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Gipfel der Überflieger

Starke Wirtschaft, mehr politischer Einfluß: Brasilien, Rußland, Indien und China begrüßen Südafrika als neues Mitglied und nennen sich BRICS

Von Rainer Rupp *

Die westlichen Staaten führen derzeit wieder allerlei Kriege. Ökonomisch jedoch schrumpft ihre einstige Vormachtstellung. Wären Länder wie Großbritannien oder die USA privatwirtschaftliche Konzerne, hätten sie längst Bankrott anmelden müssen. Sie und andere EU-Staaten versinken in Schulden; der noch vor kurzem als künftige Weltwährung gepriesene Euro schlittert von einer Krise in die nächste. Auf der anderen Seite legen Volkswirtschaften wie die Brasiliens, Rußlands und Indiens enorm zu, und in China haben die Wachstumsraten seit Jahren nahezu überirdische Dimensionen. Aus wirtschaftlicher Stärke erwächst zunehmende weltpolitische Bedeutung. Diese Karte versuchen die von einem Goldman-Sachs-Manager einst als »BRIC«-Gruppe bezeichneten Staaten, über ein informelles Bündnis auch auszuspielen.

Am Donnerstag trafen sich deren Staats- und Regierungschefs zu ihrem dritten Gipfel. Auf der chinesischen Insel Hainan wurde zum Auftakt das fünfte Mitglied in der Runde, die Republik Südafrika (RSA), begrüßt. Nun nennt sich das lose Staatenbündnis selber »BRICS«, was sich phonetisch ausgesprochen auf Englisch wie »Bausteine« (Bricks) anhört. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von umgerechnet 285 Milliarden Dollar ist die südafrikanische Wirtschaft die größte auf dem Kontinent. Allerdings ist die russische viermal so groß, und die RSA ist wirtschaftlich gesehen gerade auf Augenhöhe mit der sechstreichsten Provinz Chinas. Gemessen an der Ökonomie hätte Südafrika also kaum einen Platz in der Runde jener Staaten verdient, die westliche Analysten gern als Spitzenreiter bei den »Emerging Markets« (aufstrebenden Märkten) benennen.

Doch die RSA besitzt enormes politisches Gewicht. Seit dem Ende der Apartheid gilt das Land am Kap allgemein als Sprungbrett Geschäfte mit den Ländern südlich der Sahara. »Wir sprechen nicht allein für Südafrika, sondern für alle anderen afrikanischen Länder, für einen afrikanischen Markt mit einer Milliarde Menschen«, sagte der südafrikanische Minister für Internationale Beziehungen und Zusammenarbeit, Maite Nkoane-Mashabane, vergangene Woche in Johannesburg. Daher könne Südafrika durchaus »Zement« für die »BRICS« liefern.

Afrika und die Ziegelstein-Staatengruppe stellen zusammen die Hälfte der Weltbevölkerung. Von derzeit knapp sieben Milliarden Menschen leben etwa 3,8 Milliarden dort – in China (1,3 Milliarden), Indien (1,2 Milliarden), Brasilien (knapp 200 Millionen), Rußland (gut 140 Millionen) und auf dem schwarzen Kontinent (gut eine Milliarde). Zugleich wächst hier die Bevölkerung am stärksten. Bis 2020 wird sie in Asien um 840 Millionen auf 4,53 Milliarden und in Afrika auf 1,26 Milliarden Menschen ansteigen. Währenddessen stagnieren Europas Bevölkerungszahlen.

Parallel dazu dürfte in den BRICS-Staaten die Wirtschaft weiter rasant wachsen. Mit umgerechnet 12,7 Billionen Dollar war das BIP der fünf Mitglieder 2010 größer als das der EU (12,2 Billionen). Bis 2012 wird es laut Internationalem Währungsfonds (IWF) auf 15,91 Billionen steigen und damit die Wirtschaftsleistung der USA (15,88 Billionen Dollar) übertreffen. Zugleich boomt der Handel. Zwischen China und Afrika ist er von zehn Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 129 Milliarden 2010 gestiegen, wobei – für China ungewöhnlich – das Reich der Mitte ein Handelsdefizit mit Afrika verzeichnet. Das gleiche gilt für Brasilien, das z.B. 2008 für zehn Milliarden Dollar nach Afrika exportierte und von dort für 16 Milliarden Waren einführte.

Bei der Pressekonferenz nach dem Gipfel in Hainan am Donnerstag (14. April) erklärte der chinesische Präsident Hu Jintao, daß die Teilnehmer »in mehreren Dokumenten einen Konsens zu bedeutenden Fragen der globalen Wirtschaft, der Finanzproblematik, der Entwicklung und der zukünftigen Zusammenarbeit in Industrie und Handel, sowie Wissenschaft und Technik und Landwirtschaft« vereinbart hätten. Das nächste Spitzentreffen soll 2012 in Indien stattfinden. Laut Nachrichtenagentur Xinhua haben sich die fünf Staaten am Donnerstag auch auf gemeinsame Positionen geeinigt, die sie im November beim Gipfel der G20 in Frankreich vertreten wollen. Dazu gehören u. a. Vorstellungen zur Reform des internationalen Finanzsystems, einschließlich des Umbaus von Weltbank und IWF. Auch will sich das Bündnis für Regelungen stark machen, die die gravierenden Preisschwankungen für landwirtschaftliche Produkte begrenzen sollen. Einzelheiten wurden nicht bekanntgegeben.

Obwohl die zunehmend formalisierte Zusammenarbeit der Gruppierung aufgrund ihres antiimperialistischen Potentials manchen Linken hierzulande zum Träumen bringt, darf nicht vergessen werden: Die Volkswirtschaften dieser Staaten sind mehrheitlich kapitalistisch organisiert, die Interessenunterschiede werden deshalb auch intern zu Widersprüchen und Spannungen führen. Zyniker gehen sogar so weit zu sagen, daß Brasilien, Rußland, Indien, China und die RSA außer ihrer Größe und ihrem Wachstum wenig gemeinsam haben. Was früher ein gemeinsames Süd-Süd-Anliegen gewesen sei, habe heute dem Konkurrenzdenken Platz gemacht. So sorgt z. B. Chinas Position als größte Exportnation und wegen des niedrigen Wechselkurses seiner Landeswährung für zunehmende Spannungen mit Partnern wie Brasilien und Indien. Zugleich droht Pekings zunehmende ökonomische Durchdringung Afrikas dort die bisherige Hegemonie der südafrikanischen Industrie zu beenden.

Der weltgrößte Energieexporteur Rußland und China als global führender Importeur dieser Rohstoffe scheinen da strategisch am besten zusammenzupassen. Während beide Länder auch sicherheitspolitisch zusammenarbeiten, sieht beispielsweise Indien in den BRICS nur einen rein ökonomischen Klub ohne gemeinsame politische Ambitionen. Weitreichende Entscheidungen von weltpolitischer Bedeutung sind daher von den Beteiligten allenfalls auf eng begrenzen Feldern zu erwarten.

* Aus: junge Welt, 16. April 2011


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