Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Premieren am East River

Obama und Gaddafi mit Hauptrollen beim Redemarathon in der UNO

Von Olaf Standke *

Es soll die UN-Woche des Barack Obama werden. Aus der Verachtung seines Vorgängers für die Vereinten Nationen ist eine Wiederannäherung geworden, die sich in diesen Tagen zur Omnipräsenz des Neuen aus dem Weißen Haus am East River in New York auswächst.

Gestern (22. Sept.) der Klima-Gipfel und ein Dreiertreffen zum Nahost-Friedensprozess, heute (23. Sept.) Obamas Premiere in der Vollversammlung, morgen (24. Sept.) sein Vorsitz bei der Sondersitzung des Weltsicherheitsrats zur atomaren Abrüstung, womit erstmals ein USA-Präsident ein Treffen des wichtigsten UN-Gremiums leitet, dazwischen Gespräche mit den Amtskollegen aus China, Russland, Japan ... UN-Botschafterin Susan Rice nannte Obamas Besuch schon mal »historisch«. Die USA hätten ihr Verhältnis zu den Vereinten Nationen dramatisch verändert: »Statt die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und rauszugehen, bringen wir uns konstruktiv ein.« Vor wenigen Tagen hat Washington bereits seinen Sitz im UN-Menschenrechtsrat eingenommen, der von der Bush-Regierung boykottiert worden war.

Im Regelfall werden die Staats- und Regierungschefs oder Außenminister der 192 Mitgliedstaaten zur Generaldebatte erwartet. Da sich alle Augen ohnehin auf Obama richten, fällt gar nicht weiter auf, dass Deutschland wegen der Bundestagswahl nur von UN-Botschafter Thomas Matussek und Außenstaatssekretär Reinhard Silberberg repräsentiert wird. Matussek soll mit den Vertretern von Dschibuti, Dänemark und den Kapverden am Montag den fünftägigen Redemarathon abschließen. Dem strengen Protokoll entsprechend dürfen Beamte und Diplomaten erst sprechen, wenn alle Chefs ihren Auftritt hatten, egal wie groß ihr Land ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel plant zumindest einen Abstecher zum G 20-Gipfel in Pittsburgh, wo es am Donnerstag und Freitag um die Reform des internationalen Finanzwesens geht. Ein Thema, das auch die Vollversammlung beschäftigen wird. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Mitglieder der Vereinten Nationen aufgerufen, sich auf Maßnahmen zur Beendung der Wirtschaftskrise zu einigen. Sie treffe vor allem auch die »arbeitenden Armen«, die vor dem Verlust ihrer sozialen Verbesserungen der letzten Dekade stünden. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Sachfragen nicht durch die Selbstpräsentation von Politikern überschattet wird.

Einer könnte dabei Obama ein Stück der Show stehlen: der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Auch er hält heute Nachmittag seine erste Rede vor der UN-Vollversammlung, unmittelbar nach dem USA-Präsidenten, und er wird im Sicherheitsrat dabei sein, wo Tripolis nichtständiges Mitglied ist. Er wolle mit radikalen Vorschlägen die UNO »in ihren Grundfesten erschüttern«, vermeldete die staatliche libysche Nachrichtenagentur JANA gestern. So solle den kleinen Staaten künftig so viel Macht eingeräumt werden wie den Großmächten, die zudem im Weltsicherheitsrat ihr Vetoprivileg verlieren müssten.

Einem anderen Staatschef würden einige am liebsten das Rederecht nehmen. Israel bemühte sich in den vergangenen Tagen nachdrücklich um einen Boykott des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und wandte sich mit der Bitte an mehrere Staaten, dass ihre höchsten Vertreter den Tagungssaal während seiner Rede am Donnerstag (24. Sept.) zumindest verlassen mögen, so wie der israelische Premier Benjamin Netanjahu. Ahmadinedschad hatte mit seiner Äußerung, der Holocaust sei »ein Märchen«, jüngst für große Empörung nicht nur in Israel gesorgt. Netanjahu, der einen von den USA, der EU und den Palästinensern geforderten Baustopp für jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten nach dem Friedensplan von 2003 ablehnt, will mit seinem Auftritt die Welt davon überzeugen, dass ein Stopp des iranischen Atomprogramms höhere Priorität habe als Nahost-Friedensverhandlungen.

Derweil werden die fünf UN-Vetomächte und Deutschland am Rande der Vollversammlung zu einem informellen Gespräch zusammenkommen, um das weitere Vorgehen im Nuklearstreit mit Teheran abzustimmen. Der wird auch gegenwärtig sein, wenn es am Donnerstag im Weltsicherheitsrat um Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt geht. Parallel dazu treffen sich für zwei Tage die Außenminister von rund 100 Staaten, um eine Ratifizierung des Atomwaffen-Teststoppvertrags voranzutreiben. Neun Länder mit Nukleartechnologie haben das Abkommen von 1990 immer noch nicht ratifiziert und blockieren damit weiter sein Inkrafttreten - darunter auch die USA.

Zur Person Ali Treki

Mit der Forderung nach einer weit reichenden Reform der UNO hat der libysche Afrikaminister Ali Abdussalam Treki die 64. Vollversammlung der Weltorganisation eröffnet. »Die Vereinten Nationen müssen wieder internationale Legitimität gewinnen, damit ihre Stimme gehört und ihre Resolutionen befolgt werden«, sagte der Spitzendiplomat aus dem einstigen »Schurkenstaat« vor Vertretern der 192 Mitgliedsländer. Er war auf Initiative der afrikanischen Staaten im Juni per Akklamation für ein Jahr zum Präsidenten der Vollversammlung gewählt worden. Die Afrikaner hatten turnusmäßig das Vorschlagsrecht.

Treki besitzt fraglos die notwendigen Erfahrungen für diesen Posten - er diente drei Mal als Ständiger Vertreter seines Landes bei den Vereinten Nationen, hatte dabei zeitweilig auch den Vorsitz im Vierten Hauptausschuss (Entkolonialisierung) der Vollversammlung inne, repräsentierte Libyen in der UN-Menschenrechtskommission und war 1982 Vizepräsident der 37. Tagung der Vollversammlung. Der 71-Jährige, im libyschen Misrata geboren, ist studierter Historiker mit einem Hochschulabschluss der Universität Garyounes von Benghazi und promovierte in Politischer Geschichte an der Universität Toulouse in Frankreich.

Der Diplomat, der fließend Englisch und Französisch spricht, diente dem »Bruder Revolutionsführer« in vielen Teilen der Welt. Er war unter anderem Außenminister, Botschafter in Paris und bei der Liga der Arabischen Staaten in Kairo. Der vierfache Vater spielte auch eine wichtige Rolle bei der Schaffung der Afrikanischen Union und machte sich als Konfliktschlichter nicht nur in Afrika durchaus einen Namen - ob in Tschad sowie zwischen Äthiopien und Eritrea oder in Bosnien-Herzegowina, Zypern und auf den Philippinen. Mit Blick auf die aktuellen politischen Krisen plädierte er für Dialog und gegenseitiges Verständnis. »Embargos und Blockaden sind fruchtlos: Sie verschärfen nur Gegensätze und Widerstand.« Treki spricht aus eigener Erfahrung.
Olaf Standke



* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2009


Die unendliche Reform **

Auch der Vatikan ist in Sorge und warnte jetzt vor einem Bedeutungsverlust der Vereinten Nationen. Eine Reform der Entscheidungsmechanismen der Organisation sei dringend notwendig, sagte der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den UN, Erzbischof Celestino Migliore. Doch die droht eine »never ending story«, eine unendliche Geschichte zu werden - ein UN-Scherz in Anspielung auf die »open ended working group«, die unbefristete Arbeitsgruppe, die das zähe Reformvorhaben seit 15 Jahren offiziell in der Hand hat. 2005 legte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan einen Bericht mit 101 Vorschlägen vor, von denen kaum einer umgesetzt wurde - auch ein Vorwurf an den wegen seines Führungsstils kritisierten Nachfolger Ban Ki Moon.

Unmittelbar vor Beginn der neuen Vollversammlung stand das Thema wieder auf der Agenda, wobei sich jetzt erstmals alle 192 Mitgliedstaaten an den Verhandlungen beteiligen und erneut Anlauf zur »Demokratisierung« des Weltsicherheitsrats nehmen. Seine Struktur wird seit Jahren wegen der unzeitgemäßen Zusammensetzung kritisiert. Sie spiegele sechs Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer die Machtverhältnisse jener Zeit wider. Die damaligen Siegermächte bestimmen als fünf ständige Ratsmitglieder mit Vetorecht über Frieden und Sicherheit in aller Welt; eine Sonderstellung, die viele Staaten als ungerecht betrachten. Alle anderen Länder müssen sich im Zwei-Jahres-Turnus auf den zehn nicht ständigen Sitzen des Gremiums abwechseln.

Debattierte man Anfang September über die verschiedenen Kategorien von Ratsmitgliedern, sollen bei den nun folgenden Zusammenkünften die Erweiterung des Sicherheitsrates, seine Zusammensetzung und die Befugnisse der künftigen Mitglieder erörtert werden. Ali Treki, der Präsident der 64. Vollversammlung, forderte in seiner Auftaktrede zum Beispiel einen afrikanischen Dauersitz. Obwohl der »schwarze Kontinent« aus 53 Staaten bestehe, sei er so bisher nicht im höchsten UN-Gremium vertreten. Gleiches gelte für Lateinamerika und die Gruppe der kleinen Länder. »Die meisten Bewohner der Welt haben keine demokratische Vertretung.« Zugleich müsse die Rolle der Vollversammlung gestärkt und gegenüber dem Sicherheitsrat aufgewertet werden.

** Aus: Neues Deutschland, 23. September 2009


Dokumentiert:

Bericht von der Eröffnungsrede des Präsidenten der 64. UN-Generalversammlung am 15. September 2009 ***

General Assembly President Says Dialogue through United Nations, Revitalized Assembly, ‘Is the Way to a Better Future’, as Sixty-Fourth Session Opens Says Session Will Focus on Realizing Peace and Security, Dialogue of Civilizations, Responsibility for Development

Sixty-fourth General Assembly, Plenary, 1st Meeting (PM), 15 September 2009

Opening the General Assembly’s sixty-fourth session today, incoming President Ali Abdussalam Treki of Libya underscored that the United Nations and, in particular, the Assembly, “is the way to a better future”, and called on people of all colours, religions and origin to engage in dialogue through the Organization and its most representative body.

Because of advances in information and communication technology, what affected some, affected others, he explained, and while dialogue was the only solution, one should not make light of existing problems. “Dialogue and mutual understanding are the way to resolve our problems,” he said, stressing that embargoes and blockades were fruitless, as they undermined respect for international will.

Continuing, he said everyone believed the United Nations was in need of reform and democratization, and that the Assembly had been hampered by obstacles that prevented it from enforcing its resolutions. The 192-member body must be reformed to regain its international legitimacy, he declared.

He said reform of the Security Council, the expansion of its membership and the realization of equitable geographic representation were also of utmost importance. Africa was comprised of 53 States, none of which was a permanent member. The same was true of Latin America and countries represented by the Forum of Small States, which accounted for over half of the world’s inhabitants. It was vital to reform the Council and revitalize the Assembly so they could comprehensively fulfil their roles.

Turning to other crucial issues, he said the gap between rich and poor had been steadily growing, most often at the expense of the poor and by exploiting resources with which they were endowed. Terrorism had been condemned by all, yet it continued to grow and spread. The international community had to address its roots, whether carried out by individuals, groups or States, which was the harshest form of terrorism.

He said the Middle East situation, unresolved for more than 60 years, was another threat to the global community despite numerous Assembly and Council resolutions. Through the Assembly, the United Nations needed to assume a new, serious role and the many resolutions needed to be respected and implemented. Realizing Palestinians’ aspirations towards independence and the right to return to their land were fundamental conditions for achieving peace and security in that part of the world. Ending settlement activities and removing illegal settlements would also help, he added.

“We are faced with many momentous issues whose resolutions require dialogue, cooperation and community spirit,” he asserted. As such, the theme of the sixty-fourth session encompassed joint responsibility for development, the realization of peace and security, and the dialogue of civilizations. In addition, the summit on climate change, convened by the Secretary-General and set to be held next Tuesday, would be a chance for the Assembly to prepare recommendations ahead of the United Nations Climate Change Conference in Copenhagen, Denmark in December.

During the upcoming session, he said the Assembly would address the development goals for the third millennium as it prepared for a high-level meeting in September 2010. He looked forward to the Assembly’s joint consultations within the framework of resolution 63/302.

Regarding the global economic crisis, he noted that the Assembly’s relevant resolution had established a working group to follow up on that issue and promote any recommendations that could be undertaken jointly to alleviate the crisis. He called on all States to consider the issue and search for solutions.

The goal of disarmament and non-proliferation was shared by all, particularly with respect to weapons of mass destruction. He urged the Assembly to work not only towards non-proliferation and elimination of nuclear weapons, but also the elimination of other weapons of mass destruction.

In closing, Mr. Treki said he would work to ensure the Assembly gave sustained, serious and responsible efforts to reach consensus on ‑‑ and resolve ‑‑ issues brought before the body. He also commended United Nations Secretary-General Ban Ki-Moon for his support, saying that he and the United Nations chief would be working closely together to achieve their goals of development, stability and security.

In other business today, the Assembly also appointed nine members of the Credentials Committee: Brazil; China; Jamaica; Philippines; Russian Federation; Spain; United Republic of Tanzania; United States; and Zambia.

The Assembly authorized (document A/64/348) the following United Nations programmes and bodies would meet during the sixty-fourth session on the strict understanding meetings be accommodated within available facilities and services: Committee on Relations with the Host Country; the Committee on the Exercise of the Inalienable Rights of the Palestinian People; Disarmament Commission; Executive Board of the United Nations International Research and Training Institute for the Advancement of Women (INSTRAW); Executive Board of the United Nations Children’s Fund (UNICEF); United Nations Dispute Tribunal; and the Working Group on the Financing of the United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA).

Finally, delegations took note of a letter from the Secretary-General to the Assembly President (document A/64/345), informing the Assembly that six Member States were in arrears in payment of their financial contributions to the United Nations, under Article 19 of the United Nations Charter.

[According to Article 19 of the Charter, a Member State in arrears in the payment of its financial contributions to the Organization will have no vote in the Assembly, if the amount of those arrears exceeds the amount of the contributions due from the preceding two years.]

The General Assembly will reconvene at a date and time to be announced.

*** United Nations, General Assembly, Department of Public Information; 15 September 2009; (GA/10857); www.un.org

Und hier geht es zur zweiten großen Rede von Ali Abdussalam Treki. Er hielt sie zur Eröffnung der Generaldebatte der Vollversammlung am 23. September 2009:
The United Nations is the embodiment of multilateralism / Die Vereinten Nationen sind der Inbegriff des Multilateralismus
Rede des Präsidenten der 64. Sitzung der UN-Generalversammlung zur Eröffnung der Generaldebatte / H.E. Dr. Ali Treki, President of the sixty-fourth session of the United Nations General Assembly: OPENING OF THE GENERAL DEBATE


Zurück zur UNO-Seite

Zur UNO-Reform-Seite

Zurück zur Homepage