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Der Niedergang des amerikanischen Imperiums / The Decline of the American Empire

Von Gabriel Kolko* / By Gabriel Kolko*

Seit einem halben Jahrhundert leben die USA mit dem Dilemma, dass die Prioritäten, die sie bei der Haushaltsplanung und bei ihren imperialistischen Vorhaben setzen müssen, niemals Maßstab ihres tatsächlichen Handelns gewesen sind. Immer sind sie – wie es auch ratsam ist – davon ausgegangen, dass Europa bzw. die Kontrolle über Europa für die zukünftige Machtverteilung in der Welt entscheidend sein würde. Gekämpft haben sie jedoch in Korea, Vietnam und nun im Irak, kurz in der so genannten „Dritten Welt“, wo machtpolitisch wesentlich weniger auf dem Spiel stand.

Vorrangig konzentrierten sich die USA auf einzelne Staaten, gleichzeitig stellte das Land sich auch die Aufgabe, die ganze Welt zu kontrollieren bzw. die Führung zu übernehmen in der Welt, die doch recht groß ist. Immer wieder erwies sich, dass diese Aufgabe die amerikanischen Ressourcen übersteigt und dass ihre imperiale Macht dafür nicht ausreicht. In den meisten Ländern der Dritten Welt, in denen die USA ihre Macht in großem Umfang direkt einsetzten, haben sie verloren. Ihre militärische Macht erwies sich als unwirksam. Ihre Stellvertreter vor Ort, auf die sie sich verließen, waren in den meisten Ländern korrupt. Dafür haben sie einen enormen Preis gezahlt, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch durch die Entfremdung der amerikanischen Öffentlichkeit, die daraus folgte.

Das Pentagon baute eine strategische Luftmacht auf und entwickelte Atomwaffen, wobei die UdSSR das Hauptziel darstellte. Außerdem rüstete es sich für einen umfassenden Landkrieg in Osteuropa aus. Dieser teure Ansatz war für die Waffenhersteller äußerst vorteilhaft und sie stellen nach wie vor eine wichtige Größe bei der Gestaltung der US-amerikanischen Außen- und Haushaltspolitik dar.

Aber den sowjetischen Feind gibt es nicht mehr. Das Dilemma der USA – und dies ist ein entscheidender Widerspruch – besteht nun darin, dass seine teure Militärmacht als Instrument der Außenpolitik weitgehend nutzlos geworden ist. Den Krieg in Vietnam haben sie verloren und obwohl es ihnen gelungen ist, Volksregierungen in Brasilen, Chile und anderswo in Lateinamerika zu stürzen, nützt ihnen ihre militärische Macht im Umgang mit den Auswirkungen größerer sozialer und politischer Probleme nichts. Lateinamerika, der Nahe Osten und Ostasien sind weniger abhängig von der Steuerung durch die USA als je zuvor.

Strategisch sind die USA auch viel schlechter dran als der Nahe Osten, weil sie jeden nur erdenklichen Fehler gemacht haben: Sie haben den islamischen Fundamentalismus unterstützt, als es gegen den Kommunismus ging bzw. gegen den sekulären Nationalismus. Sie haben in den achtziger Jahren den Irak gegen den Iran unterstützt und sind dabei, nicht nur den Krieg im Irak militärisch zu verlieren, sondern sich auch die meisten ihrer früheren Freunde in der Region zu entfremden. Und der Iran ist dabei, sich dort zur entscheidenden Macht zu entwickeln.

Das Grundproblem der heutigen Welt besteht im Vormachtstreben der USA. Dieses stützt sich auf die Illusion, dass ihre große militärische Macht ihnen erlaubt, überall, wo sie möchten, die Richtung politischer und sozialer Entwicklungen zu bestimmen. Als es die UdSSR noch gab, wurden sie darin etwas behindert, weil die sowjetische Militärmacht die amerikanische neutralisierte und es ein partielles Gleichgewicht – ein Gleichgewicht des Schreckens – in Europa gab. Außerdem riet die UdSSR den befreundeten und ihr nahe stehenden Nationen stets zur Vorsicht, um die USA nicht zu provozieren. Dieses Hemmnis gibt es heute nicht mehr.

Ebenso wie der Warschauer Pakt verschwunden ist, ist andererseits die NATO im Zusammenbruch begriffen und könnte den gleichen Weg gehen wie SEATO, CENTO usw. Der Krieg gegen Serbien im Jahr 1999 machte ihr Ableben viel wahrscheinlicher. In der von den USA geführten Allianz gab es tiefgehende Differenzen über den Irak-Krieg und sie wird sich wahrscheinlich de facto, vielleicht auf formal auflösen. Die Bush-Administration hat eine Krise in ihrer Allianz hervorgerufen und den Irak, der immer ein künstlicher Staat gewesen war, seitdem die Briten ihn nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reichs im ersten Weltkrieg geschaffen hatten, zu einem sehr instabilen Land gemacht.

Acht Staaten verfügen bereits über Atomwaffen, die UNO geht jedoch davon aus, dass ca. weitere 30 über das Wissen und die Mittel verfügen, um Atommächte zu werden. Die Welt entgleitet der Kontrolle durch die USA, aber ebenso den Formen von Kontrolle, die zu Zeiten der UdSSR bestanden, als die Staaten zu arm waren, um Atomwaffen zu produzieren. Die Welt ist vorwiegend deshalb gefährlicher geworden, weil die USA nicht bereit sind, die Grenzen ihrer Macht zu erkennen und die gleichen Ambitionen wie vor 50 Jahren verfolgen. Die Verbreitung aller Arten von Waffen hat jedoch eine Eigendynamik, die durch die Waffenexporte der USA immens gefördert wird.

Der Irak stand für die Bush-Administration nicht an oberster Stelle, als diese 2001 ins Amt kam. Bush hatte sich jedoch einer „nach vorne gerichteten“ Außenpolitik verschrieben, um es mit Rumsfelds Worten auszudrücken und einem größerem militärischen Tatendrang. Ohne den elften September hätte die Bush-Administration wahrscheinlich eher die Konfrontation mit China gesucht, das über Atomwaffen verfügt, und das sie als ebenbürtige Konkurrenz in der riesigen Region Ostasiens betrachtet. Dies kann immer noch geschehen, obwohl sich der Irak militärisch und geopolitisch als totale Katastrophe für die US-Regierung erwiesen hat. Die US-amerikanische Öffentlichkeit hat sie sich dadurch weitgehend entfremdet, vielleicht noch schneller als dies im Vietnamkrieg geschehen war.

Die Streitkräfte der USA befinden sich im Zerfall, ihre Waffen haben sich als unwirksam herausgestellt. Auf der politischen Ebene ist es wahrscheinlich, dass der Irak in mehrere regionale Herrschaftsgebiete zerfallen wird (wie in Afghanistan), vielleicht gibt es einen Bürgerkrieg – wer weiß. Für die Iraker war der Krieg eine Katastrophe, aber es wiederholte sich auch die Niederlage, die die Amerikaner in Korea, Vietnam und anderswo erlebt hatten.

Die Tatsache, dass der irakische Widerstand gespalten ist, wird die USA nicht vor einer Niederlage retten. Nur wenige glauben, dass dem Irak ein großes Trauma erspart werden wird. Tatsache ist, dass viele amerikanische Funktionäre das vor dem Krieg vorausgesagt hatten und nicht beachtet wurden – ebenso wie diejenigen nicht beachtet wurden, die in den sechziger Jahren eine Katastrophe in Vietnam vorausgesagt hatten.

Die Tragik besteht darin, dass in der heutigen Welt der Krieg gleichsam ehrenhafter als der Frieden erscheint. Da die Rüstungsproduzenten am Krieg und nicht am Frieden verdienen, predigt ihre Lobby die alten Weisheiten des Waffenkults.

Wie sehr die USA auch versuchen, sich aus ihrer Zwangslage im Irak zu befreien – nur der Iran kann ihnen dabei helfen. Ironischerweise hat der Iran geopolitisch am meisten von Saddam Husseins Niederlage profitiert und hat keinen Grund, die Bush-Administration vor der Niederlage zu retten, der sie sich nun sowohl im Irak als auch bei zukünftigen Wahlen in den USA gegenübersieht.

Die Welt entgleitet der amerikanischen Kontrolle, gleichzeitig werden politische Bewegungen und Staaten nicht mehr durch sowjetische Umsicht gehemmt. Die Gegner der USA sind viel dezentralisierter als früher und die USA können sie weniger als je zuvor unter Kontrolle halten, obwohl sie dabei bankrott gehen und beim Versuch, ihre Vorherrschaft zu erhalten, ihre Allianzen aufkündigen könnten.

Das gibt Anlass zu einem gewissen Optimismus, auf der Grundlage einer realistischen Einschätzung des Gleichgewichts in der Welt. Wir sollten es vermeiden, Optimismus und Pessimismus einander gegenüberzustellen und stattdessen realistisch sein. Wenn die Amerikaner auch vieles zerstören, verlieren sie doch auch Kriege und ruinieren sich wirtschaftlich und politisch. Doch die Welt hat seit einem Jahrhundert Kriege geführt. Die USA sind seit 1946 die führende Kriegsmacht gewesen und haben doch die Torheit nicht für sich gepachtet. Entscheidend ist jedoch, dass die Politik der USA nur eine Widerspiegelung des Militarismus und der Irrationalität darstellt, die seit über einem Jahrhundert so viele Staatsmänner in der Welt geblendet hat.

Die Aufgabe besteht nicht darin, die USA daran zu hindern, dass sie in der vom Unglück verfolgten Welt weiteren Schaden anrichtet, wie es zurzeit im Irak geschieht. Vielmehr sollte man die seit langem bestehenden globalen Illusionen, die zu der Aggression geführt haben, mit der Wurzel ausreißen.

* Gabriel Kolko ist als Historiker führend auf dem Wissensgebiet der modernen Kriegsführung. Er ist Autor der Bücher „Das Jahrhundert der Kriege“ und „Another Century of War?“. Außerdem hat er die beste Geschichte des Vietnamkriegs verfasst „Anatomy of a War: Vietnam, the US and the Modern Historical Experience“. Sein neuestes Buch „The Age of War“ erscheint im März 2006. Er ist unter kolko@counterpunch.org zu erreichen.

Übersetzung: Doris Werder

Das Original erschien am 17. Dezember 2005 auf der Website: www.counterpunch.org


The Decline of the American Empire

By GABRIEL KOLKO

December 17, 2005


The dilemma the US has had for a half-century is that the priorities it must impose on its budget and its imperial plans have never guided its actual behavior and action. It has always believed, as well it should, that Europe and its control would determine the future of world power. But it has fought in Korea, Vietnam, and now Iraq--the so-called "Third World" in general--where the stakes of power were much smaller.

The American priorities were specific, focused on individual nations, but they also set the United States the task of guiding or controlling the entire world--which is a very big place and has proven time and again to be far beyond American resources and imperial power. In most of those places in the Third World where the US massively employed its power directly it has lost, and its military might has been ineffective. The US's local proxies have been corrupt and venal in most nations where it has relied upon them. The cost, both in financial terms and in the eventual alienation of the American public, has been monumental.

The Pentagon developed strategic airpower and nuclear weapons with the USSR as its primary target, and equipped itself to fight a massive land war in Eastern Europe. Arms makers much preferred this expensive approach, and they remain very powerful voices in shaping US foreign and budgetary policy.

But the Soviet enemy no longer exists. The US dilemma, and it is a fundamental contradiction, is that its expensive military power is largely useless as an instrument of foreign policy. It lost the war in Vietnam, and while it managed to overthrow popular regimes in Brazil, Chile, and elsewhere in Latin America, its military power is useless in dealing with the effects of larger social and political problems--and Latin America, the Middle East, and East Asia are more independent of American-control than ever.

Strategically, also, the US is far worse off in the oil-rich Middle East because it made every mistake possible. It supported Islamic fundamentalism against Communism but also against secular nationalism, Iraq against Iran in the 1980s, and it is not simply losing the war in Iraq militarily but also alienating most of its former friends in the region. And Iran is emerging as the decisive power in the area.

The basic problem the world today confronts is American ambition, an ambition based on the illusion that its great military power allows it to define political and social trends everywhere it chooses to do so. When the USSR existed it was somewhat more inhibited because Soviet military power neutralized American military might and there was a partial equilibrium-a deterring balance of terror-- in Europe. Moreover, the USSR always advised its friends and nations in its orbit to move carefully not to provoke the US, an inhibition that no longer exists.

On the other hand, just as the Warsaw Pact has disappeared, NATO is well along in the process of breaking up and going the way of SEATO, CENTO, etc. The 1999 war against Serbia made its demise much more likely but the US-led alliance disagreed profoundly over the Iraq War and now is likely to dissolve in fact, if not formally. The Bush Administration produced a crisis with its alliance and has created profound instability in Iraq, which was always an artificial state since the British created it after World War One resulted in the end of the Ottoman Empire.

Eight nations have nuclear weapons already, but the UN says another 30 or so have the skill and resources to become nuclear powers. The world is escaping the US, but it is also escaping the forms of control which were in place when the USSR existed and states were too poor to build nuclear weapons. The world is more dangerous now, in large part because the US refuses to recognize the limits of its power and retains the ambitions it had 50 years ago. But the spread of all kinds of weapons also has its own momentum-one that US arms exports aids immeasurably.

Iraq was not at the top of the Bush Administration's agenda when it came to power in 2001. Bush was committed, however, to a "forward-leaning" foreign policy, to use Rumsfeld's words, and greater military activism. Had September 11 not occurred, it is more likely that the Bush administration would have confronted China, which has nuclear weapons. This administration deems China a peer competitor in the vast East Asia region. It still may do so, although Iraq has been a total disaster for the administration--militarily and geopolitically--and greatly alienated the US public (faster than Vietnam did).

The US military is falling apart: its weapons have been ineffective, politically Iraq is likely to break up into regional fiefdoms (as Afghanistan has), and perhaps civil war--no one knows. From the Iraqi viewpoint the war was a disaster, but it also repeated the failures the Americans confronted in Korea, Vietnam, and elsewhere.

That the Iraq resistance is divided will not save the US from defeat. Few believe Iraq will be spared great trauma. In fact, many American officials predicted this before the war began and they were ignored--just as they were ignored when they predicted disaster in Vietnam in the 1960s.

We live in a tragic world and war is considered more virtuous than peace--and since arms-makers profit from wars and not peace, conventional wisdom is reinforced by their lobbies and by preaching the cult of weaponry.

The US may explore how to end its predicament in Iraq but only Iran can help it. Ironically, Iran has gained most geopolitically from Saddam Hussein's defeat and has no incentive to save the Bush Administration from the defeat now staring at it--both in Iraq and in future elections in the US.

The world is escaping American control, and Soviet prudence no longer inhibits many movements and nations. World opposition is becoming decentralized to a much greater extent and the US is less than ever able to control it--although it may go financially bankrupt and break up its alliances in the process of seeking to be hegemonic.

This is cause for a certain optimism, based on a realistic assessment of the balance-of-power in the world. I think we must avoid the pessimism-optimism trap but be realistic. Although the Americans are very destructive, they are also losing wars and wrecking themselves economically and politically. But for a century the world has fought wars, and while the US has been the leading power by far-in making wars since 1946, it has no monopoly on folly.

But it is crucial to remember that the US is only a reflection of the militarism and irrationality that has blinded many leaders of mankind for over a century.

The task is not only to prevent the US from inflicting more damage on the hapless world--Iraq at this moment--but to root out the historic, global illusions that led to its aggression.

* Gabriel Kolko is the leading historian of modern warfare. He is the author of the classic Century of War: Politics, Conflicts and Society Since 1914 and Another Century of War?. He has also written the best history of the Vietnam War, Anatomy of a War: Vietnam, the US and the Modern Historical Experience. His latest book, The Age of War, will be published in March 2006. He can be reached at: kolko@counterpunch.org.

Source: www.counterpunch.org


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