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No Peace Without Law

Peter Bürger* bespricht das neue Buch von Dieter Deiseroth: "Stärkung des Völkerrechts durch Anrufung des Internationalen Gerichtshofs?"

„There can be no peace without law“, meinte der frühere US-Präsident General Dwight Eisenhower. Damit ist der Kern des demokratischen Liberalismus und der Konzeption des demokratischen Friedens auf den Punkt gebracht. Ohne Rechtsstaatlichkeit im internationalen Maßstab kann es weder Demokratie noch Frieden geben. Das Völkerrecht soll gewährleisten, dass überlebenswichtige Lernprozesse der menschlichen Zivilisation vor dem Schicksal von Eintags-Fliegen bewahrt bleiben. Moral und Legalität lassen sich dabei nicht auseinanderdividieren. Sechs Jahrzehnte nach Gründung der UNO verbreitet die machtpolitische Propaganda nun in Sachen Völkerrecht Zynismus und resignative Stimmungen. Bundesverwaltungsrichter Dr. Dieter Deiseroth hält im Gegensatz dazu am geltenden Recht fest und zeigt in seinem neuen Buch auf, wie es im Rahmen der bestehenden internationalen Ordnung auch zum Zuge kommen könnte.

Die gute Lesbarkeit dieser Studie für Nicht-Juristen bestätigt die Vermutung, dass klare Rechtsstandpunkte sich – im Gegensatz zu interessegeleiteten Rechtsverdrehungen – verständlich mitteilen lassen. Der „präventive“ Irakkrieg der us-amerikanischen und britischen Regierung wird unter der Überschrift „Missachtung des Völkerrechts“ beleuchtet. Dabei dienen Originalzitate der verantwortlichen Politiker (S. 9-17) und auch Absichtserklärungen der geltenden Sicherheitsdoktrin (NSS) der USA als Belege. Nicht nur die willkürliche „Kreativität“ der äußerst vielfältigen und wechselnden Kriegsbegründungen wird deutlich, sondern auch das – nachgereichte – unverhohlene Eingeständnis ökonomischer Ziele (Öl), die eine Ausnahme vom Gewaltverbot der UN-Charta in keinem Fall rechtfertigen. Die Konstruktionen, nach denen der Irakkrieg als Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes gemäß Art. 51 UN-Charta oder als durch UN-Resolutionen ermächtigt erscheinen soll, werden gesondert widerlegt (S. 45-55).

In zwei Kapiteln erfahren wir, wie die (verfassungs-)rechtliche Situation in den Vereinigten Staaten und Großbritannien bezogen auf das Völkerrecht sowie die Kompetenzen der Legislative (bzw. Exekutive) bei Entscheidungen für einen Krieg beschaffen ist. In beiden Ländern kam es bezogen auf die Irak-Kriegs-Entscheidung zur – vergeblichen – Anrufung nationaler Gerichte, die sich jeweils nicht für kompetent hielten bzw. keine Notwendigkeit für eine gerichtliche Klärung erkennen wollten. [Zu erinnern ist in der Bundesrepublik in diesem Zusammenhang an eine implizite Weigerung des Generalbundesanwaltes, die Völkerrechtskonformität – und damit Verfassungskonformität – der bundesdeutschen Unterstützungsleistungen für den Irakkrieg zu überprüfen.] Was nun soll man machen, wenn niemand sich für zuständig erklärt, alles angeblich völlig unklar ist und obendrein Traditionen bemüht werden, die die Außenpolitik gegenüber Gerichtsentscheiden immun machen wollen? Als bestehende Instanz für eine mögliche Klärung ist (wie u.a. eine ILANA-Initiative mit international viel Zustimmung vorgeschlagen hat) der Internationale Gerichtshof [nicht der erst junge Internationale Strafgerichtshof!] zu nennen. Deiseroth richtet in seiner Darstellung ausführlich den Blick auch auf die Bundesrepublik Deutschland (bes. S. 149-164). Er erinnert an die konstitutive Friedensstaatlichkeit und unvergleichliche Völkerrechtsfreundlichkeit unserer Verfassung (Präambel; Art. 1; Art. 23-26). Im krassen Widerspruch zu GG Art. 24 Abs. 3 hat die Bundesrepublik „jedoch bislang die obligatorische Zuständigkeit des IGH nicht anerkannt“ und „bleibt damit sogar hinter der Praxis Deutschlands zur Zeit der Weimarer Republik zurück“. Unkommentiert dokumentiert die Arbeit Äußerungen rot-grüner Regierungspolitiker, die sich kategorisch weigern, eine Stellungnahme zur Völkerrechtswidrigkeit des Irakkrieges abzugeben (S. 121-127). An einer Klärung der Frage durch ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes ist die Bundesregierung, wie u.a. aus Briefdokumenten hervorgeht, nicht interessiert. Die umfangreichen Unterstützungsleistungen der Bundesrepublik für die Angreiferstaaten im Rahmen der Gesamtlogistik des Irakkrieges werden demgegenüber öffentlich mit verbindlichen Vertrags- und Bündnisverpflichtungen begründet.

Art. 1 des NATO-Vertrages schließt jedoch den Bündnisfall für alle Kriegsfälle, die durch Art. 51 UN-Charta nicht gerechtfertigt sind, eindeutig aus (S. 54f.). Auch sind keine anderen zwischenstaatlichen „Verträge und Vereinbarungen“ denkbar, die unter Wahrung der bundesdeutschen Verfassung höher angesiedelt sein könnten als das Völkerrecht. In diesem juristischen Kontext ist leicht nachvollziehbar, warum eine völkerrechtliche „Qualifizierung“ des Irakkrieges für die Bundesregierung ein striktes Tabu darstellt. Sie käme in Teufels Küche, wenn das, was offenkundig ist, im Klartext auch so benannt wird. So aber glaubt man, sich auf eine neu erfundene Logik berufen zu können: Das eine (der Krieg) ist in seiner Legalität höchstens fraglich, also ist das andere (unsere Unterstützung) rechtens. (Als Nichtjurist denkt man immerhin, ein Subunternehmer, der Zweifel an der Legalität einer von ihm zu erbringenden Dienstleistung bzw. an der Rechtmäßigkeit des der Dienstleistung unmittelbar übergeordneten Projektes hegt, sei verpflichtet, sich zunächst Klarheit über die Rechtssituation zu verschaffen.)

Der IGH hat als „Hauptrechtsprechungsorgan“ durch die UN-Charta eine unersetzliche Funktion zugewiesen bekommen, und dazu gehört es, das Recht vor der Willkür bloßer Vermutungen und behaupteter Vieldeutigkeiten zu schützen: „wesentliche Voraussetzung für die Einhaltung und Durchsetzung des geltenden Völkerrechts [...] ist, dass sein genauer Inhalt transparent und bekannt und notfalls autorativ geklärt wird.“ (S. 146) Deiseroth zielt mit seinen eigenen Vorschlägen auf eine Perspektive, die bereits der ehemalige UN-Genralsekretär Boutros Boutros-Ghali 1992 aufgezeigt hat (S. 150). Dieser hatte in seiner „Agenda for Peace“ empfohlen, dass der UN-Generalsekretär ermächtigt wird, „von der gutachterlichen Kompetenz des [Internationalen] Gerichtshofs Gebrauch zu machen“, und dass andere – dazu bereits ermächtigte – UN-Organe häufiger von der Möglichkeit Gebrauch machen, ein Rechtsgutachten einzuholen. (Zu den erfreulichen Präzedenzfällen gehören die Klärungen des IGH von 1996 zur Völkerrechtswidrigkeit der Androhung der Verwendung von Atombomben und zum Einsatz von Nuklearwaffen selbst.)

Nun ist – nach flächendeckendem diplomatischen Druck der USA – die UN-Generalversammlung bei der Frage des Irakkrieges 2003 untätig geblieben ist. Sie hat weder eine „Uniting for Peace Resolution“ gefasst, noch die Einholung eines Rechtsgutachtens beim IGH beschlossen. Deiseroth sieht jedoch gewährleistet, dass trotzdem kein neues Völkergewohnheitsrecht geschaffen wurde, welches das Gewaltverbot der UN-Charta (Art. 2 Nr. 4) einschränken würde. (S. 135) Die große Mehrheit der Staaten hat unmissverständlich klar gemacht, dass der Irakkrieg 2003 ein Völkerrechtsbruch war. Eine neue „allgemeine Rechtsüberzeugung“ und eine „übereinstimmende allgemeine Staatenpraxis“, die das US-Vorgehen durch neues Völkergewohnheitsrecht legitimieren würden, liegen nicht vor.

Diese Arbeit bestätigt mit ihren Klärungen, dass hierzulande die Friedensbewegung mit ihren Forderungen für Völkerrecht und Verfassung einsteht. Zu wünschen wären in der Reihe „Recht und Zukunftsverantwortung“ nun vergleichbare rechtswissenschaftliche Darstellungen, die sich der neuen europäischen Militärdoktrin zuwenden. In Deutschland wird die im Grundgesetz unmissverständlich verankerte Friedensstaatlichkeit durch ein inflationäres Reden von „Transformation“ (Peter Struck) verdunkelt. Der EU-Verfassungsvertrag spricht vieldeutig von einer „Weiterentwicklung des Völkerrechts“. Die europäische Sicherheitsstrategie (Dezember 2003) sieht „die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen“. Das European Defence Paper (Paris, Mai 2004) präsentiert – ohne Scheu gegenüber dem IGH-Gerichtsentscheid von 1996 – Szenarien unter Einbeziehung der „nationalen Nuklearstreitkräfte“. Im Kontext von sogenannter Verteidigungspolitik werden dabei Kategorien genannt, die das Völkerrecht in diesem Zusammenhang gar nicht kennt, so die Bedrohung des europäischen „Wohlstandes“, „Ölversorgung“, „Energiekosten“ sowie „Handels- und Warenströme“. Vor dem Forum Bundeswehr & Gesellschaft der Zeitung „Welt am Sonntag“ nannte Bundesverteidigungsminister Struck (SPD) am 9.11.2004 ökonomische Faktoren der europäischen Sicherheitspolitik, die neben der „Moral“ und „gleichwertig neben ideellen Verpflichtungen“ stehen, darunter folgende Gesichtspunkte, die man in unserer Verfassung bezogen auf das Ressort des Ministers vergeblich sucht: „wirtschaftliche Entwicklung Europas“, „materielle[n] Interessen der Europäer“, „Schutz vor illegaler Immigration“ oder „Schutz der Energie- und Rohstoffversorgung“.

Ein Indiz dafür, wie zentral in diesem Kontext die Rechtswissenschaften sind, ist das 2003 gegründete „Düsseldorfer Instituts für Außen- und Sicherheitspolitik/DIAS“ (http://www.dias-online.org/ oder http://www.jura.uni-duesseldorf.de/universitaet.shtml). Dieser „eingetragene Verein“ ist an der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – einer öffentlich finanzierten Institution – angegliedert. Wiederholt hat Bundesverteidigungsminister Struck auf Veranstaltungen von DIAS geredet. Eine Transparenz der Finanzierung dieses Unternehmens ist umso wünschenswerter als es Zweifel daran gibt, ob der verfassungs- und völkerrechtliche Diskurs unter dem Dach von DIAS auf den herkömmlichen Standpunkt der Friedensstaatlichkeit zielt, auf jenes Fundament unseres Gemeinwesens, das den VerfasserInnen des Grundgesetzes vor Augen stand.

* Peter Bürger, Düsseldorf, Theologe und freier Publizist, Mitglied der Internationalen kath. Friedensbewegung Pax Christi

Dieter Deiseroth: Stärkung des Völkerrechts durch Anrufung des Internationalen Gerichtshofs? = Recht und Zukunftsverantwortung, Band 5. Münster: LIT-Verlag 2004. ISBN 3-8258-8282-9


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