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"Ein entscheidender Fortschritt für den Schutz von Opfern weltweit"

UN-Vollversammlung beschließt die Schaffung eines Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen - Nur USA, Israel, die Marschall-Inseln und Palau stimmen dagegen

Am 15. März 2006 hat die UN-Generalversammlung mit überwältigender Mehrheit die Schaffung eines Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen beschlossen. Diese Einrichtung, welche die Menschenrechts-Kommission der UNO ablöst, war Teil des Reformpakets, das Kofi Annan vor Monaten vorgelegt hatte.
Im Folgenden informieren wir über die Abstimmung in der Generalversammlung und dokumentieren darüber hinaus einen Grundsatzartikel von Louise Arbour (Hohe Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen) und Micheline Calmy-Rey (Außenministerin der Schweiz).
Hier geht es zur Resolution der Generalversammlung (englisch): Human Rights Council (A/60/L.48) (pdf-file)



Gegen den Willen der USA hat die UN-Vollversammlung am 15. März 2006 mit großer Mehrheit die Schaffung eines Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen beschlossen. 170 Staaten stimmten für das neue Gremium. Nur vier Staaten stimmten mit Nein. Neben den USA waren dies Israel, die Marschallinseln und Palau. Weißrussland, der Iran und Venezuela enthielten sich. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, erklärte in Genf, der Menschenrechtsrat biete die "historische Chance", weltweit grundlegende Bürgerrechte zu schützen und zu fördern.

Der Menschenrechtsrat soll im Rahmen der UN-Reform die bisherige Menschenrechtskommission ablösen. Sie war in Verruf geraten, weil darin auch Staaten vertreten waren, die selbst wegen schwerer Menschenrechtsvergehen in der Kritik stehen. Außerdem brauchte das Gremium mit Sitz in Genf oft Jahre, um Fälle von Menschenrechtsvergehen zu verurteilen. Die USA lehnten das Projekt ab, weil es ihnen nicht weit genug geht. Der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, kündigte jedoch an, sein Land werde dabei helfen, das neue Gremium "so stark und wirksam wie möglich" zu machen.

Der kubanische UN-Botschafter Rodrigo Malmierca erklärte vor dem Votum, sein Land werde ungeachtet einiger Vorbehalte für den Menschenrechtsrat stimmen. Er warf zugleich die Frage auf, ob das neue Gremium die USA für ihre Menschenrechtsverletzungen in Guantánamo auf Kuba, in Abu Ghraib im Irak und in geheimen CIA-Gefangenenlagern in Europa zur Rechenschaft ziehen werde.

Der neue Rat soll nur noch 47 Mitglieder umfassen und durch geheime Wahl von den 191 Mitgliedern der UN-Vollversammlung mit absoluter Mehrheit bestimmt werden. Das Gremium mit Sitz in Genf soll zudem häufiger zusammentreten. Washington hat sich hingegen für einen kleineren Rat ausgesprochen, dessen Mitglieder mit Zweidrittelmehrheit bestimmt werden sollten. Nach dem Entwurf für den neuen Rat sollen die Aufnahmekriterien verschärft werden, Mitglieder können ausgeschlossen werden, wenn ihr Umgang mit den Menschenrechten als unannehmbar eingeschätzt wird.

Trotz ihrer Nein-Stimme zu dem Konzept von Eliasson will die US-Regierung den Menschenrechtsrat unterstützen, wie Außenministerin Condoleezza Rice Uno-Generalsekretär Kofi Annan nach Angaben der "Washington Post" zuvor telefonisch versichert hatte.

Annan begrüßte die "historische Resolution" als wichtigen Schritt vorwärts. Das neue Organ "gibt den Vereinten Nationen die Chance - die längst überfällige Chance - ihren Einsatz für die Menschenrechte in aller Welt neu zu beginnen". Vermutlich gebe es kein Land, das allen Paragrafen der Resolution zustimme, räumte Annan ein. Aber das sei nun einmal die Natur internationaler Verhandlungen.

Der UNO-Chef hob hervor, dass die Vollversammlung ein Mitglied des Menschenrechtsrates jederzeit abwählen könne, wenn es sich grobe und systematische Menschenrechtsverstöße zu Schulden kommen lasse. Deutschlands Uno-Botschafter Gunter Pleuger bezeichnete das neue Organ ebenfalls als Kompromiss. "Es ist aber auf jeden Fall eine Verbesserung des bisherigen Zustands". Selbstverständlich wäre Deutschland bereit gewesen, dem Menschenrechtsrat noch mehr Kompetenzen zu geben, sagte Pleuger.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nannte die Schaffung des neuen Rates einen "entscheidenden Fortschritt für den Schutz von Opfern weltweit". Sie rief die UNO-Vollversammlung auf, die besten Kandidaten aus allen Regionen der Erde auszuwählen und strenge Regularien einzuführen, um das neue Uno-Organ so effektiv wie möglich zu machen.

Quellen: AFP, Financial Times Deutschland (online), 15. März 2003

In "historic" vote, General Assembly creates new UN Human Rights Council

15 March 2006 – Culminating months of intensive negotiations, the United Nations General Assembly today voted overwhelmingly on a resolution setting up a new Human Rights Council to replace the much-criticized Human Rights Commission – prompting Secretary-General Kofi Annan to hail this as an “historic” development which will help improve the lives of millions of people worldwide.

Welcoming the vote, which was greeted by prolonged applause, Mr. Annan, who first suggested the creation of the new Council in a report to the General Assembly one year ago, said it gave the UN “a much needed chance to make a new beginning in its work for human rights around the world.”

The resolution was adopted by a vote of 170 in favour with 4 against – the United States, Israel, the Marshall Islands and Palau – with Venezuela, Iran and Belarus abstaining.

In opening remarks to the Assembly before the vote, General Assembly President Jan Eliasson, who led the often contentious negotiations on the issue, called today’s session a “decisive moment” not only for human rights but for the standing of the UN as a whole.

Highlighting several elements that would make the Council a “significant improvement” over the much-maligned Commission, he noted the Council’s higher status as a subsidiary body of the General Assembly, its increased number of meetings throughout the year, equitable geographical representation and also the voting rights associated with membership.

“Members of the Council would be elected by the majority of the members of the General Assembly, in other words by an absolute majority. Each candidate would be voted on individually and directly and would have to obtain at least ninety-six votes of support in a secret ballot,” Mr. Eliasson said.

“The General Assembly, by a two-thirds majority of members present and voting, could suspend the rights of membership of a Council member who commits gross and systematic violations of human rights,” he added.

The new Council will have 47 members. The first elections are planned for 9 May and the first session will take place on 19 June, according to the resolution.

In a statement, Mr. Annan, who is travelling in Africa, thanked the Assembly President for his efforts in bringing this “sensitive matter to a conclusion,” but acknowledged that this was “only the first step in a process of change,” adding that “now the real work begins.”

“The true test of the Council’s credibility will be the use that Member States make of it. If, in the weeks and months ahead, they act on the commitments they have given in this resolution, I am confident that the Council will breathe new life into all our work for human rights, and thereby help to improve the lives of millions of people throughout the world,” Mr. Annan noted.

He went on to say that while the resolution “gives us a solid foundation, on which all who are truly committed to the cause of human rights must now build,” no country would be wholly satisfied with every paragraph, although such was “the nature of international negotiations.”

Quelle: www.un.org

Die Resolution der Generalversammlung (englisch):
Human Rights Council (pdf-file)
Draft resolution submitted by the President of the General Assembly (A/60/L.48)

Menschenrechte — eine ständige Verpflichtung

Warum der geplante UN-Menschenrechtsrat Wirklichkeit werden muss

Von Louise Arbour und Micheline Calmy-Rey*

In den kommenden Tagen wird die internationale Gemeinschaft die Chance haben, ein gestärktes System für den weltweiten Schutz der Menschenrechte einzuführen. Diese einzigartige Möglichkeit bietet der Entwurf für eine neue globale Institution, dem nun die UN-Generalversammlung zustimmen muss. Diese Initiative verdient unsere Unterstützung.

Die Weltgemeinschaft wird aufgefordert, einen Menschenrechtsrat zu gründen, der die umstrittene UN-Menschenrechtskommission ablösen soll. Über den Menschenrechtsrat ist in den vergangenen Monaten oft hitzig verhandelt worden, vor allem während des Weltgipfels in New York im vergangenen September. Alle dort versammelten Staats- und Regierungschefs bekräftigten, dass der Menschenrechtsschutz ein zentraler Pfeiler der Arbeit der UN ist, und beschlossen, dass die Kommission durch eine stärkere Institution ersetzt werden soll.

Der Vorschlag, der der UN-Generalversammlung nun vorliegt, besitzt alle Elemente, um solch eine stärkere Institution aufzubauen. Der Entwurf sieht vor, dass der künftige Rat objektiver und glaubwürdiger Menschenrechtsverletzungen behandeln kann. Vorgesehen ist auch, dass Mitgliedsstaaten vorübergehend ihren Sitz bei schweren oder systematischen Menschenrechtsverletzungen verlieren können. Im Gegensatz zur Menschenrechtskommission soll der Rat regelmäßig die Menschenrechtssituation in allen Staaten überprüfen. Dabei soll mit den Mitgliedsstaaten des Rats begonnen werden. Kein Staat soll dabei unberücksichtigt bleiben. Die Staaten sollen keine Möglichkeit mehr besitzen, durch ihre Mitgliedschaft im obersten Menschenrechtsorgan der UN sich selbst oder Verbündete vor Rechtsbrüchen zu schützen.

Der Rat soll auch längere Sitzungsperioden während eines Jahres haben und schnell auf sich abzeichnende Krisen im Bereich der Menschenrechte reagieren können. Mögliche Täter sollen wissen, dass sie von der Weltgemeinschaft ständig beobachtet werden – und nicht nur während sechs Wochen im Frühjahr, wenn die Menschenrechtskommission bisher zusammentraf.

Die Kommission hat der internationalen Gemeinschaft die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und eine Reihe wichtiger Verträge zum Schutz fundamentaler Freiheiten gebracht. Die Menschenrechtskommission führte auch ein einzigartiges System unabhängiger Menschenrechtsbeobachter ein. Einer dieser Beobachter war unter den ersten, die vor dem Völkermord in Ruanda warnten.

Es gibt keine Ausflüchte dafür, dass die Menschenrechtskommission viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren hat. Einige Staaten wollen Mitglieder werden, nicht um die Menschenrechte zu stärken, sondern um sich selbst gegen Kritik zu schützen oder andere zu kritisieren. Die Kommission war auch schwerfällig bei der Eindämmung schwerer Menschenrechtsverletzungen in einer ganzen Reihe von Fällen. Dieses Defizit an Glaubwürdigkeit unterhöhlt das Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen insgesamt. Der Menschenrechtsrat trägt viel dazu bei, die Gründe für dieses Defizit anzugehen.

Lassen Sie uns über eines im Klaren sein: Der Vorschlag, der der UN-Generalversammlung vorliegt, ist das Ergebnis eines Kompromisses. Er kann nicht ein ideales Modell sein. Es gibt auch keinen Grund zu glauben, dass weitere Verhandlungen ein besseres Ergebnis erzielen würden.

Aber selbst eine Institution, die auf dem Papier vollkommen ist, kann nicht erfolgreich sein, wenn die internationale Gemeinschaft nicht den notwendigen Wandel hin zu einer Kultur der Verteidigung der Menschenrechte vollzieht. Es war in großen Teilen das Scheitern der Menschenrechtskommission, diesen Wandel durchzuführen, und die Unfähigkeit, sich selbst nach der Rahmensetzung des internationalen Menschenrechtssystem neu zu erfinden, die sie behinderte. Der Völkermord in Ruanda ist auf bittere Weise lehrreich. In diesem Fall funktionierte die Arbeitsweise der Kommission, aber die Warnungen der Beobachter blieben ungehört. Der politische Wille und das Engagement der internationalen Gemeinschaft werden ebenso wichtig für das Funktionieren des neuen Rates sein wie jede Änderung seiner Struktur oder seiner Arbeitsmethoden.

* Louise Arbour ist Hohe Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen. Micheline Calmy-Rey ist Außenministerin der Schweiz.

Quelle: UNRIC-Pressemitteilungen; www.runic-europe.org
Der Beitrag erschien als Gastkommentar im "Tagesspiegel" am 4. März 2006



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