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"Das Ende der Wehrpflicht als Chance betrachten, eine neue Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit zu begründen"

Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft" legt Empfehlungen vor - und eine kritische Stellungnahme

Im Folgenden dokumentieren wir
  1. die Pressemitteilung von Bundesministerin Renate Schmidt anlässlich der Entgegennahme des Berichts der Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft" am 15. Januar 2004,
  2. eine erste kritische Stellungnahme der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK) vom selben Tag.


Pressemitteilung
Do 15.01.2004

Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft" legt Empfehlungen vor

Bundesministerin Renate Schmidt nimmt Bericht entgegen


Eine Angleichung der Zivildienstzeit an die Dauer des Wehrdienstes sowie Ausbau und Aufwertung der Freiwilligendienste für Frauen und Männer sind zwei der Vorschläge aus einem Bericht, den die Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft" am heutigen Donnerstag in Berlin an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt, übergeben hat. Bundesministerin Schmidt dankte der Kommission: "Die Empfehlungen sind umso wertvoller, da sich alle großen Entscheidungsträger in den Bereichen Freiwilligendienste und Zivildienst an der Arbeit beteiligt haben und zu einem einstimmigen Votum gekommen sind."

Die Kommission hatte die Aufgaben, erstens die Möglichkeiten des Stärkens des freiwilligen Engagements, insbesondere der Freiwilligendienste, aufzuzeigen. Zweitens sollte sie alle Eventualitäten für den Zivildienst und mögliche Konsequenzen ausloten für den Fall einer unveränderten Beibehaltung der Wehrpflicht, für die Reduzierung des zeitlichen Umfangs und/oder der Zahl der zum Dienst heranzuziehenden Wehrpflichtigen oder für ein eventuelles Aussetzen bzw. Abschaffen der Wehrpflicht. Geleitet wurde die Kommission vom Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Peter Ruhenstroth-Bauer.

Allen Beteiligten ist klar gewesen, dass sich die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht an den militärischen Notwendigkeiten richtet, insofern ist der Zivildienst abhängig von der Wehrpflicht.

Unabhängig von einer Entscheidung über die Wehrpflicht, die die Koalitionsfraktionen bis zum Jahr 2006 treffen werden, schlägt die Kommission vor, die Dauer des Zivildienstes von derzeit zehn Monaten an die Dauer des Wehrdienstes von neun Monaten anzugleichen. Bundesministerin Renate Schmidt. "Diese Angleichung möchte ich - im Einvernehmen mit den Trägern des Zivildienstes - zügig realisieren."

"Bei einer möglichen, aber keineswegs sicheren Entscheidung der Koalitionsfraktionen zugunsten eines Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht wird es aus rechtlichen und praktischen Gründen für den Zivildienst einen längeren Übergangszeitraum bis mindestens 2010 geben", sagte die Bundesministerin. Dies werde in enger Abstimmung mit dem Bundesverteidigungsminister und in enger Kooperation mit den Trägern des Zivildienstes geschehen, die Planungssicherheit auch für Übergangszeiten bräuchten.

Die Kommission zeigt mit Blick auf die demografische Entwicklung sowie ein mögliches Ende der Wehrpflicht auf, wie die Aufgaben der derzeit 95.000 Zivildienstleistenden großteils durch andere Dienstleistungen ersetzt werden könnten. Eine allgemeine Dienstpflicht kann es aus verfassungs- und völkerrechtlichen Gründen in Deutschland nicht geben, sie wird von der Kommission abgelehnt. Bundesministerin Renate Schmidt: "Für wegweisend halte ich, dass das Ende der Wehrpflicht von der Kommission als Chance betrachtet wird, eine neue Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit zu begründen. In diese Richtung weisen auch viele Diskussionsbeiträge aus den sozialen Verbänden."

"Wir wollen einen Ausbau der Freiwilligendienste - generationsübergreifend, für Frauen und Männer", sagte die Bundesministerin. Es gebe eine große Bereitschaft der Deutschen, bürgerschaftlich und freiwillig aktiv zu sein. Umgekehrt gebe es auch eine Mitverantwortung der Bürgerinnen und Bürger für Staat und Gesellschaft. Sie müsse staatliche Verantwortung ergänzen. Renate Schmidt: "Auch immaterielle, monetäre und geldwerte Formen für neue Freiwilligendienste müssen geprüft werden." Eine Kultur des Gemeinsinns müsse Unterstützung vom Staat erhalten. Man könne dabei auf erfolgreiche Programme wie das freiwillige soziale und ökologische Jahr aufbauen. 2004 leisten mehr als 15.000 junge Männern und Frauen diesen Freiwilligendienst.


Zusammensetzung der Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft - Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland":
StS Peter Ruhenstroth-Bauer, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Vorsitzender), StS Rudolf Anzinger, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, StS Klaus-Günther Biederbick, Bundesministerium der Verteidigung, StS Wolf-Michael Catenhusen, Bundesministerium für Bildung und Forschung (ab 1. Juli 2003), Pfarrer Jürgen Gohde, Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Knut Ipsen, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes a.D., Dr. Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Abraham Lehrer, Vorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Finanzminister Gernot Mittler, Rheinland-Pfalz, StS Dr. Manfred Overhaus, Bundesministerium der Finanzen, Prälat Hellmut Puschmann, Präsident des Deutschen Caritasverbandes a.D., Dr. Manfred Ragati, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. und Vorsitzender des Bundesvorstands der Arbeiterwohlfahrt, Bundesverband e.V., StS Dr. Klaus Theo Schröder, Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Barbara Stolterfoht, Erste Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes - Gesamtverband e.V., StS a.D. Dr.-Ing. E.h. Uwe Thomas, Bundesministerium für Bildung und Forschung a.D. (bis 30. Juni 2003), Kultusministerin Karin Wolff, Hessen, Präsidentin der Kultusministerkonferenz (bis 31.12.2003)


EAK - Stellungnahme

anlässlich der Entgegennahme des Berichts der Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft - Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland"
durch Bundesministerin Renate Schmidt am 15. Januar 2004 um 14.00 h in Berlin.

Den "Ausstieg aus dem Zivildienst" sozialverträglich gestalten: Seelsorger für Zivildienstleistende fordern ‚Planungssicherheit' für alle Beteiligten!

"Die nützlichen und wichtigen sozialen Leistungen, die der Zivildienst der anerkannten Kriegsdienstverweigerer bisher erbringt, können auf Dauer erhalten bleiben, wenn die weitreichenden Empfehlungen der Kommission ‚Impulse für die Zivilgesellschaft' von allen am Zivildienst Beteiligten zügig umgesetzt werden. Damit muss nicht bis zum Ende des Zivildienstes gewartet werden, denn der Bericht enthält ein politisch realistisches Konzept für eine wohlorganisierte, sozialverträgliche Konversion des Zivildienstes durch freiwillige Dienste," erklärt der stellvertretende Bundesvorsitzende der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK), Pfarrer Michael Germer, Frankfurt.

"Froh sind wir über die differenziert begründete Ablehnung einer Allgemeinen Dienstpflicht. Wir sehen die Bundesregierung aber nun in der Verantwortung, den Verunsicherungen entgegenzuwirken, die im Vorfeld der Übergabe des Kommissionsberichts entstanden sind. Dies könnte geschehen, indem die Empfehlungen mit einem verbindlichen Zeitplan in konkretes politisches Handeln umgesetzt werden: Ausstieg aus dem Zivildienst ist möglich! Hilfreich wäre zudem auch die Klarstellung, dass ein Großteil der für Wehr- und Zivildienst vorhandenen Finanzmittel zunehmend dafür eingesetzt werden soll, die vorgeschlagenen qualifizierenden Freiwilligendienste auch tatsächlich auf- und auszubauen. Wenn das geschieht, wird die angestrebte "Entwicklung einer Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit" erreichbar sein, die viel Motivation und ein einvernehmliches Miteinander aller Beteiligten voraussetzt. Wenn die Freiwilligendienste als qualifizierende Lerndienste organisiert werden, können damit zugleich Arbeitsplätze im sozialen Bereich erhalten und neue geschaffen werden," erklärte Pfarrer Germer.


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