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"Wir fordern die Rückkehr zu den strengen Regeln des Völkerrechts..."

Erklärung der Mitgliederversammlung der Neuen Richtervereinigung vom 3.2.2002 in Bad Bevensen

Die Mitglieder der Neuen Richtervereinigung sind in Sorge wegen der Beteiligung Deutschlands an gegenwärtigen und zukünftigen Kriegen. Seit der Ankündigung des US-Präsidenten, die "Achse des Bösen" des internationalen Terrorismus zu bekämpfen, drohen weitere Bundeswehreinsätze in Irak, Nordkorea, Somalia und an anderen Orten. Wir beobachten einen bedrohlichen Prozeß der Entrechtlichung des Einsatzes militärischer Mittel und fordern die Rückkehr zu den strengen Regeln des Völkerrechts. Auch bei allen Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die UN-Charta sieht ausreichende Möglichkeiten vor, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Nur die Einhaltung internationaler Rechtsregeln vermag langfristig den Frieden zu sichern.

Wir erinnern daran, dass der internationale Terrorismus seine Wurzeln auch in einer ungerechten Weltwirtschaft, in kultureller und religiöser Demütigung, in Armut und Unterentwicklung hat. Vorrangiges Ziel der Politik muß die Beseitigung dieser Ursachen sein.

Begründung

Die Bundeswehr hat sich im Rahmen internationaler Allianzen zunächst am Jugoslawien-Krieg und jetzt auch im Krieg in Afghanistan mit Kampftruppen beteiligt. Seit der Ankündigung des US-Präsidenten, mit der "Achse des Bösen" den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, drohen weitere Bundeswehreinsätze in Irak, Nordkorea, Somalia oder an anderen Orten.

Wir fordern die deutsche Regierung und den Bundestag auf, die Beteiligung deutscher Truppen an solchen Militäreinsätzen zu verweigern und den Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf völkerrechtlich zulässige Maßnahmen zu beschränken. Die Beteiligung an den Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan widerspricht sowohl den vom Völkerrecht vorgesehenen Verfahrensregeln als auch dem materiellen Völkerrecht, das Gewalt im Verkehr zwischen den Staaten grundsätzlich verbietet und nur sehr begrenzt Ausnahmen vorsieht. Eine Ausnahme wäre ein förmlicher Beschluß des UN-Sicherheitsrats oder die Ausübung des Notwehrrechts, bis der Sicherheitsrat einschreitet.

Eine Legitimation des Sicherheitsrats zum Einsatz militärischer Gewalt lag bei beiden Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan nicht vor. Die UN-Charta schreibt dafür in Art.39 die förmliche Feststellung des Friedensbruchs oder der Friedensgefährdung und anschließend die förmliche Feststellung der Anwendung militärischer Maßnahmen nach Art. 42 vor.

Im Jugoslawien-Krieg hat die Allianz gar kein Mandat des Sicherheitsrats eingeholt. Im Afghanistan-Krieg liegt ebenfalls kein Beschluß des Sicherheitsrats vor, der die Anwendung militärischer Gewalt rechtfertigt. Die Berufung auf des Selbstverteidigungsrecht nach Art 51 UN-Charta war der Kriegsallianz versperrt, weil der Sicherheitsrat nach der Feststellung der Bedrohung des Weltfriedens in der Resolution 1368 vom 12.9.01 mit der weiteren Resolution 1373 vom 28.9.01 zahlreiche Maßnahmen zur Terrorismus-Bekämpfung und auch die weitere Befassung mit der Angelegenheit beschlossen hatte. Die Presse-Erklärungen der Präsidenten des Sicherheitsrats und des Präsidenten der UN-Vollversammlung vom 8.10.01 konnten in Fragen der Rechtfertigung von Militäreinsätzen nicht den vorgeschriebenen förmlichen Beschluß des Sicherheitsrats ersetzen.

Materiell-rechtlich war im Jugoslawien-Krieg - die Bedrohung der Kosovo-Albaner unterstellt - der Bombenkrieg aus großer Höhe kein geeignetes Mittel zur Verteidigung der Bedrohten. Völkerrechtlich ohne jede Rechtfertigung waren spätestens die in der 3.Angriffswelle erfolgten Angriffe auf zivile Ziele und die Zivilbevölkerung, die zu mindestens 2.000 toten Zivilisten und zahlreichen Zerstörungen geführt haben.

Im Afghanistan-Krieg lagen die Ausnahmen vom Gewaltverbot nach Art.2 Abs.4 UN-Charta ebenfalls nicht vor. Weder hatte der Sicherheitsrat die Kriegsallianz ermächtigt oder beauftragt militärisch vorzugehen, noch lagen die Voraussetzungen für die Ausübung des Notwehrrechts vor. Belege für einen bevorstehenden Angriff Afghanistans oder mit Unterstützung der Afghanischen Regierung durch im Lande weilende Terroristen auf die USA sind nicht behauptet worden. Für die Tötung von einigen tausend Zivilisten gibt es keinerlei Rechtfertigung.

Wir fordern die Rückkehr zu den strengen Regeln des Völkerrechts, das ausreichend Möglichkeiten vorsieht, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Eine lange Liste von Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus hat der Sicherheitsrat in der Resolution 1373 vom 28.9.01 beschlossen. Er hat die Staaten aufgefordert, entsprechende nationale Maßnahmen zu ergreifen. Dazu zählen die Verweigerung von Zufluchtsorten und des Flüchtlingsstatus für mutmaßliche Terroristen, die Verhütung des Sammeln und Transferieren von Geld für terroristische Aktionen, die Verhinderung der grenzüberschreitenden Bewegung von Terroristen und die Zusammenarbeit der Justizbehörden.

Ein großer Schritt zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wäre das baldige Inkrafttreten des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, wobei insbesondere die USA aufgefordert werden sollten, ihren Widerstand gegen die Ratifizierung des Statuts aufzugeben.

Der Sicherheitsrat hat die Möglichkeit, nach der Feststellung der Friedensbedrohung gemäß Art. 40 weitere Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus zu ergreifen. Denkbar wären auch nach Art. 41 die Anordnung nichtmilitärischer Sanktionsmaßnamen gegen Staaten, die Terroristen unterstützen. Dazu zählen u.a. die Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Verkehrs und der Kommunikation.

Als "ultima ratio"- wenn die Bedrohungslage es erfordern sollte - könnte der Sicherheitsrat nach Art. 42 auch militärische Maßnahmen anordnen. Das kann in der Weise geschehen, daß der Sicherheitsrat eigene Truppen einsetzt, die ihm die Mitgliedsstaaten nach Art. 45 zur Verfügung stellten müßten. Der Sicherheitsrat könnte aber auch nach Art. 42 andere Staaten oder Bündnisse beauftragen oder ermächtigen militärische Gewalt zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus anzuwenden.

Alle diese Maßnahmen unterliegen dem Verfahrensrecht nach der UN-Charta, die 1945 als internationales Instrument der Kriegsverhinderung geschaffen und mit einer Vielzahl von Eingriffsmöglichkeiten ausgestattet worden ist. Nicht von der UN sanktionierte Militäreinsätze verletzen das Völkerrecht. Sie wären nur zur Abwehr unmittelbar bevorstehender Angriffe zulässig, bis der Sicherheitsrat einschreitet.

Wir fordern die Bundesregierung und den Bundestag auf, den internationalen Terrorismus, den wir unter anderem als Ergebnis einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, als Folge kultureller und religiöser Demütigungen, als Reaktion auf Armut und Unterentwicklung, auf Gewalt und Haß ansehen, mit angemessenen Mitteln zu bekämpfen und bei allen Maßnahmen den Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Die UN-Charta als unersetzliche zivilisatorische Errungenschaft muß geschützt und mit Leben erfüllt werden. Alternativen dazu gibt es derzeit nicht. Nur die Einhaltung internationaler Rechtsregeln vermag langfristig den Frieden zu sichern.

Wir verlangen weiterhin von Bundesregierung und Bundestag, das Grundgesetz zu achten und die Bundeswehr nur zur Verteidigung der Bundesrepublik oder der Verbündeten einzusetzen. In Erfüllung von Art. 24 GG sollte Deutschland der UN als internationalem Sicherheitssystem eigene Militäreinheiten zur Verfügung stellen.

Zudem besteht Anlaß an die Einhaltung des NATO-Vertrages zu erinnern, der den Einsatz der Bundeswehr nur zur Verteidigung der NATO-Partner i.R. der NATO-Begrenzung vorsieht.


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