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Ein schwieriges UNO-Jahr

Bildung neuer Friedenskommission kann erster Reformschritt sein

Von Hans Voß*

Die dringend notwendige Reform der Vereinten Nationen kommt nur schleppend voran. Ein Grund ist die Blockadehaltung der USA.

Endlich eine gute Nachricht aus dem UNO-Hauptquartier in New York: Wie berichtet, verabschiedeten Generalversammlung und Sicherheitsrat eine Resolution, nach der eine »Kommission zum Friedensaufbau« ins Leben gerufen werden soll. Sie soll Staaten unterstützen, die nach einem militärischen Konflikt nicht im Stande sind, dessen Folgen allein zu meistern. Die Arbeit der Kommission soll durch ein ständiges Organisationskomitee koordiniert werden. Für Entscheidungen gilt das Konsensprinzip. Ein besonderer Fonds sichert die Finanzierung. Dieses neue ständige UNO-Organ soll eine Lücke zwischen Konfliktverhütung und Krisenbeilegung einerseits sowie Krisennachsorge andererseits schließen. Bisher entschied die UNO von Fall zu Fall – und das oft mit großer Verzögerung –, auf welche Weise einem Konfliktstaat geholfen werden soll. Sicher ist es zu früh, ein Urteil über die Wirksamkeit der neuen Kommission abzugeben. Schließlich wird sie den gleichen Schwierigkeiten ausgesetzt sein, wie sie die Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit seit langem plagen. So können etwa wie im Sicherheitsrat Vetomächte Entscheidungen blockieren. Aber der Beschluss zur Bildung der Kommission ist zumindest ein Schritt, um die UNO formal den veränderten weltpolitischen Gegebenheiten anzupassen.

Der Prozess der UNO-Reform insgesamt ist und bleibt derweil von großen Problemen begleitet. Unter dem Eindruck der USA-Aggression gegen Irak 2003 hatte UNO-Generalsekretär Kofi Annan im Herbst jenes Jahres dazu aufgerufen, sich der Logik von der Führbarkeit präventiver Kriege zu widersetzen. Die Vereinten Nationen befänden sich an einer Wegscheide, sagte Annan. Und es stünden Entscheidungen an, die nicht weniger wichtig seien als jene zum Zeitpunkt der Gründung der UNO im Jahr 1945.

In der Folge wurde ein hochrangiges Gremium tätig, das Vorschläge für eine umfassende Reform der Vereinten Nationen ausarbeitete. Insgesamt handelt es sich um das bisher umfassendste Paket, um die Weltorganisation aus der Krise herauszuführen. Tätigkeit und Stellung aller UNO-Organe wurden einer kritischen Überprüfung unterzogen, Überlegungen vorgelegt, wie einerseits der Sicherheitsrat demokratisiert und andererseits die Rolle anderer Organe gestärkt werden kann. Auf der Gipfelkonferenz im September 2005 wurden allerdings keine einschneidenden Anstöße für eine UNO-Reform gegeben. Es wurden lediglich einige Probleme zukünftigen Überprüfungen anvertraut, wozu auch die Bildung der nunmehr beschlossenen Kommission zum Friedensaufbau gehört.

Ungeklärt bleibt noch die Frage, ob und in welchem Maße die Bestimmungen über das Recht auf Selbstverteidigung (Artikel 51 der UN-Charta) neu gefasst werden sollten. Annan ist gegen eine Veränderung dieses Artikels, der den Staaten das Recht gibt, im Falle eines erfolgten oder unmittelbar drohenden Angriffes sich selbst zu verteidigen. Ein anderes Herangehen sei jedoch im Falle einer »latenten« Bedrohung erforderlich, wie er von den USA gern als Begründung für so genannte präventive Kriege herangezogen wird. Sollte eine solche Bedrohung bestehen, hat nach Ansicht Annans allein der Sicherheitsrat das Recht, die Anwendung militärischer Gewalt zu beschließen. Und auch das könne nur bei Beachtung klar definierter Kriterien erfolgen. Der Generalsekretär schlägt daher die Verabschiedung einer Resolution des Sicherheitsrates vor, in der die Voraussetzungen für entsprechende Einsatzbeschlüsse genannt werden. Eine solche Resolution steht bisher noch aus, was den USA ermöglicht, an ihrer bisherigen Kriegslogik festzuhalten. An der USA-Blockade sind bislang auch die Vorschläge gescheitert, den Sicherheitsrat durch die Aufnahme von sechs ständigen und drei nichtständigen Mitgliedern zu erweitern.

Bleibt noch zu vermerken, dass auch der Vorstoß einer Lösung harrt, an Stelle der lediglich periodisch tagenden Menschenrechtskommission ein neues ständiges Organ – den so genannten Menschenrechtsrat – zu bilden. Der Rat soll im Gegensatz zur Kommission, deren Mitglieder von den regionalen Gruppen bestimmt werden, durch die Vollversammlung gewählt werden. Über Einzelheiten des Mandats, des Wahlmodus und der Mitgliedschaft gibt es unterschiedliche Auffassungen. Vor allem die USA drängen darauf, ein Organ zu bilden, das den eigenen Vorstellungen zur Handhabung der Menschenrechte entspricht. Und wie diese aussehen, ist bekannt. Das Recht auf »humanitäre« Intervention soll festgeschrieben werden. Auch in diesem Falle ist die gegenwärtig tagende Vollversammlung beauftragt, einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten.

So sehr man die Freude Kofi Annans über den Beschluss zur Schaffung der Kommission zum Friedensaufbau verstehen kann, schließlich ist es ein erster Schritt zur Modernisierung der UNO, so sehr ist bei der Beurteilung der Zukunftschancen des Gremiums Vorsicht geboten. Zu viele Unwägbarkeiten stehen einem Erfolg im Wege. Außerdem muss der Nachweis erst noch erbracht werden, dass die Bildung der Kommission mehr ist als nur ein isolierter Akt.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Dezember 2005


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