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Wieder am Nullpunkt

Das strategische Dreieck Washington–Moskau–Peking im Wandel. Ein Rückblick auf die Entwicklungen im Jahr 2011

Von Rainer Rupp *

Die Beziehungen im strategischen Dreieck Washington–Moskau–Peking unterlagen in diesem Jahr erheblichen Veränderungen. Während Rußland und China für jedermann deutlich erkennbar enger zusammenrückten, hat sich das Verhältnis der beiden zu den USA nachhaltig verschlechtert. Die sogenannte Politik des »Reset« (Neuanfang) der Obama-Administration gegenüber Rußland, die Mitte Oktober 2009 hoffnungsvoll begonnen hatte, wurde von Washington im Laufe des Jahres 2011 immer tiefer in den Schlamassel gefahren. Noch vor zwei Jahren hatte US-Außenministerin Hillary Clinton gemeinsam mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow vor Pressevertretern in Genf den symbolischen Knopf für einen Neustart der bilateralen Beziehungen gedrückt. Sie hatten sich während der Amtszeit von US-Präsident ­George W. Bush unter dem Eindruck des US-Kriegs im Irak und der globalen Interventionen der USA im angeblichen »Krieg gegen den Terror« permanent verschlechtert.

Tiefe Spuren

Inzwischen sind aufgrund der US-amerikanischen Kompromißlosigkeit die Verhandlungen über den US-Raketenabwehrschild wieder am Nullpunkt angekommen. Moskau sieht in ihm ein Instrument zur Schwächung seines Abschreckungspotentials gegen einen nuklearen US-Überraschungsangriff. Auch andere Abkommen, wie der neue START-Vertrag oder der über konventionelle Streitkräfte in Europa (CFE), hängen inzwischen in der Schwebe. Zugleich wird deutlich, daß Washington das Ziel einer NATO-Mitgliedschaft für Georgien und die Ukraine zwecks weiterer Aushöhlung von Rußlands strategischer Sicherheit nicht aufgegeben hat. Außerdem hat die willkürliche Umdeutung der von Rußland und China nicht blockierten Libyen-Resolution des UN-Sicherheitsrates tiefe Spuren in Moskau und und Peking hinterlassen. Das gilt besonders für deren Einschätzung imperialistischer Intentionen der USA und der von ihnen geführten NATO. So diente die UN-Entscheidung zu Libyen zur Rechtfertigung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges und des nachfolgenden Regimewechsels. Dazu gehört auch, daß Rußland und China derzeit im UN-Sicherheitsrat die interventionistischen Pläne der USA gegen Syrien blockieren und auch in bezug auf Iran deutlich auf Distanz zum Westen gehen.

Allerdings hat erst der vorschnelle Vorwurf Frau Clintons vom 5. Dezember über eine angebliche Fälschung der Wahlen zur russischen Duma am Vortag das Faß der russisch-amerikanischen Mißstimmung zum Überlaufen gebracht. Die danach einsetzende dramatische Steigerung der Rhetorik zwischen Moskau und Washington dürfte die »Reset«-Politik endgültig zum Scheitern gebracht haben (siehe Keller). In dieser heiklen Situation reagierte Peking sofort und eindeutig. Es brachte sein Verständnis für Moskau zum Ausdruck, was für die nächste Zeit die neuen Bruchlinien bei einer Vielzahl von regionalen und internationalen Fragen bestimmen dürfte.

Beharrliche Weigerung

Nach den schweren Rückschlägen für das Ansehen der USA und den hohen Kosten der von zionistischen Neokonservativen betriebenen Kriegspolitik in den zwei Amtsperioden der George-W.-Bush-Administration von 2001 bis 2009, hat sich die US-Machtelite unter der Obama-Administration wieder verstärkt ihren eigentlichen Gegnern, Rußland und insbesondere China, zugewandt. Im vergangenen Jahrzehnt ging es darum, den »Größeren Mittleren Osten« nach US-Gutdünken umzubauen und zugleich für Israel die regionale Hegemonie für weitere Jahrzehnte zu sichern. Moskau und Peking weigern sich aber beharrlich, den globalen US-Hegemonialanspruch anzuerkennen. Nicholas Burns, noch vor kurzem Staatssekretär für Politikplanung im US-Außenministerium, machte dies letzte Woche in der New York Times deutlich, als er beklagte: »Die Kriege in Afghanistan und Irak haben uns zehn Jahre gebunden und unsere Aufmerksamkeit von der weitaus wichtigeren Herausforderung abgelenkt, die China mit seiner Bedrohung der globalen Machtausdehnung der USA darstellt«.

Tatsächlich ist Washington überall auf der Welt heute mit Pekings wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten konfrontiert, selbst in Lateinamerika, das von den USA immer noch als Hinterhof beansprucht wird. Dabei wird der »häßliche Amerikaner« im Wettbewerb mit den auf gegenseitigen Vorteil und faire Deals mit den Staaten der Region bedachten Chinesen immer weiter zurückgedrängt, wobei auch die sehr starke Finanzkraft des ostasiatischen Wirtschaftsgiganten zur Geltung kommt. Die USA dümpeln dagegen weiterhin ziemlich aussichtslos in der Krise. Aber auch Peking weiß genau, daß es sich nur in enger Kooperation mit Moskau gegen die noch immer militärisch haushoch überlegenen USA durchsetzen kann. Als Garant für die enge Zusammenarbeit mit Moskau gilt in Peking ein Wladimir Putin auf dem Präsidentensessel.

* Aus: junge Welt, 28. Dezember 2011

Hintergrund: Sino-russische Koordination

Nicht nur Moskaus, sondern auch Pekings Beziehungen zu Washington sind in diesem Jahr auf ein kritisch-niedriges Niveau gefallen. Aggressiv torpedierten die USA Pläne Pekings zur Lösung der Konflikte um Öl- und Gas-Rechte im Südchinesischen Meer. Zugleich stationierte Washington seit 2011 wieder permanent eine Flugzeugträgergruppe vor den Küsten der Volksrepublik gleichfalls (Foto: »USS Carl Vinson« vor Hongkong). Eindeutig gegen China gerichtet ist auch das neue US-Luft/Meer-Militärkonzept. Im Zusammenhang mit dessen Realisierung muß die Wiedereröffnung einer US-Militärbasis in Australien gesehen werden.

Die Koordination mit Rußland ist zu einem sehr wichtigen Aspekt der chinesischen Außenpolitik geworden, sowohl global als auch regional. Nicht weniger als viermal sind allein in den ersten elf Monaten dieses Jahres Spitzenbeamte des Pekinger Außenministeriums zu Konsultationen nach Moskau gereist. Das »gemeinsame« Veto beider Länder im UN-Sicherheitsrat gegen westliche Interventionspläne in Syrien hat keine Parallele. Es folgte die Zweierblockade einer Resolution der UN-Menschenrechtskommission zu Syrien. Zugleich half Peking, die übrigen BRICS-Staaten (Brasilien, Indien und Südafrika) von der Richtigkeit der russischen Haltung zu Syrien zu überzeugen. Peking und Moskau vereitelten US-Versuche, zusätzliche Sanktionen gegen Iran zu verhängen.

Übereinstimmung herrscht auch über die Politik im asiatisch-pazifischen Raum auf der Basis einer gemeinsamen Erklärung vom September 2010. Zugleich widersetzen sie sich US- und NATO-Plänen für permanente Militärbasen in Afghanistan. Beide sind daran interessiert, die strategische Autonomie Pakistans zu stärken, was wiederum US-Interessen zuwiderläuft. Auf einer Konferenz in Istanbul Anfang November brachten sie schließlich weitere Pläne Washingtons zu Beherrschung Zentral­asiens, das sogenannte Seidenstraßen-Projekt, zum Entgleisen. (rwr)

** Aus: junge Welt, 28. Dezember 2011




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