Marsch ins Treibhaus
Auf dem Klima-Gipfel in Kopenhagen geht es nicht nur um die Reduktion der Treibhausgase. Dort werden auch die Weichen zwischen Frieden und Krieg für die Welt gestellt
Von Elmar Altvater *
Die bevorstehende Klimakonferenz von Kopenhagen wird ein Jahrhundertereignis
mit einem planetarischen Thema: Der Klimawandel muss gestoppt werden, oder
das Überleben vieler Menschen ist in Gefahr. Leider ist mit kleinkariertem
Zank zu rechnen - zwischen Ländern, die von Taifunen verwüstet wurden und
daher auf einen radikal verminderten Ausstoß von Treibhausgasen drängen, den
Ölstaaten, die auch weiter ungehindert ihr "schwarzes Gold" verkaufen
wollen, den Industrieländern, denen eine verbindliche Absenkung der
Klimagase nicht ins Geschäft passt und Regierungen, die den Energiehunger
ihrer Industrien auch künftig mit Kohle stillen wollen.
Der Klimawandel kostet immerhin an die 20 Prozent des globalen
Bruttosozialprodukts. Er verlangt hohe Menschenopfer, wie gerade erst die
philippinische Delegation auf dem Vorbereitungstreffen des Klimagipfels in
Bangkok angesichts schwerer Tropenstürme beklagt hat.
Ausgerechnet das US-Verteidigungsministerium hat die Folgen des Klimawandels
für Europa bereits kalkuliert. Das Szenario ging davon aus, dass die
Eiskappen an den Polen schmelzen und Süßwasser ins Nordmeer fließt, dessen
Salzgehalt sich verringert. Durch den veränderten Auftrieb am Nordpol wird
der horizontale Golfstrom aus dem subtropischen Atlantik umgelenkt und damit
die "Heizung" der nordatlantischen Regionen abgestellt. In Mitteleuropa, in
Skandinavien, auf den britischen Inseln, aber auch in Kanada und an der
nördlichen Ostküste der USA fallen die Temperaturen. Das klimatische
Paradox: Weil sich die Erde erwärmt, kann es in der nordatlantischen Region
beträchtlich kälter werden.
Ein Flüchtlingsstrom aus den Kältezonen des Treibhauses Erde flutet - so das
Szenario weiter - in die USA, und das Homeland muss nun, wie es das
Heimatschutzgesetz verlangt, verteidigt werden, auch militärisch. Diese
Annahme spiegelt nicht nur Zukunftsvisionen für Nordamerika, sondern die
Wirklichkeit an den europäischen Südgrenzen wider. Das
EU-Grenzschutzkommando Frontex schickt bereits jetzt im Mittelmeer
aufgebrachte Migranten zurück in ihre Herkunftsgebiete, die sie auch wegen
des Klimawandels und der damit einhergehenden verschlechterten
wirtschaftlichen Lage verlassen haben. Oder sie internieren die Betroffenen
in Wüstencamps, sofern die Flüchtlinge nicht zuvor im Mittelmeer ertrunken
sind. Wenn Klimapolitik zur Militärmission wird, bleiben alle menschlichen
Sicherheiten auf der Strecke.
Die Abkühlung der heißen Luft im Treibhaus Erde ist daher ein "Muss", denn
diese Luft ist bleihaltig. Deshalb sprechen auch friedenspolitische
Argumente dafür, die Emissionen radikal zu reduzieren. Nur birgt auch eine
alternative Energie- und Klimapolitiken harte Konflikte. Das lassen die
Vorschläge der Internationalen Energieagentur (IEA) vermuten. Nach ihren
Prognosen werden bis 2050 etwa vier Fünftel des Energieangebots aus fossilen
Quellen stammen. Doch woher nehmen? Viele alte Ölfelder sind erschöpft, neue
kaum gefunden. Und wenn doch, dann handelt es sich meist um schwer
erschließbare Vorkommen wie jenes vor der brasilianischen Atlantikküste in
4.000 Metern Tiefe. Dieses Öl zu fördern, ist nur dann ökonomisch rational,
wenn der Ölpreis sehr hoch ist. Wenn das Angebot dieses wichtigsten
Energieträgers also nicht wesentlich angehoben werden kann, aber die
Nachfrage wächst und der Preis steigt, nehmen zugleich die
Verteilungskonflikte um den knapper werdenden Stoff zu.
Der neokonservative Falke und ehemalige Vizeverteidigungsminister Wolfowitz
hat einst eingeräumt, dass die USA nur wegen des Öls in den Irak
einmarschiert sind. Sie haben dort in jeder Hinsicht ein Desaster
verursacht. Manchmal treten Ursache und Wirkung ziemlich offen zutage. Noch
komplizierter ist das geopolitische Geflecht aus Tanker-Routen, Pipelines,
Förderländern, transnationalen Konzernen und Verbraucherstaaten, die alle
für sich reklamieren, ihre Interessen verteidigen zu müssen. Nur ein
kollektives Sicherheitsverständnis kennen sie nicht.
Bieten wenigstens die erneuerbaren Energieträger friedliche Perspektiven?
Die Hungerrevolten und Brotunruhen der vergangenen Monate stimmen skeptisch.
Wenn den Menschen Ackerland für Nahrungsmittel genommen wird, um Biodiesel
herzustellen, sind harte Konflikte programmiert: Nahrungsmittel für den
Bauch oder Sprit für den Tank, das ist hier die Frage. Auch wenn in der
Sahara Solarstrom für Europa erzeugt werden soll, ist der Frieden gefährdet.
Energie-Imperialismus provoziert Widerstand, der dann - aktuelle
Sicherheitsdiskurse legen dies nahe - als "terroristisch" bekämpft wird.
Die Verwandlung von Energie- und Klimapolitik in Sicherheitspolitik scheint
unaufhaltsam. Auch wenn in Kopenhagen den erneuerbaren Energieträgern ein
größeres Gewicht gegeben wird und vereinbart werden sollte, die
CO2-Emissionen zu verringern - der Marsch ins Treibhaus wird fortgesetzt,
solange der Umbau des Produktions- und Konsummodells nicht beginnt. Das ist
in der Tat eine Jahrhundertaufgabe. Vielleicht sieht man in Kopenhagen den
Schimmer eines alternativen Energiemodells. Wenn nicht, wird jemand
irgendwann einmal das Licht ausmachen. Und zwar für immer.
* Aus: der Freitag, 8. Oktober 2009
Zurück zur Umwelt-Seite
Zur Seite "Neue Weltordnung"
Zurück zur Homepage