Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ungewisse Zukunft für Zivis

Verkürzung ist vom Bundestag bereits beschlossen / Heute berät der Bundesrat

Von Christian Klemm *

Die Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes ist beschlossene Sache. Umstritten ist, ob der Bundesrat das sogenannte Wehrrechtsänderungsgesetz 2010, das Anfang Dezember in Kraft treten soll, noch abnicken muss.

Die Zukunft der Wehrpflicht ist offen. Ob es zu einer Aussetzung des Zwangsdienstes kommt, wird sich voraussichtlich erst auf den Parteitagen von CDU und CSU im Herbst entscheiden. Vergangenen Monat hat der Bundestag die Verkürzung der Dienstzeit von neun auf sechs Monate beschlossen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Armee umstrukturieren. Die Verkürzung der Wehrpflicht ist ein Teil dieser Reform und seit Donnerstag vergangener Woche (2. Juli) in Kraft.

An die Wehrpflicht ist der Zivildienst gekoppelt. Fällt der Kriegsdienst, fällt auch der Ersatzdienst. Dieser wird laut Wehrrechtsänderungsgesetz ebenfalls auf sechs Monate verkürzt. Die Zivildienstleistenden haben erstmals die Möglichkeit, den »Dienst am Menschen« um drei bis sechs Monate zu verlängern. Diese Option kann frühstens zwei Monate nach Arbeitsantritt gezogen werden. Da der Zivildienst nach Artikel 12a des Grundgesetzes nicht länger als der Wehrdienst dauern darf, will die Regierung ein neues öffentliches Dienstverhältnis einführen: Die Zivis werden nach Ablauf ihrer sechsmonatigen Dienstzeit Beamte auf Zeit, nur schlechter bezahlt. Der Gesetzgeber bezeichnet dies als »freiwilligen zusätzlichen Zivildienst«. Etwa 90 000 junge Männer leisteten im vergangenen Jahr Ersatzdienst. 2002 wurden nach Angaben des Bundesamt für den Zivildienst 136 008 Männer einberufen - der bisherige Spitzenwert.

Die Sozial- und Wohlfahrtsverbände begrüßen die Möglichkeit der Zivis, zusätzliche Monate abzuleisten. Dadurch sei zum Beispiel der Aufbau einer Beziehung zu Menschen mit geistiger Behinderung weiter in verantwortungsvoller Weise möglich, so die Bundesvereinigung Lebenshilfe. Für Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, ermögliche die freiwillige Anschlussmöglichkeit jungen Männern »nicht nur das Schließen biografischer Lücken, sondern auch eine längere Zeit des Erlernens sozialer und kommunikativer Kompetenzen«.

Kritik an der Verkürzung des Zivildienstes kommt von der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. Durch das neu geschaffene, öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis sollen geltende Tarifverträge und tariflich vereinbarte Mindestlöhnen unterlaufen werden, so der Vorsitzende der Zentralstelle, Werner Glenewinkel. »Statt Mindestlöhne von 7,50 Ost oder 8,50 West sollen die neuen 'Bundespflegebeamten' mit 3,75€ bezahlt werden.«

Für die Wirtschaft ist der Zivildienst ein lohnendes Geschäft - bedeutet er doch hohe Einsparungen an Personalkosten. Nicht nur gemeinnützige Einrichtungen und kleine private Pflegedienste bieten Zivildienststellen an. Auch börsennotierte Krankenhauskonzerne stellen Zivildienstleistende ein. Nach Glenewinkel sind rund 30 000 Zivis bei »gewinnorientierten Betrieben« angestellt. Auch die Sozialverbände und Wohlfahrtsorganisationen profitieren von der niedrigen Bezahlung.

Zur Zeit werden noch Einberufungsbescheide für eine neunmonatige Dienstzeit verschickt. Der Bundestag verabschiedete zwar das Wehrrechtsänderungsgesetz am 17. Juni 2010. Abgeschlossen wird das Gesetzgebungsverfahren jedoch mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Das wird am 1. Dezember diesen Jahres geschehen. Dann gilt die Reduzierung der Dauer auf sechs Monate rückwirkend für alle, die seit dem 1. Juli 2010 eingezogen worden sind.

Ob das Gesetz überhaupt in Kraft treten wird, steht noch nicht fest. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das ND vorliegt, bedarf die Verkürzung des Wehrdienstes der Zustimmung der Länderkammer. Begründung: Dem Bund werden durch das Gesetz neue Verwaltungsaufgaben übertragen. »Es gibt noch eine Möglichkeit, den Unsinn dieses Wehrdienst-Praktikums zu vermeiden«, so Hans-Peter Bartels, SPD-Verteidigungsexperten und Auftraggeber des Gutachtens. Die Bundesregierung bestreitet die Zustimmungspflicht.

Heute berät der Bundesrat über das Wehrrechtsänderungsgesetz. Seit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat Schwarz-Gelb dort keine Mehrheit mehr.

Lexikon

In der Bundesrepublik müssen alle Gesetze vom Bundestag beschlossen werden. Prinzipiell wird zwischen zustimmungsbedürftigen und Einspruchsgesetzen unterschieden. Welches Gesetz der Zustimmung des Bundesrates benötigt, regelt das Grundgesetz.

Das Wehrrechtsänderungsgesetz, am 17. Juni im Bundestag beschlossen, ist laut Bundesregierung ein Einspruchsgesetz. Einspruchsgesetze kann die Länderkammer nicht verhindern, sondern anfangs nur den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anrufen. Nach Ende der Vermittlung besteht für den Bundesrat die Möglichkeit, Einspruch gegen das Gesetz zu erhaben. Dieser kann von einer Mehrheit im Bundestag in einer erneuten Beratung zurückgewiesen werden. Lehnt die Länderkammer das Gesetz mit einer einfachen Mehrheit ab, kann der Bundestag mit einer absoluten Mehrheit das Gesetz beschließen. Stimmt der Bundesrat mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gegen das Gesetz, kann das Parlament das Gesetz nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit verhindern.

Ein Zustimmungsgesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Eine Zustimmungspflicht liegt beispielsweise dann vor, wenn das Gesetz die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten der Bundesländer berührt, verfassungsrechtlichen Charakter hat oder einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt. Billigt der Bundesrat das Gesetz nicht, ist es abgelehnt und kommt nicht zustande.

Die starke Stellung des Bundesrates ist wesentlicher Bestandteil der föderalen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Im Föderalismus werden staatlichen Aufgaben zwischen dem Gesamtstaat und Einzelstaaten aufgeteilt, und zwar so, dass beide politische Ebenen für bestimmte Aufgaben zuständig sind. Der föderale Aufbau des deutschen politischen Systems ist in Artikel 20 des Grundgesetzes festgelegt. ckl



* Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2010


Zurück zur Seite "Wehrpflicht-Zivildienst-Kriegsdienstverweigerung"

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage