es wird weggefegt im Rahmen dieses offenen Durchbruch des Faustrechts als Ergebnis der kapitalistischen Konkurrenz auf dem Weltmarkt.

Aber haben sich die USA nicht gerade beim Afghanistankrieg, anders als beim Kosovokrieg, sehr darum bemüht, internationale Zustimmung zu bekommen?

Zustimmung ja. Aber natürlich eben nach eigenem Gusto. Sie haben sich bemüht, ein breites Bündnis zu schaffen, das zustimmt, das tun sie ja momentan auch. Aber sie haben ganz klar und deutlich gemacht: Sie wollen nicht in irgendeiner Weise, auch nicht in der Nato, gebunden sein. Es war ja spannend, dass die Nato am 12. September vergangenen Jahres, am Tag nach dem Attentat auf das World Trade Center, den Artikel 5 in Kraft gesetzt hat, was der Kriegszustand ist - die Nato befindet sich auch heute im Kriegszustand -, aber er konnte dann nicht umgesetzt werden, weil die USA sagten: Wir wollen allein die Sache durchziehen, beziehungsweise mit Tony Blairs Spezialeinheiten oder eben dann später die Deutschen in Kabul mit Schutztruppe und so weiter. Das heißt, es werden Bündnisse hergestellt im Sinne der moralischen, psychologischen und finanziellen Unterstützung, aber die USA fanden es unnötig, ernsthaft einen gemeinsamen Krieg zu führen - was den Krieg nicht besser machen würde, aber es zeigt eben, wie abgehoben die USA innerhalb dieser internationalen Bündnisse heutzutage agieren können.

Inwiefern spielt eine Neuordnung der Golfregion eine Rolle? Stehen noch weitere Kriege ins Haus, beispielsweise gegen Iran?

Ja, sicherlich. Es gibt mindestens drei Bereiche, wo diese Neuordnung der Golfregion sich konkretisieren könnte. Das erste ist, dass der Irak möglicherweise geteilt werden könnte in drei Teile: einen Norden, der vielleicht kurdisch mitbestimmt oder auch unter türkischer Oberhoheit stehen könnte; einen mittleren Teil mit einer direkt von den USA abhängigen Regierung und einen südlichen Teil, der möglicherweise auch eine Abspaltung darstellen könnte. Das ist eine Option, die hat aber eine Unteroption, und die lautet: ein gemeinsamer Staat von Jordanien und Irak. Also ein neues haschemitisches Königreich, regiert von der jordanischen Hauptstadt Amman aus, was dann ein primär von den USA beeinflusster Gesamtbereich wäre. Jordanien und Irak: Das ist eine alte Konstruktion, die die USA momentan neu aktiviert haben, auch um die Unterstützung des jordanischen Königs zu bekommen.
Die zweite Variante wurde von Ihnen angesprochen: Von dieser, dann von den USA beherrschten, Region Irak/Jordanien würde ganz eindeutig eine Bedrohung ausgehen gegen Saudi-Arabien und gegen Iran. Iran als das zweite Land der "Achse des Bösen", neben Nordkorea und Irak. Aber auch gegen Saudi-Arabien, weil die Saudis inzwischen nicht mehr feste und eindeutige Bündnispartner der USA sind, weil Saudi-Arabien unter anderem beschuldigt wird, Heimstätte für Al Kaida und Osama Bin Laden zu sein - immerhin hatten mehr als Zweidrittel der angeblichen Attentäter auf das World Trade Center einen saudischen Pass. Auch Saudi-Arabien als nicht mehr sicheres Bündnisland, weil die Saudis in den letzten sechs, sieben Monaten mehr als 200 Milliarden Dollar Anlagegelder aus den USA abgezogen haben, da sie Angst haben, im Rahmen der Kriminalisierung von einzelnen Ländern auch selber beschuldigt zu werden, mit Osama Bin Laden in Verbindung zu stehen, und dass dann die saudischen Gelder in den USA eingefroren werden könnten.
Und die dritte Dimension dieser Neuordnung der Region ist natürlich die Kombination des Irakkrieges mit dem Thema Israel und Palästina. Es besteht ja ganz klar die Gefahr, dass der wichtigste Bündnispartner in der Region, Scharon, in den Krieg mit einsteigen wird - sei es über einen realen Angriff von Saddam Hussein und dem Irak auf Israel, sei es über eine Provokation, die man natürlich auch künstlich machen kann, von Geheimdiensten und Militärs aus, um dann in den Krieg einzugreifen, direkt gegen den Irak. Aber auch einzugreifen, um die Palästinenser, möglicherweise im größeren Maß, aus dem Westjordanland nach Jordanien zu vertreiben. Diese Gefahr besteht ganz konkret, und so warnen auch Gusch Schalom und die restliche israelische Friedensbewegung davor, dass dieser Krieg gegen Irak sich verbinden würde mit der Palästinafrage und mit der momentanen militärischen Okkupationspolitik, die Scharons Armee im Gazastreifen und im Westjordanland betreibt.

Wie konkret ist die Gefahr eines Umsturzes in Saudi-Arabien?

Wie gesagt: Eine Option der Neuordnung in der Region ist, dass die saudi-arabische Position nicht mehr die eines klaren Bündnispartners sein wird, sei es, dass die saudische Königsfamilie Ibn Saud auf Distanz geht zu den USA, wie sie es nach dem 11. September gemacht hat. Oder sei es, dass die saudische Regierung sich nicht halten kann aufgrund ihres latenten Bündnisses mit den USA und der ablehnenden Haltung, die die Bevölkerung gegenüber einer solchen Politik an der Seite der USA hat - einer Bevölkerung, die stark islamisch-fundamentalistisch, wahabitisch geprägt ist.
Beides ist möglich, das eine bedingt das andere: Die Distanz der saudischen Königsfamilie zu Washington hat zu tun mit dem Druck im Inneren, und die Gefahr des Umsturzes ist letztenendes auch Basis dieser ganzen labilen Situation. Die saudische Königsfamilie sitzt auf ihrem Thron in einem Pulverfeld und kann jederzeit in die Luft gesprengt werden aufgrund der inneren Widersprüche in Saudi-Arabien selber.
Vor diesem Hintergrund - und das sind sicherlich auch Geheimdienstinformationen der USA - wollen die USA in der Lage sein, das größte Ölland der Welt, das Saudi-Arabien weiterhin ist, gegebenenfalls von der Region aus angreifen, also militärisch intervenieren zu können.

Warum will sich die deutsche Regierung nicht an diesem Krieg beteiligen? Was Öl und Einfluss in der Region angeht, hat Deutschland doch ganz ähnliche Interessen wie die USA. Und Sie selbst schreiben in Ihrem Buch über den Afghanistankrieg, dass es im Oktober vergangenen Jahres ein Treffen der Bundeswehrführung mit dem Verteidigungsminister gegeben hat, auf dem vereinbart wurde, dass die Bundeswehr sich an einer Reihe von Kriegen beteiligen solle, von denen der Afghanistankrieg nur der erste wäre.

Es gibt offensichtlich in der Bundesrepublik Deutschland unterschiedliche Positionen im Machtapparat, das heißt im Militärapparat, im Bereich der Konzerne und Banken und bei der Regierung. Ich hatte in meinem Buch "Afghanistan - Der Krieg und die neue Weltordnung" auf dieses Treffen vom 9. Oktober hingewiesen, und ich weise vor allem darauf hin, dass der Beschluss vom 16. November vergangenen Jahres ja bereits heißt, dass wir kriegsbeteiligt sind: Es sind bereits 3900 Bundeswehrsoldaten in der Region von Somalia, von Kuwait, am Horn von Afrika stationiert - das heißt, wo der Krieg dann teilweise stattfinden wird.
Der Begriff "deutscher Weg" und die Rede davon, dass es keine deutsche Beteiligung gebe, hat aber auch damit zu tun, dass die Trauben als sauer deklariert werden, aber zu hoch hängen. Das soll heißen, die deutsche Seite erkennt: Die USA wollen ähnlich wie in Afghanistan einen Krieg auf eigene Rechnung führen, und es ist nicht zu erwarten, dass ein Teil der Kriegsbeute - also Kontrolle über Öl und über Ölwege - den Deutschen als Konkurrenz zu den USA zufallen würde.
Es ist also ziemlich klar, dass die USA allein oder zusammen mit Großbritannien, vielleicht noch zusammen mit Italien und vielleicht sogar noch zusammen mit Frankreich, die Beute teilen wollen, aber die Deutschen sollen daran nicht beteiligt werden.
Und das hat zu tun mit der Geschichte des irakischen Öls: Die Iraq Petrolium Company (IPC) wurde Anfang der siebziger Jahre verstaatlicht, sie war bis dahin in britischem, niederländischem und US-amerikanischem Besitz. Das war die Company, die das gesamte irakische Öl gefördert hat. Sie wurde damals verstaatlicht unter anderem auch unter Baath-Regierung, deren Chef später Saddam Hussein wurde. Es gab dann einen Deal der internationalen Öllobby, dass sie die Verstaatlichung mehr oder weniger akzeptiert haben, aber entsprechend gute Lieferkonditionen für irakisches Öl ausgehandelt haben. Wenn die USA Bagdad besetzen und eine neue Marionettenregierung einsetzen werden, dann werden sie selbstverständlich den Interessen der internationalen Ölkonzerne bedienen. Unter denen gibt es keine deutschen, aber britische und US-amerikanische: British Petroleum, Standard Oil und Shell. Und IPC dürfte wieder auferstehen, die bisher nationalisierte Ölindustrie übernehmen und neu Öl fördern auf eigene Rechnung. Da sind die Deutschen, soweit ich weiß, nicht mit im Spiel, es gibt keinerlei Absprachen dahingehend.
Das geht ja auch so weit, dass sogar die Russen momentan eingekauft werden sollen. Die Russen sagen: Sie sind bereit, im UN-Sicherheitsrat auf ein Veto gegen einen kommenden Krieg zu verzichten, wenn die Verträge, die russische Ölfirmen mit Saddam Hussein abgeschlossen haben, nach dem Krieg ihre Gültigkeit behalten. Ölverträge über konkrete Fördermengen, über konkrete Liefermengen, über konkrete Abgabepreise und so weiter. Und die USA neigen dazu, die Russen damit einzukaufen, das mögliche russische Njet im Sicherheitsrat so abzuwehren und sie einzubinden in diesen gemeinsamen Krieg der Völker-Kriegsgemeinschaft gegen den Irak.

Welche Rolle spielen die militärischen Ambitionen Deutschlands und der EU bei der Entscheidung, sich an diesem Krieg nicht zu beteiligen? Teile der Linken hierzulande haben ja ein ausgesprochen unkritisches Verhältnis gegenüber den Bestrebungen, einen EU-Militärblock zu bilden, der unter deutscher Führung stehen würde.

Ich bin dankbar für die Frage - einfach deswegen, weil wir in Deutschland natürlich bei allem richtigen Getöse über die Macht der US-amerikanischen Militärmaschine nicht vergessen dürfen, dass der Feind im eigenen Land steht und dass die Aufrüstungsprojekte in der Europäischen Union - Stichwort Eurofighter, Stichwort Galileo-Satellitenprogramm, Stichwort Militärtransporter A400M - in genau die gleiche Richtung weisen wie die US-Politik. Nur dass wir eben zehn, fünfzehn Jahre hinterherhinken. Das deutsche Kaiserreich hinkte Anfang des 20. Jahrhunderts zehn, fünfzehn Jahre hinter den Briten her und war trotzdem in der Lage, 1914 einen Weltkrieg auf eigene Rechnung vom Zaun zu brechen. In ähnlicher Weise hinkt die Europäische Union heute zehn, fünfzehn Jahre hinter der Rüstungspolitik der USA her, hat aber durchaus vergleichbare Rüstungsprogramme. Und sie will vor allem mit diesen Rüstungsprogrammen und der neuen Eingreiftruppe von fünfzig-, sechzigtausend Mann, die aufgestellt werden soll, in Zukunft Kriege auf eigene Rechnung und für eigene Ziele führen können - unabhängig von der Nato und den USA. Insofern meine ich, dass die Politik falsch ist, die bei uns sagt, man müsse gegen die Unipolarität der jetzigen Weltordnung eine Bipolarität aufbauen, und man müsse auch durchaus unterstützen, dass die Europäische Union "auf eigenen Beinen stehe", "ein eigenes Wort mitreden", "eine eigene Sprache spreche" oder eine "Verteidigungsidentität" bekomme. Falsch, weil es schlimm ist, wenn ein Gangster die Welt beherrscht in dieser neuen Weltordnung ŕ la USA, aber keineswegs besser, wenn zwei Gangsterbanden sich gegenseitig Kriege liefern und gemeinsame Interessen gegen den Rest der Welt haben. Insofern meine ich, dass wir ganz klar sagen müssen: Wir bekämpfen den Militarismus international, das heißt ganz konkret auch im eigenen Land und in der Europäischen Union.

Gegen den wahrscheinlich bevorstehenden Krieg gibt es in Deutschland eine breite Ablehnung, aber zumindest die Medien lehnen ihn nicht aus prinzipiellen Gründen ab. Sie sind nur in diesem Einzelfall dagegen. Krieg ist mittlerweile anerkanntermaßen ganz normales Mittel der Politik. Das war vor einiger Zeit noch anders. Wie kam es zu diesem Bewusstseinswandel?

Ich glaube, man muss hier drei Ebenen unterscheiden. Das erste ist, was Sie richtig dargestellt haben: Krieg gilt inzwischen in der veröffentlichten Meinung im Allgemeinen als ein wieder zu akzeptierendes Mittel der Politik. Typisch auch bei den Grünen, die dazu sagen, dass entsprechend das Völkerrecht "weiterentwickelt" werden muss. Im Grunde müsste man sagen: zurückentwickelt in Richtung Faustrecht.
Das hat mit dem zu tun, was Volker Rühe am 21. Mai 1992 der "Financial Times" in London gesagt hat. Die "Financial Times" schrieb damals: "Der deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe hält eine Verfassungsänderung binnen eines Jahres für möglich, damit deutsche Truppen endlich bei Uno-Missionen überall zur Friedenssicherung ohne geografische Beschränkungen eingesetzt werden können. Er gesteht jedoch ein, dass es dann noch zehn Jahre dauern kann, bis deutsche Truppen auch bei anderen Aktivitäten einschließlich Kampfeinsätzen weltweit eingesetzt werden können."
Wir schreiben jetzt 2002, zehn Jahre sind vorbei, und exakt diese Prophezeiung ist eingetreten. Er hat sogar übertrieben - man brauchte dazu keine Grundgesetzänderung, die Verfassungsrichter in Karlsruhe haben gesagt, es geht auch ohne. Der Satz "Die Bundeswehr ist zur Verteidigung da" kann so ausgelegt werden, dass wir zum Beispiel am Panamakanal oder in Kabul die Freiheit verteidigen, insofern ist der Verteidigungsbericht global einsetzbar. Das ist heute weitgehend durch, die veröffentlichte Meinung sagt, dass Kriege eben eigentlich Teil der Politik sind, man muss nur gucken, um welche Kriege es sich gerade handelt.
Der zweite Aspekt ist, dass da, wo Kriege deutschen Interessen entsprechen, ganz offensiv gepowert wird. Das war ganz eindeutig so beim Balkankrieg 1999, dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, den 98 Prozent der Medien unterstützt haben. Jetzt beim Irakkrieg gab es eine Wende im vergangenen halben Jahr, auch schon ein bisschen im Afghanistankrieg, dass einige Zeitungen diese Kriege kritisiert haben. Aber nicht von einem prinzipiellen Standpunkt, also nicht vom Standpunkt der Uno-Charta aus, wo ja schon die Androhung von Krieg verboten ist. Sondern vom Standpunkt des Utilitarismus, der Nützlichkeit, aus. Das heißt, es wird gesagt, dass bestimmte Kriege zunehmend vor allem den USA nützen und damit für die deutschen Exportinteressen schädlich sein könnten, und dass andere Kriege im deutschen Interesse sind: dort, wo die Deutschen an der Beute richtig beteiligt sind und wo es neue Märkte gibt, wie auf dem Balkan.
Die dritte Ebene, die ich unterscheiden würde, ist die der öffentlichen Meinung auf den Straßen. Da gab es auch eine interessante Entwicklung: Im Golfkrieg 1990/91 sind, soweit ich weiß, nie mehr als 30, 40 Prozent gegen den Krieg gewesen. Es waren viele auf den Straßen, aber die öffentliche Meinung war überwiegend neutral: Es war ein Uno-Krieg, ein Krieg wegen Völkerrechtsbruch, Einmarsch in Kuwait und so weiter. Im Balkankrieg 1999 waren bereits zwischen 39 und 44 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland gegen diesen Krieg. Im Afghanistankrieg war es dann eine eindeutige Mehrheit von 56 bis 60 Prozent, die gegen diesen Krieg und gegen eine Bombardierung war. Und jetzt im Falle Irak sind bis zu 70, 80 Prozent der Menschen gegen einen möglichen Krieg. Wobei ich zugebe, dass bei diesen hohen Mehrheiten natürlich zusammenkommt, dass ein Teil der bürgerlichen Klasse in Deutschland, ein Teil der Konzerne und Banken auch diesen Krieg nicht unbedingt will, weil sie das Gefühl haben, das dient nur der Etablierung und Ausweitung der US-amerikanischen Vorherrschaft. Es mischt sich also eine Art moralische Stimmung gegen den Krieg mit einer taktischen Stimmung in Teilen der herrschenden Klasse. Um es noch einmal zusammenzufassen: Es gibt drei Entwicklungen. Einmal in der Bevölkerung eine wachsende Ablehnung von Kriegen allgemein. Auf der anderen Seite eine wachsende Zustimmung zu Kriegen in der veröffentlichten Meinung. Und innerhalb der bürgerlichen Kreise zunehmend die Position: nicht mehr allgemein ja zu Kriegen, in denen getestet wird, wie weit die Bundeswehr gehen kann. Sondern immer mehr eine Position zu fragen: Wo sind Kriege für uns, für deutsche Banken und Konzerne, nützlich? Wo sind wir massiv für Kriege, wo leisten wir uns Kritik? Wobei diese Kritik letztendlich die Konkurrenz zu den USA widerspiegelt.

Interview: Sven Barske / Salon Rouge (www.salonrouge.de)


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