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Phosphorwaffen sind völkerrechtswidrig!

Menschenrechtler wollen Einsatz von weißem Phosphor im irakischen Falludscha untersuchen

Von Wolfgang Kötter

Während in dieser Woche in Genf Regierungsexperten, auch aus den USA und Großbritannien, über Einsatzverbote für inhumane Waffen verhandeln, wird die Weltöffentlichkeit durch Meldungen aufgeschreckt, wonach US-amerikanische und britische Truppen genau solche besonders grausamen und deshalb völkerrechtlich geächteten Waffen eingesetzt haben. Erst letzte Woche berichtete der italienische Fernsehsender RAINews24, die US-Streitkräfte hätten in Falludscha chemische Waffen, nämlich eine Art Napalm und weißen Phosphor gegen Aufständische und Zivilisten eingesetzt. Die Autoren beriefen sich auf Aussagen amerikanischer Soldaten, die grausame Szenen von durch Phosphorgranaten verbrannten Körpern zahlreicher Zivilisten schilderten. Am vergangenen Montag versammelten sich fast 200 Menschen vor der US-Botschaft in Rom und demonstrierten gegen den Einsatz von Phosphor im Irak. Dies wurde vom US-Außenministerium zunächst abgestritten. Noch in einem von der britischen Zeitung "The Independent" veröffentlichten Brief hatte Botschafter Robert Tuttle vor wenigen Tagen behauptet: "US-Streitkräfte setzen Napalm oder weißen Phosphor nicht als Waffen ein".

Das chemische Element Phosphor tritt in verschiedenen Formen auf: Als weißer, roter, schwarzer und violetter Phosphor. Jede dieser vier Modifikationen hat andere Eigenschaften, wobei der weiße Phosphor die flüchtigste und am leichtesten zu entzündende Form ist. Die Substanz brennt bereits, wenn sie mit Luft in Berührung kommt. Bei Menschen kann die Berührung mit weißem Phosphor zu schwersten Verbrennungen bis auf die Knochen führen. Weißer Phosphor ist gleichzeitig hochgiftig. Er stört wichtige Stoffwechselprozesse. Schon geringe Mengen können nach einiger Zeit zum Tode führen. Phosphor-Brandbomben kamen schon im Zweiten Weltkrieg und in Vietnam zum Einsatz. Noch heute werden an die Strände der Ostsee Munitionsreste angespült, weil die Alliierten sie dort nach dem Krieg entsorgt hatten.

Nach anfänglichem Leugnen musste das Pentagon inzwischen zugeben, dass amerikanische Truppen bei einer Großoffensive im irakischen Falludscha vor einem Jahr Phosphorgranaten eingesetzt haben. Danach gestand auch die britische Regierung die Anwendung von weißem Phosphor in Irak ein. Zunächst wurde allerdings versucht, diese völkerrechtswidrigen Waffeneinsätze zu verharmlosen. Pentagonsprecher Barry Venable wies die Darstellung des italienischen Fernsehens zurück, dies habe sich gegen Zivilpersonen gerichtet. Das Verteidigungsministerium in Washington hatte zuvor lediglich eingeräumt, Phosphorgranaten benutzt zu haben, um Ziele zu markieren und feindliche Stellungen bei Nacht zu erleuchten. Ein Sprecher von Premierminister Blair behauptete: "Britische Truppen besitzen weißen Phosphor, aber um Rauch zu erzeugen, und dafür wurde es auch in Irak benutzt". Mit Blick auf die Chemiewaffenkonvention, die den militärischen Gebrauch aller chemischen Waffen strikt untersagt, bestand Venable darauf: "Weißer Phosphor ist eine konventionelle Munition, keine chemische Waffe. Wir benutzen es in erster Linie als Verdunkler, für Rauchvorhänge oder zur Markierung von Zielen." Dann folgte jedoch das Eingeständnis: "Es ist aber auch als Brandwaffe gegen feindliche Kämpfer eingesetzt worden". Weißer Phosphor unter Militärs auch "Willy Pete" genannt, sei nützlich, um Aufständische aus Positionen zu vertreiben, die nicht mit normaler Artillerie erreicht werden könnten.

Richtig ist, dass der weiße Phosphor im militärischen Bereich nicht zu den chemischen, sondern zu den konventionellen Waffen gerechnet wird. Die Substanz wird in Brandbomben, Signalmitteln, Leuchtspurmunition und Rauchbomben verwendet. Aber den Einsatz von genau diesen Brandwaffen verbietet ein völkerrechtlicher Vertrag, nämlich Protokoll 3 des Übereinkommens über "Verbote und Einsatzbeschränkungen für bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken", kurz: Konvention "Inhumane Waffen". Die Vereinbarung verbietet den Einsatz von Brandwaffen gegen Zivilisten. Sie dürfen auch nicht gegen militärische Ziele eingesetzt werden, wenn diese nicht klar von zivilen Zielen abgegrenzt werden können. Der Verweis darauf, man sei ja diesem Protokoll bisher nicht beigetreten, kann angesichts der verbrannten und verstümmelten Leichen nur als Gipfel des Zynismus verstanden werden.



Artikel 1
"Im Sinne dieses Protokolls
1. bedeutet "Brandwaffe" Waffen oder Kampfmittel, die in erster Linie dazu bestimmt sind, durch die Wirkung von Flammen, Hitze oder einer Kombination derselben, hervorgerufen durch eine chemische Reaktion eines auf das Ziel verbrachten Stoffes, Objekte in Brand zu setzen oder Personen Brandwunden zuzufügen...

Artikel 2
(1) Es ist unter allen Umständen verboten, die Zivilbevölkerung als solche, einzelne Zivilpersonen oder zivile Objekte zum Ziel von Angriffen mit Brandwaffen zu machen.
(2) Es ist unter allen Umständen verboten, ein innerhalb einer Konzentration von Zivilpersonen gelegenes militärisches Ziel zum Ziel eines Angriffs mit Brandwaffen aus der Luft zu machen.
(3) Es ist ferner verboten, ein innerhalb einer Konzentration von Zivilpersonen gelegenes Ziel zum Angriff mit anderen als aus der Luft eingesetzten Brandwaffen zu machen, es sei denn, dass dieses Ziel eindeutig von der Konzentration von Zivilpersonen getrennt ist ...

Aus Protokoll 3 der Konvention "Inhumane Waffen"



* Aus: Neues Deutschland, 18. November 2005 (Titel: "Pentagon lobt Nutzen von 'Willy Pete'")


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