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"21 Jahre nach Tschernobyl sollten wir nicht länger auf die immer neuen Heilsversprechen der Konzerne hereinfallen"

Ärztinnen und Ärzte rufen zu einer grundlegenden Änderung der Energiepolitik auf - Regenerative Energie statt Atomkraftwerke

Am 26. April 2007, dem 21. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe, veröffentlichte die IPPNW in der Süddeutschen Zeitung eine ganzseitige Anzeige, worin Kritik an der Klimapolitik der Bundesregierung geübt wird. "Atomkraftwerke können das Klima nicht retten", heißt es darin. In wenigen Jahrzehnten wären die Uranvorräte der Erde aufgebraucht, zudem seien die Risiken der Kernkraft riesengroß.
Im Folgenden dokumentieren wir den Text der Anzeige sowie zwei weitere aktuelle Pressemitteilungen der IPPNW zum selben Thema.
Die Anzeige in der SZ kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden: "Atomkraftwerke retten nicht das Klima"



Atomkraftwerke retten nicht das Klima

Entgegen der Propaganda von Atomwirtschaft und ihnen genehmen Experten, Politikern und Medien können Atomkraftwerke das Klima nicht retten.

Man muss nur einmal rechnen: Weltweit tragen 435 Atomkraftwerke nur 3 Prozent zur Energieversorgung bei. Was ist mit den „restlichen“ 97 Prozent? Wenn auch nur 10% der fossilen Energie durch Atomkraft ersetzt werden sollten, müssten zusätzlich ca. 1000 neue Atomkraftwerke gebaut werden. Die Wahrscheinlichkeit für einen erneuten Super-Gau wie in Tschernobyl würde drastisch zunehmen.
Uran für die laufenden Atomkraftwerke reicht jetzt noch ca. 60 Jahre. Wie schnell die Uranreserven bei z.B.1000 zusätzlichen Atomkraftwerken aufgebraucht wären, kann sich jeder leicht ausrechnen.

Die deutschen Energieversorgungsunternehmen fordern vehement die Laufzeitverlängerung alter Atomkraftwerke. Begründet wird dies u.a. mit den CO2-Einsparungen. In Wirklichkeit geht es um ökonomische Interessen. Biblis A, Brunsbüttel und Neckarwestheim, in den 70er Jahren gebaut, wären heute aus Sicherheitsgründen nicht mehr genehmigungsfähig.
Sie sollen aber am Netz bleiben.

Die bekannten Risiken der „friedlichen“ Nutzung der Atomenergie bleiben damit weiter bestehen: Gefahr eines erneuten Super-Gaus durch technisches oder menschliches Versagen, Atomterrorismus, Atommüll für Jahrtausende, fehlende Endlager, Weiterverbreitung von atomwaffenfähigem Material. Obwohl die Bevölkerung mehrheitlich die Atomenergie ablehnt, wird sie von Atomindustrie und Politik gezwungen, mit derartigen Risiken zu leben.

Angesichts drohender Klimaerwärmung halten wir Ärztinnen und Ärzte die Energiewende für unumgänglich. Schon die Endlichkeit von Öl, Gas, Kohle und Uran lässt uns keine Wahl.
Deren vollständiger Ersatz durch Erneuerbare Energien bis 2050 ist nach Aussagen vieler Studien aus den unterschiedlichsten Ländern möglich.

Die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken sowie der geplante Neubau von 45 fossilen Großkraftwerken in Deutschland würden aber diese Energiewende auf Jahrzehnte blockieren.

Die großtechnische, fossil-atomare Energieversorgung muss zugunsten einer dezentralen Energieversorgung auf Grundlage von Erneuerbaren Energien aufgegeben werden.

Beim Ausbau Erneuerbarer Energien sind Energiekonzerne und Politiker allerdings vornehmlich an großen küstennahen Offshore-Windparks interessiert, während sie bürgereigene Windkraftanlagen im Binnenland dafür wieder abbauen wollen. Hier werden die Weichen falsch gestellt. Denn die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es nur dann zu einem Boom beim Ausbau der erneuerbaren Energien kommt, wenn ihn Hausbesitzer, Landwirte und bürgereigene Betreibergemeinschaften dezentral intensiv vorantreiben.

Weiterhin brauchen wir eine engagierte Politik zur Effizienzsteigerung und Einsparung von Energie in den Bereichen Raumwärme, Verkehr und Strom. Damit lässt sich CO2 in ganz anderen Größenordnungen vermeiden als durch Atomkraftwerke.

Am 21. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe mit ihren noch immer unabsehbaren Gesundheitsfolgen rufen wir Ärztinnen und Ärzte der IPPNW zu einer grundlegenden Änderung der Energiepolitik auf.

Zusammen mit allen Unterzeichnern fordern wir die politisch Verantwortlichen auf, sich die Politik nicht von den Energiekonzernen vorschreiben zu lassen, sondern allein die Interessen der Bevölkerung zu vertreten.

Text der Anzeige am 26. April 2007, veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung.


IPPNW-Presseinformation vom 24. April 2007

IPPNW kritisiert Klima-Propaganda

21 Jahre Tschernobyl

Berlin Anlässlich des Jahrestages der Atomkatastrophe in Tschernobyl am 26. April bezeichnete die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW die "Klima-Propaganda" der Atomindustrie als "sachlich falsch und energiepolitisch gefährlich". Der Atomindustrie gehe es lediglich um ihre Marktmacht und um den eigenen Profit. "21 Jahre nach Tschernobyl sollten wir nicht länger auf die immer neuen Heilsversprechen der Konzerne hereinfallen", fordert IPPNW-Atomexperte Henrik Paulitz.

Nach Auffassung der IPPNW können Atomkraftwerke das Klima nicht retten. "Weltweit tragen die 435 Atomkraftwerke zu weniger als 3 Prozent zur Energieversorgung bei", so Paulitz und fragt: "Was ist mit den "restlichen" 97 Prozent?" Wenn auch nur 10 Prozent der fossilen Energie durch Atomkraft ersetzt werden sollte, müssten zusätzlich rund 1000 neue Atomkraftwerke gebaut werden. "Das ist schon wegen der unzureichenden industriellen Fertigungskapazitäten völlig unrealistisch. Und noch bevor diese Anlagen errichtet wären, wäre das zu wirtschaftlichen Kosten abbaubare Uran vermutlich längst aufgebraucht."

Hinzu kommt, dass einer aktuellen Studie zufolge die Atomenergie schon heute bis zu einem Drittel so viel Kohlendioxid (CO2) emittiert wie Gaskraftwerke. Weil im Uranbergbau aber wegen des rückläufigen Urangehalts im Erz immer mehr fossile Energie eingesetzt werden muss, wird die Atomenergie voraussichtlich ab dem Jahr 2050 ebenso klimaschädlich sein wie fossile Gaskraftwerke.

Mehr noch: Für die Zeit zwischen 2050 und 2070 wird erwartet, dass für die Verarbeitung von niedrig-konzentriertem Uranerz eben so viel Energie verbraucht werden müsste, wie durch das gewonnene Uran an Energie gewonnen werden könnte. "Die Atomenergie ist insofern perspektivisch eine Energievernichtungstechnik." "Wir halten die CO2-Diskussion ohnehin für absurd", so Paulitz. "Wenn es um Atomkraftwerke geht, verweist die Atomindustrie auf das Klima. Zugleich plant sie allein in Deutschland 45 neue fossile Großkraftwerke, die mit ihrer konventionellen Technik alles, nur nicht CO2-frei sind. "Wir sollten uns auch hier nicht für dumm verkaufen lassen."

Angesichts drohender Klimaerwärmung hält die IPPNW eine Energiewende für unumgänglich. Schon die Endlichkeit von Öl, Gas, Kohle und Uran und die damit verbundene Gefahr von Ressourcenkriegen lasse keine Wahl. Deren vollständiger Ersatz durch Erneuerbare Energien bis 2050 ist nach Aussagen vieler Studien aus den unterschiedlichsten Ländern möglich. Die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken sowie der geplante Neubau von 45 fossilen Großkraftwerken in Deutschland würden aber den weiteren dezentralen Ausbau erneuerbarer Energien auf Jahrzehnte blockieren.


IPPNW-Presseinformation vom 23. April 2007

Deutsche Atomindustrie plant neue Atomkraftwerke

Anlässlich des Tschernobyl-Jahrestages am 26. April protestiert die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW gegen Pläne der deutschen Atomindustrie, neue Atomkraftwerke in Finnland, in Litauen und in der Slowakei zu errichten und daraus den Atomstrom nach Deutschland zu importieren. Medienberichten zufolge möchte E.On an den bestehenden Atomkraftwerksstandorten im finnischen Loviisa und im slowakischen Bohunice neue Atomkraftwerke als Ersatz für bestehende Anlagen errichten. Weiterhin ist für den litauischen Standort Ignalina im Gespräch, einen Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) aus dem Hause AREVA/Siemens zu errichten. Auf dem jüngsten EU-Gipfel wurden neue Stromtrassen beschlossen, um zum Beispiel Atomstrom aus Litauen in Richtung Berlin zu transportieren.

Für die IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen ist das eine "Mogelpackung", weil man in Deutschland im Rahmen des so genannten "Atomausstieges" einige Atomkraftwerke stilllegt, dafür aber im Ausland neue errichtet und den Atomstrom mit Hilfe eines ausgebauten europäischen Verbundnetzes wiederum nach Deutschland liefert. "Das Risiko eines weiteren Super-GAU soll so aus reinen Profitinteressen auf Jahrzehnte fortgeschrieben werden", so Claußen. "Das uneinsichtige Verhalten der Atomkonzerne widerspricht jeder Vernunft. Selbst Politiker von CDU, CSU und FDP haben sich in der jüngeren Vergangenheit mit deutlichen Worten von der Atomenergie abgewandt und wollen dieser allenfalls noch den Status einer Übergangsenergie zubilligen."

Der Bundesvorstand der FDP stufte die Atomenergie im April 2006 zur "Übergangsenergie" herab. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, erklärte im Januar 2007 laut "Handelsblatt", die Kernenergie sei lediglich eine "Brücke in den künftigen Energiemix". Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) sagte im Oktober 2006 bei einem Symposium des Bundesnachrichtendienstes (BND), selbst die Befürworter der Atomenergie gingen "nicht davon aus, dass die Kernenergie allein einen Königsweg zur Lösung der Probleme" darstelle. Der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Troge (CDU), verwies im August 2005 in der "Frankfurter Rundschau" auf die ungeklärte Entsorgung des Atommülls und auf die Risiken beim Kraftwerksbetrieb. Im Oktober 2006 sprach er sich in der "Zeit" gegen Laufzeitverlängerungen deutscher Atomkraftwerke aus.

Bundespräsident Horst Köhler (Ex-CDU) erklärte im April 2007 im Interview mit dem Bonner "General-Anzeiger", ihm seien "keine ernstzunehmenden Stimmen bekannt, die ihr Eintreten für die Atomkraft damit begründen, darin liege das allumfassende Patentrezept zur langfristigen Lösung des Klimaproblems".

Der ehemalige CDU-Umweltminister Klaus Töpfer, zuletzt Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms, hat am 21. März 2007 ausgerechnet bei einer Veranstaltung des "SiemensForums" der Atomenergie als Lösung für die Klimaprobleme eine klare Absage erteilt." Zum Schutz des Klimas müsste man laut Töpfer zusätzlich zu den 435 derzeit betriebenen Atomkraftwerken 3000 weitere Atomkraftwerke bauen und zudem in die Plutoniumwirtschaft mit Schnellen Brütern einsteigen. So stelle er sich aber die Zukunft für seine Enkelkinder nicht vor.

"Fast niemand außer einer Handvoll Konzernbosse will neue Atomkraftwerke", so Claußen. "Siemens räumte immer wieder ein, dass noch nicht einmal der überwiegende Teil der eigenen Belegschaft für die Nutzung der Atomenergie ist. Die Bevölkerung ist seit Tschernobyl mehrheitlich gegen die Atomenergie. Doch es ist zu befürchten, dass die Politiker entgegen eigener Einsichten auch jetzt wieder die Interessen von Konzernen wie Siemens und E.On bedienen werden."


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