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Kaum Bewegung am East River

Heute beginnt in New York die 67. Vollversammlung der Vereinten Nationen

Von Olaf Standke *

Bürgerkrieg in Syrien, Streit um Irans Atomprogramm, Aufruhr in der islamischen Welt wegen eines Schmähvideos aus den USA - die 67. UN-Vollversammlung beginnt heute am New Yorker East River im Zeichen vieler aktueller Konflikte und eines ungelösten Dauerthemas: die überfällige Reform der Vereinten Nationen.

Als der neue UN-Vermittler Lakhdar Brahimi am Wochenende Damaskus verließ, nannte er den Konflikt dort nicht nur eine Bedrohung für das syrische Volk, sondern auch für die ganze Welt. Und der Sondergesandte versprach: »Wir werden unser Bestes geben und alles zur Unterstützung des syrischen Volkes unternehmen.« Nach Meinung vieler Kritiker hat die Weltorganisation mit ihren 193 Mitgliedstaaten genau das bisher nur unzureichend getan. Was auch auf ihr gravierendstes Problem verweist: Die Struktur der UNO und ihres einzigen rechtsverbindlichen Entscheidungsgremiums entspricht nicht mehr den politischen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts.

Nicht nur im Fall Syriens blockiert sich der Weltsicherheitsrat, weil die fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich ihr Vetoprivileg immer wieder zur Durchsetzung eigener geostrategischer Interessen nutzen. Von einer »Kultur des Friedens«, die UN-Botschafter Anwarul Karim Chowdhury am Vorabend der Vollversammlung auf einem Forum in New York gefordert hat, scheinen die Vereinten Nationen noch Generationen entfernt.

Daran konnte trotz vollmundiger Versprechen auch Deutschland nichts ändern. Der drittgrößte Beitragszahler der UNO sitzt noch bis Ende des Jahres als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und hat in diesem Monat dort die Präsidentschaft inne. »Eigene Akzente« wollte man setzen, schließlich sei das Gremium »das zentrale internationale Instrument zur Bewältigung kriegerischer Konflikte«. In diesen Wochen suche man deshalb den Schulterschluss zur Arabischen Liga. Am Mittwoch wird die neue UN-Sonderbeauftragte für Kinder in bewaffneten Konflikten, Leila Zerrougui, erstmals über die Lage in verschiedenen Konfliktgebieten unterrichten. Deutschland hatte diese Frage zu einem Schwerpunktthema seiner zweijährigen Ratsmitgliedschaft gemacht. Doch ist die Berliner Bilanz letztlich enttäuschend. Nicht zuletzt mit Blick auf den deutschen Anspruch, »den Bemühungen um eine Reform der Vereinten Nationen neuen Schwung zu verleihen«. Wobei die ohnehin darauf zielen, endlich selbst zu einem dauerhaften Sitz im wichtigsten UN-Organ zu kommen.

Nach wie vor fehlt im Rat eine angemessene, entscheidungsrelevante Repräsentanz der Kontinente und Regionen. Die forderten jüngst auch die Blockfreien, mit 120 Mitgliedsländern weltgrößte Organisation nach der UNO, auf ihrem Gipfel in Teheran. Doch die »Reformdynamik« sei deutlich zurückgegangen, konstatierte die Bundesregierung in ihrem jüngsten UN-Bericht. Dass jedoch die Ländergruppe der »kleinen Fünf« (S5) - Costa Rica, Jordanien, Liechtenstein, Singapur und die Schweiz - unlängst ihren »historischen« Resolutionsentwurf für einen transparenteren und effektiveren Rat zurückzog, lag an den ständigen Mitgliedern. Sie hatten deutlich gemacht, dass sie die Vollversammlung nicht für befugt halten, ihnen Empfehlungen zu unterbreiten. »Dass die UN-Vollversammlung alle zwei Jahre zehn (nichtständige) Mitglieder des Sicherheitsrats wählt und die Budgets abgesegnet, die er vorschlägt, sind nur zwei Beispiele für die Irrationalität dieses Standpunkts«, betonte James Christie vom Rat des World Federalist Movement-Institute for Global Policy.

Versagt hat die Bundesrepublik auch, als es darum ging, eine gemeinsame positive Position der europäischen Staaten im Rat zur Aufnahme Palästinas als UN-Mitglied zu finden. Berlin blockierte den überfälligen Schritt. Nun will Präsident Mahmoud Abbas während der am 26. September beginnenden Generaldebatte der Vollversammlung den Antrag auf Anerkennung Palästinas als staatliches Nichtmitglied (Observer State) der Weltorganisation stellen. Für diesen heraufgestuften Beobachterstatus sieht er eine sichere Mehrheit im Plenum. Und anders als im Sicherheitsrat gibt es dort keine Vetomöglichkeit. In der Vollversammlung hat jeder Staat eine gleichwertige Stimme. Die United Nations General Assembly ist die Vollversammlung der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Sie tritt jährlich im September am UN-Hauptquartier in New York zusammen. Im Unterschied zum Sicherheitsrat sind ihre Resolutionen völkerrechtlich nicht bindend.

Zur Person

Vuk Jeremic wurde in der ersten Kampfabstimmung seit über 20 Jahren zum Präsidenten der 67. UN-Vollversammlung gewählt. Er setzte sich gegen Litauens UN-Botschafter Dalius Cekuolis durch, den ursprünglichen gemeinsamen Kandidaten der osteuropäischen Staaten, die das Vorschlagsrecht hatten. Russland hatte sich hinter den Kulissen für den serbischen Außenminister stark gemacht, dem schon vor Amtsantritt Mangel an Neutralität vorgeworfen wird. Allerdings hat er in seiner Funktion vor allem protokollarische Aufgaben. 1975 in Belgrad geboren, hat Jeremic einen Abschluss in Theoretischer Physik an der Universität Cambridge und als Master of Public Administration in Harvard. Er arbeitete für verschiedene Banken in London, im Belgrader Telekommunikations- und später im Verteidigungsministerium und war außenpolitischer Berater des damaligen Staatspräsidenten Boris Tadic. Von 2007 bis Juli 2012 war er Serbiens Außenminister. Jeremic ist verheiratet und spricht neben Englisch auch Deutsch.



* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. September 2012


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