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Sieg übers Völkerrecht

Ein Band mit politischen Texten des Philosophen Georg Meggle

Von Simon Zeise *

Es ist ein landläufiges Vorurteil, analytische Philosophen seien nicht in der Lage, grundsätzliche Positionen zu tagesaktuellen Fragen zu formulieren. Georg Meggle, der aus dieser Schule kommt, tritt den Gegenbeweis an. Nach seinen eigenen Worten wendet er sich mit dem Band »Philosophische Interventionen« »der semantischen Kriegsführung und der mit ihr einhergehenden Gehirnwäsche durch die Massenmedien« zu und empfiehlt seine philosophische Richtung als »Gegengift«.

Der Autor, der sich schon in der Vergangenheit in »Terror und der Krieg gegen ihn« (2003) und in »Humanitäre Interventionsethik« (2004) kritisch geäußert hatte, versammelt in diesem Buch zumeist öffentlich gehaltene Reden, in denen er u.a. Stellung zu Krieg, Terrorismus und dem Nahost-Konflikt bezieht. Eingeleitet wird es mit seiner Saarbrücker Antrittsvorlesung vom April 1990 »Ethik – raus aus der Uni?«. Meggle erläutert, daß für ihn in »Praktische Ethik« auch »die politischen und ökonomischen Grundbedingungen des Zusammenlebens thematisiert« werden. Für ihn ist »die Beschränkung aufs Machbare keine Beschränkung des Machbaren«, weshalb er fragt, ob sich »Gesellschaften nicht verändern lassen«. Praktische Ethik bedeutet für ihn »permanenter Wahlkampf an der Uni« und zwar »Wahlkampf auf rationalem Gebiet«. Und: »Lieber, weil besser, eine Uni, an der ab und zu auch einmal demonstriert wird, als eine Uni, an der brisante Themen erst gar nicht vorkommen.«

Humanitäre Intervention

Als der deutsche Außenminister Joseph Fischer 1999 unter der Parole »Nie wieder Auschwitz!« die Deutschen aufforderte, Verständnis für die NATO-Angriffe auf Jugoslawien zu haben, pochte Meggle, der seit 1994 in Leipzig lehrt, öffentlich auf die Einhaltung des Völkerrechts. Keineswegs selbstverständlich zu einer Zeit, in der große Teile der deutschen Bevölkerung auf die Lügen zur Rechtfertigung des Krieges hereinfielen. Seit diesem Feldzug wurde in der ­NATO durchgesetzt, unter dem Deckmantel einer »humanitären Intervention« ohne Beschluß des UN-Sicherheitsrats Kriege zu führen. Meggle warnt angesichts dessen davor, daß eine neue Zeitrechnung drohe, hinter die Zeit des Westfälischen Friedens von 1648 zurück: »Von den meisten NATO-Mitgliedern als Sieg der Moral über das bloße Recht, als Sieg der Menschenrechte über das Völkerrecht« umschrieben, begriffen andere den Angriff auf Jugoslawien »als Rückfall in die vor-völkerrechtliche Barbarei«. Wenige Tage vor dem Einmarsch der US-Armee in den Irak, im März 2003, fragte Meggle in einem Vortrag an der Universität Leipzig nach Sinn und Zweck des bevorstehenden Krieges. Nach eingehender Analyse von Argumenten der US-Administration erinnerte er daran, daß er von langer Hand geplant war. Mehrere Zeitungen lehnten den Abdruck des Textes »dankend ab«.

Terror und Nahost

Bereits 2006 dann warnte Meggle in einem weiteren Beitrag vor »Bomben auf den Iran«. Die Argumentationsmuster weisen seiner Meinung nach beängstigend viele Parallelen zur Irak-Invasion auf.

Ein weiteres Thema, das er grundlegend abhandelt, ist Terrorismus. Meggle erklärt sich mit der gängigen Definition nicht einverstanden, wonach nur derjenige Terrorist ist, der sich, um Menschen zu töten, nicht als Angehöriger einer Streitmacht ausweist. Sollen moralische Grundsätze für jedermann gelten, ist auch das Töten von Zivilisten durch hochgerüstete und offizielle Armeen ein Terrorakt und nicht bloßer »Kollateralschaden«. Der Autor verweist darauf, daß es deshalb so wichtig ist, genau zu definieren, was Terrorismus ausmacht, weil die Herrschenden ihn nach eigenen Gesetzen definieren.

Der Band enthält auch drei Stellungnahmen zum Nahost-Konflikt. So formulierte er für die Grundsatzkommission von »pax christi« Thesen zur Menschenwürde im Palästina-Konflikt, in denen er sich u. a. gegen Doppelmoral wendet. Wer Antisemitismus verneine, müsse sich auch gegen Antiislamismus und Antiarabismus wenden. Angesichts des oft erhobenen Antisemitismus-Vorwurfs in diesem Zusammenhang wandte sich Meggle 2008 dem Thema zu und unterschied aus sprachphilosophischer Sicht zwischen Antizionismus, Antisemitismus und der Kritik am Handeln der israelischen Regierung. Am 2. Juni 2010 gab der Philosoph auf dem Leipziger Augustusplatz ein Statement zu den Toten auf den Schiffen der Bewegung für ein freies Gaza ab. Er folgte dem Aufruf eines Friedensbündnisses, das gegen den Angriff der israelischen Armee auf den Hilfskonvoi im Mittelmeer protestierte.

Meggles hier versammelte »philosophischen Interventionen« sind das politisches Zeugnis eines Intellektuellen, der in der Öffentlichkeit mutig für Frieden und Menschenwürde eintritt. Außerdem stellt er aus Sicht der analytischen Schule präzise Definitionen vor, die für Interessierte an heutigen zentralen internationalen politischen Konflikten ein unverzichtbares Nachschlagewerk darstellen.

Georg Meggle: Philosophische Interventionen. mentis Verlag, Paderborn 2011, 226 Seiten, 29,80 Euro (sFr 48,30); ISBN: 978-3-89785-725-4

* Aus: junge Welt, 21. Februar 2011

Lesen Sie von Georg Meggle auf unseren Seiten:

"Für einen gerechten Frieden in Palästina" und damit "für ein wirklich sicheres Israel"
Statement von Georg Meggle zu den Toten auf den Hilfsschiffen für Gaza (6. Juni 2010)
Was steckt hinter dem Libanonkrieg?
Ein Versuch, den Libanon-Krieg rational zu erklären. Von Georg Meggle (17. August 2011)
Bomben auf den Iran?
Gedanken zum Iran-Krieg. Von Georg Meggle (7. Mai 2006)




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