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Die Wehrpflicht aussetzen!

Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK) mischt sich in Koalitionsverhandlungen ein

MITTEILUNG für die PRESSE

Betreff: EAK - Plädoyer für Koalitionsverhandlungen: Wehrpflicht aussetzen!

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir informieren Sie heute über einen Brief, den Bischof i.R. Dr. Christoph Demke, Bundesvorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK), am 21. Oktober 2005 an die Präsidien von CDU, CSU und SPD gesandt hat. Mit dem Schreiben plädiert er dafür, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auch die Frage der Wehrverfassung zu thematisieren und eine baldige Entscheidung über die Wehrpflicht zu treffen. Für deren möglichst baldige Beseitigung sprächen zwei Gründe:
  1. Der Einsatz für das Gemeinwohl in einer freiheitlichen Gesellschaft sei angemessen nur freiwillig zu organisieren.
  2. Fehlende Wehrgerechtigkeit, dürfe nicht irgendwie "zurechtgerechnet", sondern müsse für junge Männer real erfahrbar sein – auch um der politischen Akzeptanz willen.
Der nachstehend im Wortlaut beigefügte Brief schließt: "Die Wehrpflicht ist ein altes Militärprodukt, das weder modernisiert noch zivilisiert werden kann. Wir begrüßen es, dass die drei kleineren Fraktionen des Deutschen Bundestages das Ende der Wehrpflicht fordern. Wir erwarten von einer Koalition aus CDU/CSU und SPD, dass sie die politischen Herausforderungen aufnimmt, mehr Freiwilligkeit zu organisieren und die Unzumutbarkeiten staatlicher Inpflichtnahme durch die Wehrpflicht zu beenden." Auch die "gelegentlich in die Diskussion gebrachte Idee einer allgemeinen Dienstpflicht" wird von der EAK abgelehnt.

Mit freundlichen Grüßen
Günter Knebel
Geschäftsführer
Ev. Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK)
Wachmannstr. 65, 28209 Bremen
www.eak-online.de


Aus dem Wortlaut des Schreibens vom 21. Oktober 2005, das den Bundestagsfraktionen der Oppositionsfraktionen FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei.PDS zur Kenntnis übermittelt wurde, an die Präsidien der Bundesparteien CDU, CSU und SPD:

"....plädieren wir dringend dafür, eine baldige Entscheidung über die Wehrpflicht zu treffen. Die nun seit Jahren schwelende Diskussion schafft für viele junge Menschen wie für alle an der Durchführung von Wehr- und Zivildienst beteiligten Stellen Verunsicherungen, die auf Dauer unzumutbar sind und deshalb möglichst bald beseitigt werden sollten.

Unsere Arbeitsgemeinschaft in der Evangelischen Kirche Deutschlands setzt sich seit langer Zeit für die Gewissensfreiheit zur Kriegsdienstverweigerung ein. Die Wahrnehmung dieses zivilen Grund- und Menschenrechts, das nicht nur für Wehrpflichtige, sondern für alle Soldatinnen und Soldaten gilt, ist nach wie vor an ein formalrechtliches Antragsverfahren gebunden, das zwar relativ freiheitlich geregelt ist, aber ständiger Informations- und Beratungsarbeit und in der Praxis nicht selten auch kirchlichen Beistands bedarf. Dadurch stehen wir in ständiger Verbindung mit der Zielgruppe. Aus unserer kirchlichen und seelsorgerlichen Arbeit für zivildienstleistende Kriegsdienstverweigerer wissen wir um das bemerkenswerte Engagement, das viele Dienstleistende während ihrer Dienstzeit erbringen und das wir begrüßen. Dieses aber als eine Rechtfertigung für eine permanente staatliche Dienstpflicht zu verwenden, erscheint uns weder rechtlich noch politisch haltbar. Deshalb plädieren wir dafür, die Wehrpflicht möglichst unverzüglich auszusetzen. Die wichtigsten Gründe sind für uns:

Freiwilligkeit. Der Einsatz für das Gemeinwohl in einer freiheitlichen Gesellschaft ist angemessen nur freiwillig zu organisieren. Staatliche Dienstpflicht ist allenfalls in besonderen Notlagen vertretbar. Davon kann derzeit keine Rede sein. Die Wehrpflicht ist eine staatliche Dienstpflicht und deshalb obsolet.

Die Behauptung, durch die Wehrpflicht werde eine Armee demokratisch kontrolliert, trifft nicht zu – Blicke in die Geschichte und auf die Praxis derjenigen NATO-Partnerstaaten, die mit guten Gründen auf die Rekrutierungsform Wehrpflicht verzichtet haben, machen das offenkundig. Die Kontrolle des Militärs ist Aufgabe der politischen Führung und des Parlamentes, das dafür den Wehrbeauftragten und besondere Rechte des Verteidigungsausschusses hat. Von Bedeutung ist dabei auch das Konzept der Inneren Führung, das demokratische Kontrolle fördern und vor blindem Gehorsam schützen soll. Vorfälle in der Bundeswehr mit fragwürdigen „Übungen “ haben diesbezügliche Defizite aufgezeigt und zugleich belegt, dass wehrpflichtige Rekruten Mut und Gelegenheit versäumt haben, erlittenes Unrecht anzuprangern. Als Gewährsleute demokratischer Kontrolle kommen Wehrpflichtige wohl kaum infrage, rangieren sie doch am Ende der militärischen Hierarchie. Wer als einfacher Soldat keinen Einblick in die Entscheidungsabläufe der Führungsetagen hat, hat kaum Kontrollmöglichkeiten – gerade deshalb ist vor Ausführung von Befehlen „mitdenkender Gehorsam“ gefordert, der durch die Gewissensfreiheit des Grundgesetzes nach Artikel 4 geschützt ist. Die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt zwar vorrangig bei den politisch Verantwortlichen und denen, die sie wählen. Das entbindet aber auch einzelne Soldatinnen und Soldaten nicht von persönlicher Verantwortung für ihre Handlungen, für die sie auch als Untergebene individuell verantwortlich sind. Sie sind Teil einer Freiwilligenarmee, die Bestand hat, wenn sie den friedensethischen Ansprüchen der Gesellschaft und ihrer Bürgerinnen und Bürger in Uniform genügt.

Fehlende Wehrgerechtigkeit. Gerechtigkeit sollte nicht irgendwie zurechtgerechnet, sondern – auch um der politischen Akzeptanz willen – für junge Männer real erfahrbar sein. Es gibt keine Wehrgerechtigkeit mehr, wie sie von Artikel 3 (1) Grundgesetz gefordert wird. Ab 2006 sollen von weit über 400.000 Wehrpflichtigen eines Jahrganges weniger als 10%, nur etwa 40.000, als Soldaten W 9 zwangsweise eingezogen werden. Zusätzlich werden Freiwillige eingestellt: Etwa 16.000 als Freiwillige Wehrdienstleistende (FWDL) und knapp 12.000 als Zeit- und Berufssoldaten. Wehrdienst leisten insgesamt also nur etwa 68.000, knapp ein Sechstel des Jahrgangs. Das wird von den zwangsweise Einberufenen (W 9) als Willkür empfunden. Dass trotz der Diskriminierungsverbote in Art. 3 (3) und 12 a (2) dritter Satz GG daneben auf Grund der Ersatzdienstpflicht, die von der Wehrpflicht abgeleitet ist, jährlich etwa 90.000 anerkannte Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst einberufen werden sollen, wird als Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit empfunden.

Daraus ergeben sich für Wehrpflichtige erhebliche Nachteile – im Blick auf die unterschiedliche Situation im eigenen Land und noch mehr in europäischer Perspektive, die zunehmend Gewicht gewinnt. Alle zu einem Pflichtdienst Einberufenen erleiden damit Nachteile in Ausbildung und Beruf. Die Betroffenen verlieren ein Jahr, was in seinen negativen Auswirkungen später, wenn es um die Altersgrenzen für Einstellungen oder um die Anrechnung von Berufsjahren bei Beförderungen und Rente geht, nicht unterschätzt werden darf. Man kann nicht gleichzeitig verkürzte Schul-, Ausbildungs- und Studienzeiten sowie mehr berufliche Leistungsbereitschaft fordern und diese Ziele gleichzeitig durch einen staatlichen Pflichtdienst durchkreuzen. Viele in politischen Ämtern Verantwortliche, die an der Wehrpflicht festhalten wollen, haben übrigens selbst keinen solchen Dienst geleistet oder zu Zeiten gedient, in denen berufliche Karrieren problemlos waren, und sind sich deshalb anscheinend über die Nachteile in der heutigen Situation nicht im Klaren.

Kurz: Die Wehrpflicht ist ein altes Militärprodukt, das weder modernisiert noch zivilisiert werden kann. Wir begrüßen es, dass die drei kleineren Fraktionen des Deutschen Bundestages das Ende der Wehrpflicht fordern. Wir erwarten von einer Koalition aus CDU/CSU und SPD, dass sie die politischen Herausforderungen aufnimmt, mehr Freiwilligkeit zu organisieren und die Unzumutbarkeiten staatlicher Inpflichtnahme durch die Wehrpflicht zu beenden. Die gelegentlich in die Diskussion eingebrachte Idee einer „allgemeinen Dienstpflicht“ lehnen wir mit beigefügter Stellungnahme ab."

Anlage: EAK - Stellungnahme "Eine Allgemeine Dienstpflicht? - Warum wir NEIN dazu sagen!" Ein nach wie vor gültiges 'Pro und Contra' in 8 Punkten. (dokumentiert unter: http://www.ekd.de/eak/texte/EAKNeinzDpflicht.pdf)

Siehe: EAK-Stellungnahme "Eine Allgemeine Dienstpflicht? (pdf-Datei).


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