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Wettrüsten im Weltraum

Neue Waffensysteme machen den Kosmos zur Kampfarena

Von Wolfgang Kötter *

Im New Yorker UNO-Hauptsitz berät der für Abrüstung zuständige Ausschuss jetzt über die Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum. Aber faktisch hat der Rüstungswettlauf im All längst begonnen.

Seit China Anfang des Jahres eine Anti-Satelliten-Waffe testete, ist die Aufregung groß. Doch die etablierten Kernwaffenstaaten und Raketenmächte nutzen den Kosmos schon Jahrzehnte auch militärisch. Allerdings droht nun eine neue Dimension: Der Weltraum mutiert zum Kriegsschauplatz und die dafür vorgesehenen Waffen werden bereits getestet. Schon seit geraumer Zeit betreiben die USA eine beispiellose Militarisierung des Alls und haben ihr mit der »New National Space Policy« im Vorjahr auch eine Grundlage gegeben.

Ziel ist die absolute Hegemonie im All gegenüber jedem potenziellen Rivalen. Einen der großen Vorteile des Weltraums als Kampfarena sieht Air-Force-General Kevin Chilton darin, »dass wir gewinnen können, ohne so viel amerikanisches Blut zu verlieren«. Dabei geht es sowohl darum, gegnerische Flugkörper auszuschalten, als auch vom All aus Ziele auf der Erde zu bekämpfen.

Gleichzeitig will das Pentagon den Weltraum für die Nationale Raketenabwehr (National Missile Defense) nutzen. Trotz Fehlschlägen und anhaltendem Widerstand im Kongress wird das Projekt hartnäckig weiterverfolgt. Vor wenigen Tagen konnte endlich wieder ein dringend benötigter Erfolg verkündet werden: Am 28. September, um 1.15 Uhr Ortszeit, startete eine Langstreckenrakete von der Kodiak Insel in Alaska. Siebzehn Minuten später hob von der Luftwaffenbasis Vandenberg in Kalifornien eine Abfangrakete ab, deren »Kill Vehicle« das Ziel wenig später im Weltraum über dem Pazifik vernichtete.

Ein ähnlicher Versuch war noch im Mai fehlgeschlagen, wie auch fünf weitere in der Vergangenheit – ein teures Unterfangen, denn 85 Millionen Dollar soll allein der jüngste Test gekostet haben. Zwar meldete die US-Raketenabwehragentur sechs Versuche als Erfolg, aber Kritiker bemängeln, dass kein einziger unter realistischen Bedingungen erfolgte. Getestet wurde nur bei Kaiserwetter. Die Flugbahn der abzuschießenden Rakete war vorab bekannt, und man verzichtete auf Ablenkungsdrohnen und Täuschungsmanöver.

Als Meilenstein für den Start eines Infrarot-Satelliten pries Mark Crowley, Vizepräsident des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin, im Sommer die gelungene Erprobung eines Infrarotsystems unter Vakuumbedingungen und bei weltraumähnlichen Temperaturen. Währenddessen testete das Pentagon für 25 Millionen Dollar einen entsprechenden Satelliten, der eine im Weltraum fliegende Minuteman-II-Rakete bis auf 3,5 Kilometer Entfernung aufspürte. Er könnte im Ernstfall auch als Anti-Satelliten-Waffe eingesetzt werden. In einem anderen Versuch erfasste ein Niedrigenergie-Laser von einer Boeing 747 aus ein Testflugzeug mit mehreren Markierungs-Lasern. Schließlich wurde von einem Projekt berichtet, bei dem ein Hochgeschwindigkeitsmotor zum Antrieb von kinetischen Abfangraketen ebenfalls fehlerlos funktionierte.

Alle diese Erfolge sollen die wachsenden Zweifel an dem Raketenschirmprojekt beschwichtigen. Doch die Kritik will nicht verstummen. Zum einen richtet sie sich gegen die exorbitanten Summen, die das Projekt verschlingt – jedes Jahr zehn Milliarden Dollar, bis zu 250 Milliarden könnten es schließlich insgesamt werden. Opponenten bezweifeln außerdem, dass das vorgesehene System jemals funktionieren wird und halten es gegen die zu erwartenden Gefahren ohnehin für völlig ungeeignet. »Kein Terrorist kann sich ballistische Raketen verschaffen. ›Schurkenstaaten‹, selbst wenn sie Raketen erwerben, die die Vereinigten Staaten erreichen, könnten diese nicht einsetzen, weil jede Rakete die Antwortadresse bereits auf ihrer Flugbahn geschrieben hätte«, so der kürzlich verstorbene Stanford-Professor und langjährige Berater mehrerer US-Regierungen, Wolfgang Panofsky. Lastkraftwagen, Flugzeuge oder Handelsschiffe seien da als Transportmittel für Atomwaffen wesentlich wahrscheinlicher.

Aber auch vor den politischen Folgen warnen die Experten. Vor allem die Pläne für eine Stationierung von Abfangraketen bzw. Radarinstallationen in Polen und Tschechien seien eine Provokation für Russland. Victoria Samson vom Center for Defense Information erwartet bei Fortsetzung der gegenwärtigen Konfrontationspolitik Washingtons einen neuen Kalten Krieg. Man solle sich doch nur »den amerikanischen Schreck vorstellen, wenn Russland eine Raketenabwehr in Mexiko stationieren würde«. Auch Professor Ted Postol vom Massachusetts Institute of Technology widerspricht offiziellen Behauptungen und weist nach, dass mit den Systemen durchaus russische Interkontinentalraketen bekämpft werden könnten.

Der zuständige US-Senatsausschuss hat jetzt vorsichtshalber die für kommendes Jahr beantragten Mittel zur Errichtung einer Teststätte im Weltraum gestrichen und die Finanzierung des Osteuropaprojekts um 85 Millionen Dollar gekürzt. Doch die Bush-Regierung zeigt sich verstockt. Das sei kein Wettrüsten im Weltall, meinte US-Botschafterin Christina Rocca in der Genfer Abrüstungskonferenz, deshalb gäbe es dort für die Rüstungskontrolle auch kein Problem zu lösen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2007


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