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Auftrag erfüllt

Friedenssicherung und gegenseitige militärische Hilfeleistung: Eine fundierte Gesamtdarstellung über den vor 50 Jahren gegründeten Warschauer Vertrag

Von Franz-Karl Hitze

Vor 50 Jahren, am 14. Mai 1955, wurde der »Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand« unterzeichnet, am 4. Juni desselben Jahres trat er in Kraft. Ihm gehörten an: Albanien (bis 1968), Bulgarien Ungarn, die DDR, Polen, Rumänien, die UdSSR, und die Tschechoslowakische Republik. Der Warschauer Vertrag war ein Ergebnis der seit 1947 zunehmenden Spannungen zwischen den westlichen Alliierten des Zweiten Weltkrieges und der Sowjetunion. Bereits 1949 wurde die NATO gegründet, der mit den Pariser Verträgen vom 5. Mai 1955 die Bundesrepublik Deutschland beitrat.

Ziele des Warschauer Vertrages waren die Friedenssicherung und die gegenseitige militärische Hilfeleistung seiner Mitgliedsstaaten im Falle eines Angriffs auf einen oder mehrere von ihnen. Ein gemeinsames Oberkommando der nationalen Streitkräfte sollte die Effektivität des Bündnisses sichern. Es steht außer Zweifel, daß die Sowjetunion ihren Hegemonieanspruch gegenüber den anderen Vertragsstaaten durchsetzte. Die Geschichte des Paktes vollzog sich im Kontext der sowjetischen Sicherheits- und Außenpolitik, er war eingebettet in die Theorie der Bündnissysteme und die Verteidigungskonzeption der UdSSR.

In der militärpolitischen Literatur der Gegenwart wird festgehalten, daß der Warschauer Vertrag seinen selbstgestellten Auftrag erfüllt hat, den Frieden in Europa zu bewahren. Umstritten ist in westlichen Kreisen lediglich, inwiefern dies ein Verdienst des Warschauer Paktes sei. Die Zahl der Studien, wissenschaftlichen Dokumentationen und Bücher, die dem sozialistischen Militärbündnis aggressive Motive nachsagen, geht in die Hunderte. Erstmalig seit 1991 liegt nunmehr mit Frank Umbachs Buch »Das rote Bündnis« eine fundierte Gesamtdarstellung des Warschauer Vertrages von seinen Anfängen bis zu seinem Zerfall vor.

Die als Band zehn der Arbeiten zur Militärgeschichte der DDR erschienene Dissertation ist die konsequente Fortsetzung bisheriger Forschungen des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam. Umbach behandelt in der Studie die entscheidenden Faktoren sowjetischer Sicherheitspolitik im Rahmen des Vertragssystems, untersucht die herausragende Bedeutung des sowjetischen Generalstabes für die Sicherheitspolitik der UdSSR und der Organisation des Warschauer Vertrages sowie die Formierung, Aufrechterhaltung und das Management des Vertragssystems zwischen 1955 und 1985. So wird u. a. die entscheidende Rolle der sowjetischen Militärelite während der Polen- und Ungarnkrise im Jahr 1956 herausgestellt.

Als besonders interessant erscheinen die Analysen zur Periode des sowjetischen Interregnums (1979-1985) von den letzten Jahren des KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breshnew über die kurze Amtszeit seines Nachfolgers Juri Andropow bis zu Tschernenko. Das gleiche gilt für die Darstellung der politischen Entwicklungen innerhalb des Paktes.

Sehr detailliert analysiert Umbach die Ära Gorbatschows und damit die Erosion des Vertragssystems mit dessen anschließendem Zerfall. Hier ist der eigentliche Schwerpunkt der Studie zu finden. Ihr Verfasser geht ausführlich auf die Ursachen dieses Prozesses und auf die militärische Zuverlässigkeit der Allianz ein. Die DDR schied am 3. Oktober 1990 aus dem Vertragssystem aus. Umbach zufolge hatte allein sie in das Vertragssystem bewegliche Materialien im Wert von umgerechnet 80 Milliarden DM eingebracht. Dabei waren die Werte an Stabsgebäuden, Kasernen, Militärhochschulen, Flugplätzen, Truppenübungsplätzen, Häfen und strategischen Reserven noch nicht einberechnet. Die militärischen Strukturen des Warschauer Vertrages wurden am 31. März 1991, der Warschauer Vertrag selbst am 1. Juli 1991 offiziell aufgelöst.

Der Anhang zu dem Band ist äußerst umfangreich. Er umfaßt allein 104 Druckseiten. Umbach recherchierte u. a. an der Akademie der Wissenschaften in Moskau, am Institut für Nationale Strategische Studien in Washington, D.C. sowie am Foreign Military Studies Office der US-Army in Fort Leavenworth.

Es steht außer Zweifel, daß nicht nur die Militärwissenschaften diesem Buch große Aufmerksamkeit widmen und sicherlich das Thema fortschreiben werden.

Aus: junge Welt, 20. Juni 2005

Frank Umbach: Das rote Bündnis – Entwicklung und Zerfall des Warschauer Paktes 1955-1991. Ch.Links-Verlag, Berlin 2005, 701 Seiten, 34,90 Euro


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