Kein Kampf der Kulturen
35. UNESCO-Generalkonferenz am Dienstag in Paris eröffnet
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Die 35. Generalkonferenz der UNESCO ist am Dienstag (6. Okt.) in Paris am Sitz der UN-Spezialorganisation
für Bildung, Wissenschaft und Kultur feierlich eröffnet worden. Sie wird bis 23. Oktober tagen und
nicht zuletzt die bereits im September durch den Exekutivrat erfolgte Wahl der Bulgarin Irina Bokowa
zur neuen Generaldirektorin der UNESCO offiziell bestätigen. Die ehemalige Kulturministerin und
langjährige Botschafterin Sofias in Frankreich und bei der UNESCO, wird den Japaner Koichiro
Matsuura ablösen, der nach Ablauf von zwei fünfjährigen Amtsperioden den Statuten gemäß nicht
noch einmal antreten konnte.
Auf der Generalkonferenz sind alle 193 Mitgliedsländer und die sechs assoziierten Mitglieder der
Organisation durch Delegationen vertreten, die zumeist durch den jeweiligen Kultur- oder
Bildungsminister geleitet werden. In diesem Jahr stehen unter anderem die Aufnahmeanträge
Palästinas als Vollmitglied und der Faröer-Inseln als assoziiertes Mitglied auf der Tagesordnung.
Und es wird eine bemerkenswerte Neuerung geben. Um den Delegationsleitern die Möglichkeit zu
geben, sich über ihre sehr stark begrenzte Redezeit in der allgemeinen politischen Debatte hinaus
zu äußern, wird es erstmals parallel zwei ganztägige »Ministerforen« geben.
Die erste dieser Veranstaltungen, die den etwas starren Rahmen der Generalkonferenz überwinden
und einen möglichst lebhaften Gedankenaustausch ermöglichen sollen, findet am Donnerstag statt.
So soll darüber diskutiert werden, wie die UNESCO zur Überwindung der gegenwärtigen
Wirtschaftskrise vor allem in den Entwicklungsländern beitragen kann und auf welche Themen in
Bildung, Wissenschaft, Kultur, Kommunikation und Information man sich dabei konzentrieren sollte.
Zudem geht es darum, wie die UNESCO sich selbst auf die Anforderungen der nächsten Jahrzehnte
vorbereiten und im Rahmen der Reform des gesamten UN-Systems effizienter werden kann. Diese
Debatten, die durch namhafte internationale Persönlichkeiten moderiert werden, sollen zu konkreten
Ergebnissen und Empfehlungen führen, die dann in die offizielle Arbeit der Generalkonferenz
einfließen.
Diese Neuerung trägt der wiederholt geäußerten Kritik Rechnung, dass die UNESCO mit den Jahren
schwerfällig, bürokratisch und ineffizient geworden sei. Tatsächlich gehen hier wie in anderen
Weltorganisationen noch zu viel Zeit und Energie für politisch-diplomatische Ränkespiele verloren.
Die fehlen dann für die eigentlichen Aufgaben, zu denen vor allem gehört, durch Zugang zur Bildung
für alle, durch internationalen wissenschaftlichen Austausch und durch den Schutz und die
Verbreitung der kulturellen Reichtümer zum friedlichen Zusammenleben der Länder und Völker
beizutragen.
Da für die entsprechenden Programme der UNESCO immer mehr Geld benötigt wird, nimmt auch in
diesem Jahr wieder die Debatte über die Finanzen einen breiten Raum ein. Mit dem finanziellen
Hebel versuchen die Hauptgeldgeber, zu denen die USA, aber auch Deutschland gehören, ihre
Vorstellungen von den künftigen Schwerpunkten der Arbeit, den Programmen und den zu
besetzenden Posten durchzusetzen. Angesichts des gewachsenen Widerstandes gegen solche
Diktate geht man heute allerdings vorsichtiger und diskreter vor als noch vor Jahrzehnten, als sich
die USA, denen die Arbeit der UNESCO für eine internationale Informationsordnung nicht »liberal«
genug war, 1984 »zurückgezogen« haben und erst 2002 als Mitglied und Geldgeber zurückgekehrt
sind.
Während die Entwicklungsländer von der UNESCO vor allem konkrete materielle und personelle
Hilfe für ihre Schulen und Universitäten und Zugang zu den Erkenntnissen der Wissenschaft in den
entwickelten Industrieländern erhoffen, spielt dort die Weltorganisation eine wachsende Rolle beim
Schutz und der Anerkennung ihrer Nationaldenkmäler und Kulturschätze.
Doch das Herangehen ist hier oft ganz unerschiedlich. So wird in Bordeaux, dessen historisches
Stadtzentrum von der UNESCO schon vor Jahren zum »Weltkulturerbe« erklärt wurde, gegenwärtig
der Bau einer neuen Brücke über die Garonne geplant. Dabei kooperieren die Ingenieure und
Denkmalpfleger eng mit den Experten der UNESCO und arbeiten deren Hinweise und Wünsche
umgehend in die Pläne ein. »Auf keinen Fall wollen wir durch die Brücke, auch wenn sie für die
Stadtentwicklung wichtig ist, unseren UNESCO-Titel aufs Spiel setzten, der enorm viel zum
internationalen Ruf und damit konkret zum Tourismus beiträgt«, erklärt Ex-Premier und
Bürgermeister Alain Juppé. Das Beispiel des Verhaltens von Dresden stehe ihm dabei immer
abschreckend vor Augen.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Oktober 2009
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