Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zwischen Krieg und Frieden

USA und Iran tauschen freundliche Signale aus, halten sich aber bedeckt

Von Knut Mellenthin *

Größer und deutlicher hätte der Unterschied zwischen den Präsidenten der USA und des Iran kaum sein können: Während Barack Obama der UN-Vollversammlung am Dienstag vormittag die unterschiedlichsten Gründe und Vorwände der USA vertrug, auch künftig Krieg führen zu wollen, hatte Hassan Rohani einige Stunden später eine einfache Botschaft: »Wir sollten damit beginnen, über ›Koalitionen für einen dauerhaften Frieden‹ überall auf dem Erdball nachzudenken, statt über ›Kriegskoalitionen‹ in verschiedenen Teilen der Welt.«

Mit Spannung war erwartet worden, was die beiden Staatsoberhäupter zum Streit um das iranische Atomprogramm sagen würden, der seit vielen Jahren von den USA und Israel immer wieder mit der Androhung militärischer Aktionen untermalt wird. Obama [externer Link] sprach über dieses Thema vergleichsweise friedfertig und entgegenkommend. [Hier geht es zu Obamas Rede in deutscher Übersetzung.] So erwähnte er zu Beginn dieses Abschnitts seiner Rede das Mißtrauen vieler Iraner gegen die USA aufgrund derer Unterstützung für das Schah-Regime, ihrer häufigen Einmischung in die Entwicklung Irans und ihrer Rolle beim Sturz des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh im August 1953. Obama betonte, seine Regierung strebe keinen »Regimewechsel« in Teheran an und respektiere »das Recht des iranischen Volkes auf Zugang zur friedlichen Nutzung der Atomenergie«. Er erwähnte darüber hinaus die von Revolutionsführer Ali Khamenei ausgesprochene Fatwa gegen die Entwicklung von Atomwaffen und die von Rohani bekräftigte, aber auch schon von seinem Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad vielfach wiederholte Erklärung, daß Atomwaffen keinen Platz in der iranischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben.

Obwohl Obama zum Atomstreit selbst nichts Neues sagte, sondern nur das Festhalten an den bekannten Maximalforderungen andeutete, sagte er aber auch: »Wir fühlen uns dadurch ermutigt, daß Präsident Rohani vom iranischen Volk das Mandat erhalten hat, einen gemäßigteren Kurs zu verfolgen.« Er habe deshalb und vor dem Hintergrund der von Rohani erklärten Bereitschaft, zu einer Vereinbarung zu kommen, seinem Außenminister John Kerry den Auftrag erteilt, in Verhandlungen mit der iranischen Regierung einzutreten – »in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Union, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Rußland und China«, also der sogenannten Sechsergruppe. Obama verzichtete auf die bekannte Drohformel, daß »alle Optionen auf dem Tisch« seien. Er machte aber an anderer Stelle seiner Rede deutlich, daß die USA »bereit« seien, »zur Sicherung unserer Kerninteressen in der Region« – gemeint waren der Nahe Osten und Nordafrika – »alle unsere Machtmittel, einschließlich militärischer Gewalt, einzusetzen«.

Rohanis Rede stellte einen eindrucksvollen Aufruf gegen »Gewalt und Extremismus« dar. Die Menschen überall auf der Welt seien dieser Dinge überdrüssig und hofften auf Veränderungen des gegenwärtigen Zustands. Das sei »eine einmalige Chance für uns alle«. Die Hoffnung sei zweifellos – hier schien er sich bewußt an Obamas Wahlkampfparolen des Jahres 2008 anzulehnen – »eine der größten Gaben, die den Menschen von ihrem liebevollen Schöpfer verliehen« worden sei. Direkt zum Atomstreit trug Rohani nichts Neues vor, sondern bekräftigte lediglich die Bereitschaft Irans zu sofortigen, zeitlich befristeten und ergebnisorientierten Gesprächen. Zugleich betonte er, daß die Anerkennung des iranischen Rechts auf friedliche Nutzung der Atomenergie »der beste und leichteste Weg zur Lösung dieser Problematik« sei.

Mehrere einschlägig bekannte US-Senatoren – darunter John McCain, Lindsey Graham und Robert Menendez – veröffentlichten am Montag und Dienstag offene Briefe an Obama, in denen sie davor warnten, auf Rohanis »schöne Worte« hereinzufallen. Sie bestanden darauf, daß der Iran sich restlos allen Maximalforderungen unterwerfen müsse, bevor an eine Aufhebung der Sanktionen überhaupt nur zu denken sei. Durch besondere Aggressivität zeichnete sich ein von Marco Rubio und zehn weiteren republikanischen Senatoren unterzeichneter Aufruf aus, der in der Forderung gipfelte: »Jetzt ist der Zeitpunkt, den Druck auf den Iran zu steigern.« Der 42jährige Rubio, Nachkomme von Exilkubanern mit Wohnsitz in Florida, ist ein ehrgeiziger Schnellaufsteiger, der als möglicher Präsidentschaftskandidat für das Jahr 2016 gilt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. September 2013


Wohlgesetzte Worte von Ruhani

Beschwörende Versprechen aus Teheran an die Weltgemeinschaft in Sachen Atom

Von Roland Etzel **


Zwei Staaten im Mittleren Osten besitzen atomare Anlagen: Iran und Israel. Im Brennpunkt internationaler Debatten stehen aber allein die Anlagen der Islamischen Republik, auch jetzt bei der UNO-Vollversammlung.

Irans Präsident Hassan Ruhani hat in seiner ersten Rede vor der UNO ziemlich alles gegeben, was an Charme-Offensive unter Beachtung staatsmännischer Würde vorstellbar war. Die westlichen Staaten, allen voran die USA, sowie Israel bezichtigen Teheran ja seit Jahren, unter dem Deckmantel der Errichtung von Kernkraftwerken nukleare Rüstungsprogramme zu betreiben. Bewiesen ist das nicht; das Gegenteil auch nicht, was allerdings auch kaum möglich ist, wenn man das Betreiben von Atomkraftwerken anstrebt und dabei Wert auf die Unabhängigkeit von ausländischen Zulieferern legt. Ruhanis Vorgänger hatte allerdings stets in einer Art zurückgekeilt, die es seinen Gegnern sehr einfach machte, ihn als Weltbösewicht darzustellen.

Den Gefallen tat ihnen Ruhani nicht. Er beschwor die rein zivile Ausrichtung des Atomprogramms seines Landes in betont maßvollen Worten. Von Iran gehe »absolut keine Gefahr für die Welt« aus, sagte er am Dienstag laut dpa bei der Generaldebatte in New York. Atomwaffen hätten »keinen Platz« in der iranischen Sicherheitspolitik.

Der israelische Vertreter verließ daraufhin den Saal, blieb damit aber allein – im Gegensatz zu früheren Anlässen, als bei Reden von Ruhanis Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad die meisten westlichen Vertreter ihrem israelischen Kollegen folgten. »Die sogenannte iranische Bedrohung«, so Ruhani, »ist nur eine ausgedachte Bedrohung.« Das kann und wird allerdings nicht genügen.

Hier kommt die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ins Spiel. Bisher gab es häufig Streit zwischen den iranischen Stellen und den Inspektoren der IAEA, vor allem seit diese vom Japaner Yukiya Amano geführt wird. Allerdings hat sich auch der iranische Staat – unter der Präsidentschaft Ahmadinedschads – dem Verdacht ausgesetzt, Kontrollwünsche der IAEA eher provozierend als begründend zu versagen. Es wird deshalb mit großem Interesse erwartet, was die IAEA-Spezialisten an den sechs »atomaren« Standorten Irans (siehe Karte) künftig inspizieren dürfen. Dies wird der erste Prüfstand für den praktischen Wert von Ruhanis Rede.

Allerdings hat sich die IAEA selbst, was politische Neutralität und fachliche Unvoreingenommenheit anbelangt, zuletzt kein ideales Zeugnis ausgestellt. Ihre Mitgliedsstaaten haben vorige Woche eine von den arabischen Ländern eingebrachte Entschließung zur Untersuchung von Israels Atomaffenarsenal mit knapper Mehrheit abgelehnt. 51 Staaten waren bei der Generalkonferenz in Wien gegen den Antrag, 43 Staaten dafür, und 32 enthielten sich. Dabei war der Text recht zurückhaltend formuliert. In ihm war von der »Besorgnis über die atomaren Kapazitäten Israels« die Rede, und er enthielt am Ende die Aufforderung an das Land, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten.

Israel ist die einzige Militärmacht im Nahen Osten mit Atomwaffen, obwohl es deren Besitz offiziell leugnet. Israel ist sogar Mitglied der IAEA, verweigert aber IAEA-Kontrollen bis auf ein kleineres und als nicht von strategischer Bedeutung eingestuftes Labor. Und das IAEA-Plenum gibt sich damit zufrieden – siehe die erwähnte Abstimmung. Für diese kann auch nicht mehr gelten, womit ähnliche lautende Resolutionsentwürfe in den vergangenen beiden Jahren zurückgestellt worden waren. Damals hieß es, man wolle das Thema nicht auf die Tagesordnung setzen, um Initiativen zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten nicht zu belasten. Davon aber spricht derzeit niemand mehr, vor allem weil Israel erklärt hatte, sich an der Diskussion zum Thema definitiv nicht zu beteiligen.

Dessen ungeachtet war Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vor wenigen Tagen erneut in die Offensive gegangen. Er warf Ruhani vor, die Weltöffentlichkeit täuschen zu wollen. »Man darf sich nicht von den betrügerischen Worten des iranischen Präsidenten hinters Licht führen lassen. Er verdreht alles, damit sich die Zentrifugen weiter drehen können«, behauptete Netanjahu. Gemeint sind die Zentrifugen der Urananreicherungsanlagen – der Technologie, deren Beherrschung darüber entscheidet, ob Iran in Sachen Atom auf ausländische Proliferation angewiesen ist oder eben nicht.

Mitte voriger Woche war unter anderem im Hamburger »Spiegel« darüber spekuliert worden, ob Iran als Zeichen guten Willens die Schließung der Urananreicherungsanlage Fordo anbietet. Laut der russischen Agentur RIA Novosti sei dies aber noch am Freitag von Vizepräsident Ali Akbar Salehi dementiert worden. Fordos nukleare Produktionsstätten sollen so tief unterirdisch angelegt sein, dass sie – als derzeit einzige iranische Nuklearanlagen – als von israelischen oder US-amerikanischen Bombern für unzerstörbar gehalten werden. Trotzdem war das, Dementi hin oder her, vielleicht noch nicht das letzte Wort aus Teheran zu Fordo. Dessen Aufgabe wäre in der Tat ein substanzielles Zugeständnis.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. September 2013


Einsame Wahrheit

Israels Kampagne gegen Iran

Von Knut Mellenthin ***


Muslime lügen, Israels Regierung sagt als einzige die Wahrheit. Das ist die nicht sehr abwechslungsreiche Botschaft, die in diesen Tagen aus Jerusalem kommt. »Rohani will betrügen, und manche in der Welt wollen betrogen werden«, jammerte Israels Strategieminister Juval Steinitz am Dienstag im Armee-Sender, schob aber trotzig hinterher: »Die Rolle des kleinen Israel besteht darin, die Wahrheit zu erläutern und in der Bresche zu stehen.«

Steinitz leitet die Delegation seines Landes bei der gegenwärtig stattfindenden Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Auf Anweisung von Premier Benjamin Netanjahu blieben die israelischen Diplomaten am Dienstag (Ortszeit) der Rede des iranischen Präsidenten Hassan Rohani fern. Die Vertreter der USA und der Europäer brachen mit dem jahrelangen Ritual und verharrten während Rohanis Ansprache auf ihren Plätzen. Vielleicht hat der eine oder andere sogar ein bißchen hingehört. Es ist zwar nicht abschließend gesichert, aber anscheinend war Israel mit diesem »Boykott« so total isoliert, daß ihm nicht einmal die Vertreter der Südseeinseln folgen mochten, auf deren Stimmen Jerusalem sonst zuverlässig zählen kann.

Verteidigungsminister Mosche Jaalon ließ sich über »iranische Tricks« aus und behauptete, das »schiitische Konzept« der sogenannten Taqijja erlaube es Muslimen, andere zu hintergehen und irrezuführen. Genau das sei es, was Rohani tue.

Diese Unterstellung, sachlich falsch und diskriminierend, kommt ausgerechnet von der Regierung eines Landes, das in den 1950er und 1960er Jahren sein Nukleararsenal unter absoluter Geheimhaltung entwickelte und die Welt mit immer neuen Lügen über die angebliche Funktion seiner Plutoniumfabrik in Dimona an der Nase herumführte. Noch heute verweigert Israel jede Auskunft über Zahl und Art seiner Atomwaffen sowie über seine Doktrin für deren Einsatz. Es hat den Atomwaffensperrvertrag gar nicht erst unterzeichnet und das Chemiewaffenverbot bis heute nicht ratifiziert. Aber israelische Stimmen sind die lautesten und schrillsten, wenn es gilt, den Iran oder auch Syrien zu verurteilen und internationale Strafmaßnahmen zu fordern.

Rohanis UN-Rede sei »zynisch und heuchlerisch« gewesen, schimpfte Netanjahu am Mittwoch morgen und setzte hinzu: »Wie erwartet.« Vermutlich hat er die Rede nicht einmal gelesen oder sich wenigstens ihren Inhalt referieren lassen. Israels Regierungschef soll nächsten Dienstag selbst vor der Vollversammlung sprechen. Wie man hört, will er diesmal seine Bombenzeichnung, mit der er im vergangenen Jahr für Heiterkeit sorgte, zu Hause lassen und statt dessen Iran auf eine Stufe mit Nordkorea stellen. Dabei läge doch, wenn die Behauptungen wirklich stimmen würden, ein Vergleich mit Israel viel näher.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. September 2013


Statement Summary:

HASSAN ROUHANI, President of Iran, declared that the age of “zero-sum games” in international relations was over. Coercive economic and military policies, practices used to maintain old forms of domination, and the practice of globalizing Western values negated peace, security and human dignity, as did the persistent “cold war mentality”. There was no guarantee that the era of quiet among big Powers would remain immune from violent discourse, practices and action, he said, warning that the impact of violent and extremist narratives must not be underestimated.

He went on to emphasize that “strategic violence” manifested in efforts to deprive regional players of their natural domain of action, describing containment policies, regime change from outside and efforts to redraw political borders as “extremely dangerous and provocative”. Propagandist and unfounded faith-based phobia, including Islamophobia, “Shia-phobia and Iran-phobic discourse”, seriously threatened world peace and security. The so-called Iranian threat, used to justify a long catalogue of crimes in the past three decades, had assumed dangerous proportions, he warned, emphasizing that those who harped on it were themselves a threat to international peace and security. “ Iran poses absolutely no threat to the world or the region.”

Describing the continuing practices imposed on the innocent people of Palestine as nothing less than structural violence, he said there was also no military solution to the crisis in Syria. Expansionist strategies and attempts to change the regional balance through proxies could not hide behind humanitarian rhetoric, he said, adding that the global community must work quickly to end the killing of innocent people. Welcoming Syria’s acceptance of the Chemical Weapons Convention, he said that extremist groups’ access to such weapons, which was the greatest danger to the region, must be considered in any disarmament plan. The illegitimate, ineffective threat, or actual use, of force would only exacerbate violence and crisis in the region. Violence and the use of drones against innocent people in the name of combating terrorism should be condemned, he said, adding that unjust sanctions were inhumane and contrary to peace.

It was vital to promote tolerance and joint action in human society, he said. All challenges could be managed successfully through a smart, judicious blend of hope and moderation. As a regional Power, Iran would act responsibly in regional and global security affairs, and cooperate with other responsible actors. It defended peace based on democracy and the ballot box everywhere, including Syria and Bahrain. Iran sought to resolve problems, not create them, he said, stressing that acceptance of his country’s inalienable right was the best solution to the issue of its nuclear dossier. Underlining the exclusively peaceful nature of his country’s nuclear programme, he said nuclear weapons and other weapons of mass destruction had no place in Iran’s security and defence doctrine.

National interests necessitated the removal of all reasonable concerns about its peaceful nuclear programme. To fulfil that objective, there must be acceptance and respect for Iran’s right to enrichment and other nuclear rights. Nuclear knowledge had been domesticated and Iran’s nuclear technology had reached industrial scale. It was an illusion, and extremely unrealistic, to presume that peaceful use of the nuclear programme could be ensured by impeding it through illegitimate pressures. The country was “prepared to engage in time-bound and results-oriented talks” to build mutual confidence and remove mutual uncertainties with full transparency, he stressed, adding that it sought constructive engagement with other countries, not to increase tensions with the United States.

“Commensurate with the political will of the leadership in the United States,” he continued, “and hoping they will refrain from following the short-sighted interest of warmongering pressure groups, we can arrive at a framework to manage our differences.” Iran expected to hear a consistent voice from Washington. Noting that “peace is within reach”, he proposed, as an initial step, that the United Nations consider creating a World Against Violence and Extremism, or WAVE, and invited all States, global organizations and civil institutions to participate. He also proposed the formation of a “Coalition for Enduring Peace” to replace the ineffective “coalitions for war” spanning the globe.

24 September 2013

Source: http://gadebate.un.org/68/iran-islamic-republic

Hier geht es zur ganzen Rede von Ruhani:

Statement by H. E. Dr. Hassan Rouhani, President of the Islamic Republic of Iran
[englisch; pdf, externer Link]




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