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Krieg und Frieden

Vor 70 Jahren begann die Staatenkonferenz zur Gründung der UNO. Trotz des katastrophalen Weltkrieges war es nicht möglich, vollständige Abrüstung und Friedensgarantien zu vereinbaren

Von Norman Paech *

Vom 25. April bis 26. Juni 1945 fand auf Einladung der vier Großmächte USA, UdSSR, Großbritannien und der Republik China – Frankreich war nicht dabei – in San Francisco die abschließende Staatenkonferenz statt. Auf ihr sollte die Nachkriegsordnung in den Rahmen der United Nations Organization (UNO) gegossen werden. Die deutsche Wehrmacht hatte noch nicht einmal kapituliert, aber der Untergang des Nazireichs war bereits unumkehrbar. Ehe es zu dieser Konferenz kam, hatte es Jahre der Verständigung und Vorbereitung unter den Alliierten gegeben. Nun sollte in den kommenden zwei Monaten mit der UN-Charta ein Dokument erarbeitet und verabschiedet werden, auf dessen Basis die Staaten die Zukunft in Frieden gestalten wollten. Ihr Weg dorthin gibt interessante Aufschlüsse über die Intention der Staaten und über die hinter den Regelungen der Charta sich verbergende, aus der historischen Distanz oft schwer einsehbare Rationalität.

Der Angriff des Deutschen Reichs im Jahre 1939 auf seine Nachbarn hatte das Scheitern des Völkerbundes, des ersten Versuchs eines kollektiven Sicherheitssystems, endgültig besiegelt. Dies war nicht überraschend gekommen. Der 1920 gegründete Völkerbund war bereits den großen Konflikten um die Mandschurei (1931/32), um Äthiopien (1935/36) und Spanien (1936–1939) nicht gewachsen gewesen. Die Bemühungen, die Organisation mittels einer Satzungsrevision an die veränderten Bedingungen anzupassen, scheiterten. Nicht nur Deutschland und Japan, die beiden Mächte mit unverhüllten Expansionsabsichten, waren 1935 aus dem Völkerbund ausgetreten. Fünfzehn weitere Mitglieder, vor allem lateinamerikanische Staaten, hatten ebenso den Bund verlassen. Italien folgte 1939 und Spanien 1941. Mit dem Zusammenbruch der europäischen Friedensordnung war nicht nur die Organisation untergegangen. Formal wurde der Völkerbund erst am 18. April 1946 von der Bundesversammlung aufgehoben. Aber auch lange zuvor schien es so, als wenn die Idee einer universalen Organisation für die Friedenssicherung damit ihre Chance endgültig verspielt hätte.

Maxime der US-Außenpolitik

Doch schon im Jahre 1937 hatte der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt in seiner berühmten »Quarantäne-Rede« die »epidemisch« sich ausbreitende »Gesetzlosigkeit in der Welt« angeprangert und eine Neuausrichtung seiner Neutralitätspolitik angekündigt: »Wenn aber eine Krankheit sich epidemisch auszubreiten beginnt, ist sich die Gemeinschaft einig und findet sich darin zusammen, die Patienten durch eine Quarantäne zu isolieren, um die Gemeinschaft vor der Ausbreitung der Krankheit zu schützen.« Er lockerte 1940 das Waffenexportverbot zugunsten der Gegner Deutschlands und Italiens und bekundete mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 zugleich seinen Anspruch, die Nachkriegsordnung wie schon 1918 entscheidend mitgestalten zu wollen.

Es sei an der Zeit, schrieb 1941 der republikanische Verleger des Nachrichtenmagazins Time und des Fotojournals Life, Henry R. Luce, in einem Leitartikel, »ernsthaft unsere Aufgabe und unsere Chance als mächtigste Nation in der Welt wahrzunehmen und daher in dieser Welt unseren uneingeschränkten Einfluss geltend zu machen, und zwar für Zwecke, die wir für richtig halten, und durch Mittel, die wir für richtig halten«. Dies wurde die Programmatik der Regierung von Harry S. Truman nach dem Tod Roosevelts im April 1945. Ihr Außenminister James F. Byrnes fasste sie in die Worte: »Was wir tun müssen, ist, nicht die Welt für die Demokratie, sondern für die Vereinigten Staaten sicher zu machen.« Eine Maxime der US-amerikanischen Außenpolitik, die bis heute Gültigkeit hat.

Die »Atlantik-Charta«

Um auch die neutralen Staaten mit einzubeziehen, hatte Unterstaatssekretär Sumner Welles eine Umfrage bei ihnen vorgeschlagen, wie sie sich die Nachkriegsordnung vorstellten. Vor allem sollten sie sich zur Gestaltung der Weltwirtschaftsordnung und der Rüstungsbegrenzung äußern. Ziel war eine Konferenz der Neutralen, die jedoch der Kriegsentwicklung zum Opfer fiel. So vereinbarte Präsident Roosevelt im August 1941 ein Treffen mit dem britischen Premier Winston Churchill in Neufundland, um auf der Achse USA–Großbritannien Vorstellungen für eine zukünftige Friedensordnung zu entwickeln. Churchill stellte sich eine effektive internationale Organisation nach Vorbild des Völkerbundes vor. Roosevelt hingegen wollte davon nichts wissen, da er den Garanten eines zukünftigen Friedens in starken britisch-amerikanischen Streitkräften sah. Jene Staaten, die mit den Achsenmächten kollaborierten oder gar nicht in der Lage waren, sich wirksam dem Faschismus entgegenzustellen, wollte er an den Entscheidungen über den Weltfrieden nicht beteiligen. Auch über die wirtschaftspolitische Neuordnung gingen die Vorstellungen zunächst auseinander. Die amerikanische Administration wollte eine Neuregelung des Rohstoffmarktes auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung und einer fairen Verteilung, während die Briten ihr Zollpräferenzsystem gegenüber den Commonwealth-Ländern auf der Basis der »bestehenden Verpflichtungen« absichern wollten.

Roosevelt konnte sich in den entscheidenden Punkten durchsetzen. In der gemeinsamen Abschlusserklärung vom 14. August 1941, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung als »Atlantik-Charta« in die Geschichte einging, wurde der Freiheit des Welthandels und dem freien Zugang zu allen Rohstoffen Vorrang vor den »bestehenden Verpflichtungen« eingeräumt und eine »ständige Organisation für die allgemeine Sicherheit« erst nach der Entwaffnung solcher Nationen, die mit Gewalt drohen, in Aussicht gestellt: »8. Sie (die Unterzeichner; N. P.) sind der Überzeugung, dass alle Nationen der Welt aus materiellen wie ethischen Gründen zum Verzicht auf Gewaltanwendung gelangen müssen. Und da kein vernünftiger Friede gewahrt werden kann, solange Nationen, die mit der Gewaltanwendung außerhalb ihrer Grenzen drohen bzw. drohen können, weiterhin ihre Rüstungen zu Land, zur See oder in der Luft beibehalten, glauben sie, dass die Entwaffnung solcher Nationen bis zur Errichtung einer umfassenderen und ständigen Organisation für die allgemeine Sicherheit unbedingt nötig ist. Sie werden gleichermaßen die Ergreifung aller anderen praktischen Maßnahmen unterstützen und fördern, die den friedliebenden Völkern die drückende Last der Rüstung erleichtern.«

»Erklärung der Vereinten Nationen«

Zu einer Erweiterung dieser Zweierallianz waren die USA erst bereit, als sie durch den japanischen Überfall auf Pearl Harbour im Dezember 1941 in den Krieg gezwungen wurden. Gemeinsam mit Churchill skizzierte Roosevelt eine »Erklärung der Vereinten Nationen«, die am 1. Januar 1942 von 26 Nationen einschließlich der Sowjetunion unterzeichnet wurde. Während der amerikanische Präsident damit seine seit dem sogenannten Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 verstärkten Vorbehalte gegen die Sowjetunion zurückgestellt hatte, sah er in der Vichy-Regierung Frankreichs nach ihrem Waffenstillstand vom Sommer 1940 mit Deutschland einen Kollaborateur, der nicht zum Kreis der Vereinten Nationen gehöre. Bis 1945 schlossen sich weitere 21 Staaten der Erklärung an. Frankreich konnte erst nach der Befreiung von Paris durch die Alliierten im August 1944 der Erklärung beitreten.

Ausschlaggebend für die Einbeziehung der Sowjetunion war wohl auch der britisch-sowjetische Allianzvertrag von 1941, in dem beide Seiten erklärten, »mit anderen gleichgesinnten Staaten zusammenzugehen, um Vorschläge für eine gemeinsame Aktion mit dem Ziel anzunehmen, nach Beendigung des Krieges den Frieden zu bewahren und der Aggression zu widerstehen«. Bei einem Besuch des sowjetischen Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow in Washington im Mai 1942 schlug Roosevelt die Erweiterung der Allianz zwischen den USA und Großbritannien um die Sowjetunion und China vor. Alle vier sollten sich gleichberechtigt mit ihren eigenen Streitkräften die Sicherung des Weltfriedens nach dem gewonnenen Krieg teilen.

Gegenüber diesem Konzept der »Großen Vier« hatte Churchill erhebliche Vorbehalte, da er nicht ohne Grund um den Bestand des Commonwealth fürchtete. Er favorisierte nach wie vor die um den Commonwealth verstärkte Achse USA-Großbritannien und schlug besondere Regionalräte für Europa und Asien mit eigenen Streitkräften und einem Obersten Gericht vor. Aber kaum ein Jahr später im Oktober 1943 auf der Konferenz der drei Außenminister in Moskau akzeptierte die britische Regierung die Vierer-Konzeption und verzichtete auf ihre Regionalisierungsvorschläge. Die US-Regierung wiederum hatte sich mit einer ständigen internationalen Organisation trotz der noch nicht begrabenen Leiche »Völkerbund« angefreundet und war entschlossen, in ihr die entscheidende Rolle sowohl bei der Vorbereitung wie auch später in dem Zusammenschluss selbst zu übernehmen.

Der »Outline-Plan«

Die Moskauer Ergebnisse wurden einen Monat später in Teheran von Roosevelt, Stalin und Churchill bestätigt, und die US-Administration machte sich sofort an die Skizzierung eines Organisationsmodells. In den folgenden Diskussionen setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, dass in einem Exekutivorgan der Organisation nicht nur die vier Hauptmächte, sondern eine begrenzte Zahl kleinerer und mittlerer Staaten in abwechselnder Reihenfolge vertreten sein sollte. Ferner wurde eine Plenarversammlung aller Mitgliedsstaaten als zweites Beratungsorgan entworfen und in bewusster Abgrenzung zum Völkerbund »General Conference« genannt. Auch bei den wichtigen Fragen der Abstimmung und Durchsetzung von Entscheidungen spielten die negativen Erfahrungen im Völkerbund eine Rolle. Keine der Großmächte sollte im Exekutivausschuss überstimmt werden können, so dass für die privilegierten Mitglieder das Einstimmigkeitsprinzip zu gelten hatte. Der Vorschlag allerdings, der schon zur Zeit des Völkerbundes gemacht worden war, dass jene Mitglieder sich der Stimme zu enthalten haben, die an dem Konflikt beteiligt sind, wurde nicht übernommen.

Die zentrale Frage war, wie die Entscheidungen durchgesetzt werden konnten. Daran war nach Ansicht des State Departments der Völkerbund mit seiner Regelung in Artikel 16 gescheitert. Die Alternativen des US-Außenministeriums sahen einmal die Möglichkeit vor, nationale Truppenkontingente unter dem Kommando des Exekutivausschusses zusammenzufassen und bei Sanktionen einzusetzen, zum anderen die Aufstellung einer permanenten internationalen Polizeitruppe zur Verfügung des Ausschusses. Auf jeden Fall sollten den vier Hauptmächten ausreichende Streitkräfte für ihre weltweiten Abschreckungs- und Eingriffsaufgaben zugestanden werden. Es stellte sich also noch während des Krieges als unmöglich heraus, im Entwurf einer Friedensordnung für die Zeit nach dem Gemetzel vollständige Abrüstung und wirksame Garantie des Friedens miteinander zu verbinden.

Die Vorschläge wurden 1943 im sogenannten »Outline-Plan« zusammengefasst und von Präsident Roosevelt im Februar 1944 mit seiner offiziellen Zustimmung versehen. Das Papier enthält die wesentlichsten Elemente der späteren UNO: einen mit weitgehenden Entscheidungs- und Handlungskompetenzen ausgestatteten Exekutivausschuss aus ständigen und nichtständigen Mitgliedern – der später Sicherheitsrat genannt wurde – und eine schwächere und im wesentlichen auf Empfehlungen verwiesene Generalversammlung. Der neue Internationale Gerichtshof wurde ebenso durch das Souveränitätsprinzip begrenzt wie der Ständige Gerichtshof des Völkerbundes, d. h. die Unterwerfung unter seine Gerichtsbarkeit sollte nicht automatisch mit dem Eintritt in die neue Organisation, sondern nur durch gesonderte Erklärung erfolgen.

Der »Outline-Plan« war Grundlage der Konferenz von Dumbarton Oaks in der Nähe Washingtons, wo vom 21. August bis 9. Oktober 1944 die Experten der vier Mächte einen Entwurf für die Statuten der neuen Organisation erarbeiteten. Über etliche Probleme gab es keine Einigung. So über den Wunsch der Sowjetunion, alle ihre sechzehn Unionsrepubliken als Mitglieder aufzunehmen oder den Wunsch der Briten und Amerikaner, das Vetorecht für die ständigen Ratsmitglieder einzuschränken, die selbst an einem Konflikt beteiligt sind. Die Experten der Sowjetunion, aber auch die Briten verschlossen sich ferner dem Wunsch, die Menschenrechte stärker in der Satzung zu verankern.

Der Gipfel in Jalta

Die Gipfelkonferenz von Jalta im Februar 1945 – ohne China – brachte bezüglich der Organisationsfrage der Vereinten Nationen wesentliche Kompromisse. Die Westmächte akzeptierten zwei Unionsrepubliken, Belarus und die Ukraine, als selbständige Mitglieder mit vollem Stimmrecht, und Stalin bekam das uneingeschränkte Veto bei der Abstimmung im Sicherheitsrat. Diese Frage war insbesondere für die Sowjetunion von größter Bedeutung. Warum, hat Churchill in seinen Memoiren anschaulich geschildert: »Stalin erklärte, die drei Großmächte seien zwar heute verbündet und keine von ihnen werde Angriffsakte begehen; er befürchte jedoch, die heutigen Führer würden im Laufe der nächsten zehn Jahre verschwinden, und eine neue Generation werde an die Macht kommen, die nicht mehr aus persönlichem Erleben wisse, was wir in diesem Krieg durchgemacht hätten. ›Wir alle‹, erklärte er, ›wollen aber den Frieden auf mindestens fünfzig Jahre hinaus sichern. Die größte Gefahr liegt in einem Konflikt zwischen uns selber; wenn wir einig bleiben, wiegt die deutsche Gefahr nicht schwer. Deshalb müssen wir jetzt überlegen, wie wir diese Einigkeit auch in Zukunft sichern können und welche Garantien nötig sind, damit die drei Großmächte (und vielleicht auch China und Frankreich) eine gemeinsame Front aufrechterhalten. Es muss ein System ausgearbeitet werden, das Konflikte unter den führenden Großmächten verhindert.‹ Den Russen werde vorgeworfen, dass sie sich zuviel um das Stimmrecht kümmerten. Sie hielten es auch in der Tat für sehr wichtig, werde doch alles durch Abstimmung entschieden, weshalb sie an deren Ergebnis aufs stärkste interessiert seien. Angenommen, China als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats verlange die Rückgabe Hongkongs oder Ägypten die des Suezkanals, dann dürften diese Länder vermutlich nicht allein stehen, sondern in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat von Freunden und vielleicht Schutzmächten unterstützt werden. Er befürchte, dass solche Dispute die Einigkeit der Großmächte zerstören könnten.

›Meine Moskauer Kollegen‹, fuhr Stalin fort, ›können nicht vergessen, was sich während des russisch-finnischen Krieges im Dezember 1939 abgespielt hat, als Briten und Franzosen den Völkerbund gegen uns in Bewegung brachten und es ihnen gelang, die Sowjetunion zu isolieren und aus dem Völkerbund auszuschließen, als sie später sogar mobilmachten und von einem Kreuzzug gegen Russland sprachen. Können wir nicht Garantien bekommen, dass sich so etwas nicht wieder ereignen wird?‹ Nach längeren Bemühungen und Erklärungen gelang es uns, Stalin zur Annahme eines amerikanischen Vorschlages zu überreden, wonach der Sicherheitsrat praktisch zur Machtlosigkeit verurteilt blieb, falls sich die ›Großen Vier‹ nicht einig waren. Bei abweichender Auffassung über einen wichtigen Streitfall konnten die Vereinigten Staaten, die UdSSR, Großbritannien oder China ihre Zustimmung versagen und den Rat hindern, irgendetwas zu unternehmen. Das war das Veto. Seine Früchte hat die Welt inzwischen gekostet.«

Ergebnis dieser »Überredung« war, dass der Sicherheitsrat mit sieben Stimmen der elf Mitglieder Beschlüsse fassen konnte. Handelt es sich um Entscheidungen, die nicht Verfahrensfragen zum Gegenstand haben, müssen alle fünf ständigen Mitglieder (Frankreich war inzwischen dazugekommen) unter den sieben Stimmen sein. Wie bereits erwähnt, konnte keine Übereinstimmung in der Frage der Aufnahme der Menschenrechte in die Satzung erzielt werden, denen Stalin keine grundlegende Bedeutung für den internationalen Frieden beimaß und die Churchill mit Blick auf das Commonwealth nicht in die Satzung aufgenommen haben wollte. Sie akzeptierten allerdings den Vorschlag Roosevelts, für die noch bestehenden Kolonien eine Treuhandschaft der Vereinten Nationen einzurichten, wobei Churchill jedoch die britischen Kolonien ausgeschlossen sehen wollte. Er setzte sich vehement für den Erhalt des britischen Kolonialreiches ein. Denn Großbritannien führe nun schon seit Jahren einen schweren Kampf für die Erhaltung des Britischen Commonwealth und des Britischen Empires. Dieser Kampf werde mit vollem Erfolg enden, und solange der Union Jack über den Territorien der britischen Krone wehe, werde er nicht zulassen, dass auch nur ein Flecken britischen Bodens unter vierzig Staaten versteigert werde. Das Britische Empire werde sich in der Frage der »Treuhandschaft« über minderjährige Nationen vom Internationalen Gericht niemals auf die Anklagebank setzen lassen. Die Dekolonisierung der Welt ließ man in der UN-Charta auf sich beruhen. Und es brauchte noch weit über zwanzig Jahre, bevor sich mit den Befreiungskämpfen in Afrika das Selbstbestimmungsrecht der Völker durchsetzte, und die Generalversammlung den Befreiungsbewegungen das Recht zur gewaltsamen Trennung von ihren Kolonialherren zuerkannte.

Die »Charta der Vereinten Nationen«

Wie in Jalta beschlossen, fand vom 25. April bis 26. Juni 1945 in San Francisco die abschließende Staatenkonferenz statt. Es waren die Unterzeichnerstaaten der »Atlantik-Charta« bzw. jene Staaten, die sich der Antihitlerkoalition angeschlossen hatten, 50 insgesamt. Als Vorlage diente der in Jalta abgestimmte Entwurf von Dumbarton Oaks, der mit geringen Änderungen am 25. Juni 1945 angenommen wurde. Am 24. Oktober 1945 trat die Charta der Vereinten Nationen in Kraft, nachdem gemäß Artikel 110 die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und die Mehrheit der Unterzeichnerstaaten ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt hatten. Die erste Generalversammlung trat am 10. Januar 1946, der Sicherheitsrat am 17. Januar in London zusammen. Der erste Generalsekretär, der Norweger Trygve Lie, wurde am 1. Februar 1946 ernannt, und am 14. Dezember 1946 beschloss die Generalversammlung, den Sitz der Vereinten Nationen in New York zu errichten.

Norman Paech, Hamburg, ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. April 2015


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