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Kein Menschenschicksal

Ächtung des Krieges - Gedanken zum 80. Jahrestag des Briand-Kellogg-Pakts

Von Ilsegret Fink *

Der 27. August 1928 war in höchst unfriedlicher Zeit wahrlich ein Weltfriedensdatum. In Paris waren zur Erstunterzeichnung des ersten Kriegsächtungspaktes Regierungsvertreter aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien (einschließlich seiner Dominien), Italien, Japan, Polen, die Tschechoslowakei und den USA zusammengekommen. Sie setzten mit ihrer Unterschrift der seit Jahrtausenden akzeptierten Rechtfertigung von Kriegen als »unabwendbares Menschenschicksal« ein politisch-moralisches Nein zu Krieg entgegen. Schon am 24. Juli 1929 wurde dieser Vertrag völkerrechtlich in Kraft gesetzt. Eine Wende in der Geschichte des Unfriedens!

Diese Glanzleistung friedenswilliger Diplomatie spiegelte freilich keineswegs die Interessen der Rüstungsindustrie der jeweiligen Staaten. Es ging um ergänzende Unterstützung der Arbeit des Völkerbundes, der am Ende des Ersten Weltkrieges von den Siegermächten gegründet worden war, in der Hoffnung, dass aus den Erschütterungen des Völkergemetzels der Wunsch nach einer Weltfriedensordnung entstehen würde. Aber alle Konflikte blieben unter neuer Signatur präsent. Es ging um eine wirksame militärische Entmachtung Deutschlands, Wiedergutmachung von zugefügten Kriegsschäden und eine friedliche, vertraglich ausgewogene Nachkriegsordnung.

Das gesteckte Ziel, den Nationalstaaten Einsicht in die Notwendigkeit von Rüstungsbegrenzung zu vermitteln und aktive Schritte zu Abrüstung zu wagen, wurde nicht erreicht. Die Forderungen der seit Jahrzehnten nicht nur in Europa aktiven Friedensgruppen waren in ihrer Kritik oft heilsam kompromissloser. Berta von Suttners Forderung: »Die Waffen nieder« hatte dazu beigetragen, wenigstens für sechs Jahre, von 1899 bis 1905, ein Verbot künftiger Luftkriege zu erreichen. Um eine Verlängerung des Verbotes hat sie sich 1912 vergeblich bemüht. Jedenfalls ist es ihrem unermüdlichen persönlichen Einsatz zu danken, dass Alfred Nobel (1833-1896) sich entschloss, gleichberechtigt zu den Preisen für wissenschaftliche Hochleistungen auch einen Friedenspreis zu stiften.

Präsident Woodrow Wilson legte am 8. Januar 1918 seinem US-Kongress ein 14-Punkte-Programm vor, in dem er u. a. als Vorbedingung für Verhandlungen die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes aller Völker sowie die Reduzierung der nationalen Rüstung auf das für die Sicherheit des Staates notwendige Mindestmaß forderte. Er riet sogar, das Leninsche Friedensdekret vom November 1917 ernst zu nehmen und Lenin zur Versailler Friedenskonferenz einzuladen, aber Frankreich und England waren nicht bereit, die UdSSR diplomatisch anzuerkennen. 1919 wurde Wilson der Friedensnobelpreis zugesprochen.

In dem Vertrag von 1928 über die Ächtung des Krieges heißt es im Artikel I: »Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.« Und im Artikel II ist fixiert, »dass die Regelung und Entscheidung aller Streitigkeiten und Konflikte, die zwischen ihnen entstehen konnten, welcher Art und welchen Ursprungs sie auch sein mögen, niemals anders als durch friedliche Mittel angestrebt werden soll«.

Der ausführliche Text von 1928 und die 20 Jahre danach verabschiedete UN-Charta, die gemeinsamen Geist beweisen, müssten heute in allen Geschichtsbüchern stehen, damit die Heranwachsenden an der Diskrepanz von unterzeichneten Texten und der aktuellen Hochrüstung, dem Waffenhandel und heißen Kriegen lernen können, wie nationale Kriegsinteressen Völkerrecht außer Kraft setzen und Aggressionskriege sogar im Pakt Verbündete gegeneinander geführt und in nationale Verteidungsnotwendigkeit umgelogen werden.

Denn schon 1931 hatte Japan China angegriffen, Italien 1936 den Paktpartner Äthiopien. 1937 bombardierte Hitlerdeutschland die baskische Stadt Guernica und entfesselte am 1. September 1939 - ungeeachtet der gemeinsamen Unterzeichnung der Kriegsächtung - den Zweiten Weltkrieg durch den Überfall auf den Paktpartner Polen. In dem von den alliierten Siegermächten nach dem Krieg geführten »Nürnberger Prozess« wurde Deutschland wegen absichtlichen Bruchs des Briand-Kellogg-Paktes angeklagt. Doch seit dem Abwurf der ersten Atombomben 1945 war bereits ein neues Kapitel der Kriegsführung eröffnet, durch Massenvernichtungswaffen. Seitdem ist durch nukleare Langzeitwirkung Völkermord militärisch kalkulierbar geworden.

Bei aller berechtigten Kritik daran, was im Briand-Kellogg-Pakt fehlte, bleibt zu würdigen, dass die unterzeichnenden Völker erstmalig Krieg als völkerrechtswidriges Mittel bezeichneten. Seitdem wird mit dem Angriffskrieg bewusst der Rückfall in Barbarei riskiert. Aber weil aus Machtinteressen nicht erst heute Geschichtsvergessenheit organisiert wird, sind durch kritisches Lernen angeeignete Geschichtskenntnisse eine wohl zunehmend aktive Form der Verteidigung von Menschenrechten. Das sich in der EU vereinigende alte Europa hätte die Pflicht gehabt, den Pakt von 1928 als verbindlichen Teil der gemeinsamen Geschichte zu akzeptieren. Jedenfalls dürfen wir nicht nachlassen, das vor 80 Jahren schon gewährte und scheinbar wieder vergessene »Menschenrecht auf friedliche Konfliktlösung« immer wieder einzufordern.

* Aus: Neues Deutschland, 30. August 2008


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