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UN-Sicherheitsrat beschließt neues Einsatzkonzept für "Friedenstruppen"

Militarisierung der Vereinten Nationen?

Der Uno-Sicherheitsrat hat sich in der Nacht zum Dienstag, den 14. November 2000, auf Änderungen am Einsatzkonzept für Friedenstruppen verständigt. Die Truppen sollen zukünftig mit eindeutigen und glaubhaften Mandaten ausgestattet werden. Dies geht aus der am Montag am Sitz in New York einstimmig angenommenen Resolution 1327 hervor. Jedes Land, das Truppen stellt, soll die Soldaten binnen 30 Tagen nach dem Stationierungsbeschluss in Marsch setzen können. Der Reformbeschluss ist die Reaktion auf einen UNO-Bericht (Brahimi-Bericht), in dem auf finanzielle und personelle Engpässe bei Friedensmissionen hingewiesen wurde. Die beiden folgenden Kommentare (aus der Süddeutschen Zeitung und aus der taz) befassen sich auf unterschiedliche Weise mit diesem alles in allem doch sehr denkwürdigen Beschluss. Die Frage, die sich uns stellt, geht noch in eine andere Richtung: Bedeutet die Neuorientierung der UNO auf effektivere Militärkräfte und -einsätze nicht auch eine Militarisierung der Vereinten Nationen?

Schuldbekenntnis ohne Tilgung

Frieden hat seinen Preis, besonders wenn er erst noch geschaffen werden muss. Die Vereinten Nationen haben diesen Preis nicht entrichtet und teuer dafür bezahlt. Somalia, Bosnien, Ruanda – die Namen stehen für tödliche Fehlschläge des UN-Peacekeeping. Eine von Generalsekretär Kofi Annan beauftragte Kommission hat im Sommer in seltener Offenheit mit den Friedensmissionen abgerechnet. Das Fazit des „Brahimi-Reports“: zu wenig Geld, zu wenig Truppen, zu wenig Führung und ein unklarer Auftrag. Und auch die Schuldigen wurden benannt: Es sind vor allem die Mitgliedstaaten, die zu wenig leisten wollen.

Die Mächtigsten unter ihnen sitzen als ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, und dieser Sicherheitsrat hat nun mit einem mea culpa reagiert. Er unterstützt den Brahimi-Report. Er verspricht, Friedenssoldaten nur noch mit glaubhaftem Auftrag loszuschicken und klar festzulegen, wann sie Gewalt anwenden dürfen. Er will schließlich darauf dringen, dass UN-Truppen künftig binnen 30 Tagen einsatzbereit sind.

Das klingt gut, doch es ist nicht genug. Denn der Rat hat sich um das Problem herumgedrückt, dass der Frieden teuer kommt. Weder erklärten sich die Mächtigen bereit, Mindestkontingente für Militärmissionen zu stellen, noch wurde die dramatische Finanzmisere der Friedenseinsätze angegangen. Dies mag aus Sicht der Großen sogar verständlich sein. Denn beim Thema Geld sind sie in der Defensive. Die Amerikaner sind der größte Schuldner des Völkerclubs, Russen und Chinesen leisten fast lächerliche Beiträge. Daher begnügen sie sich lieber mit gut gemeinten Appellen. Doch das ist zu billig. Denn ohne Geld bluten die Friedensmissionen aus.

Aus: Süddeutsche Zeitung, 15. November 2000


Nicht mehr Blauhelme, aber bessere

Die Umsetzung der Resolution 1.327 des UN-Sicherheitsrats zur Reform von UN-Friedensmissionen hängt vom guten Willen der Großmächte der Welt ab. Wenn die nach wie vor so zurückhaltend sind wie bisher, bleibt die Reform eventuell Makulatur

Der UNO-Sicherheitsrat hat in der Nacht zum Dienstag in der einstimmig beschlossenen Resolution 1.327 die meisten der Reformvorschläge gebilligt, die ein von Generalsekretär Kofi Annan eingesetzter Expertenausschuss Ende August im so genannten "Brahimi Report" vorgelegt hatte. Auf das zentrale Dilemma aller UN-Friedensmissionen der letzten zehn Jahre - die mangelnde Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, rechtzeitig eine ausreichende Anzahl von Soldaten und militärischem Gerät für UNO-Einsätze bereit zu stellen - fand der Sicherheitsrat jedoch keine Antwort. Er beauftragte Annan, sich "in Konsultation" mit den Mitgliedsstaaten um eine Lösung zu bemühen.

Kern der Resolution ist die Selbstverpflichtung des Sicherheitsrates, künftig Blauhelmtruppen für Friedensmissionen mit "eindeutigen und glaubhaften Mandaten auszustatten". Zentrale Kriterien für die Formulierung eines solchen Mandats seien "die Situation in dem künftigen Einsatzgebiet der UNO-Truppe, die Aussichten für einen Erfolg der Mission, die Notwendigkeit zum Schutz der Zivilbevölkerung sowie die Möglichkeit gewaltsamen Widerstandes durch eine oder mehrere Konfliktparteien". Die Einsatzrichtlinien für die UNO-Soldaten (rules of engagement) sollen die Bedingungen für den Einsatz von Gewalt klar benennen.

Der UNO-Generalsekretär wurde vom Sicherheitsrat mit der Ausarbeitung einer operativen Militärdoktrin für künftige UNO-Missionen beauftragt. Bei der Festlegung der Größenordnung einer Truppe will der Sicherheitsrat - anders als etwa 1993 beim Beschluss über die UNO-Schutzzonen in Bosnien oder 1994 in Ruanda - künftig den Empfehlungen der zuständigen Peacekeeping-Abteilung im New Yorker Hauptquartier (DPKO) folgen.

Wie sich diese Selbstverpflichtung des Sicherheitsrates auf die künftige Praxis auswirken wird, hängt in erster Linie von der Bereitschaft der Mitgliedsstaaten ab, die UNO im konkreten Bedarfsfall rechtzeitig mit den benötigten militärischen Ressourcen auszustatten. Bleibt diese Bereitschaft so gering wie bislang, könnte der Beschluss dazu führen, dass der Sicherheitsrat künftig nur noch höchst selten eine Friedensmission beschließen wird.

Keinen Konsens fand der Vorschlag von Bangladesh, wonach die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) jeweil mindestens fünf Prozent der Soldaten für einen Friedenseinsatz stellen sollen. Derzeit sind weltweit 38.000 Blauhelmsoldaten, Militärbeobachter und -polizisten der UNO stationiert. Davon stellen die fünf ständigen Ratsmitglieder lediglich 2.300.

Truppenstellende Mitgliedsstaaten werden vom Rat aufgefordert, ihre Soldaten künftig spätestens 30 Tage nach dem Ratsbeschluss über die Entsendung einer Friedensmission in Marsch zu setzen. Zwecks besserer Vorbereitung und Durchführung künftiger Friedensmissionen soll die Peacekeeping-Abteilung im New Yorker UNO-Hauptquartier finanziell und personell deutlich besser ausgestattet werden. Verstärkt werden sollen insbesonders die Kapazitäten zur Früherkennung, Diagnose und Prävention von Konflikten sowie zur Vorbereitung von Blauhelmsoldaten auf ihre künftigen Einsätze. Die Realisierung dieses Beschlusses ist allerdings davon abhängig, dass die Mitgliedsstaaten in der UNO-Generalversammlung das separat vom regulären UNO-Haushalt geführte Peacekeeping-Budget nach mehreren Nullrunden und Reduzierungen seit Mitte der 90er-Jahre wieder deutlich erhöhen.
Andreas Zumach (Genf)
Aus: taz, 15. November 2000


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