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Der Streit um die Reform der Vereinten Nationen spitzt sich zu

Hauen und Stechen hinter den Kulissen: Es geht um den Sicherheitsrat

Der Streit um die UN-Reform spitzt sich zu. Dabei geht es vor allem um die künftige Zusammensetzung des Sicherheitsrats. Ende Juli bekamen die G4-Staaten einen gehörigen Dämpfer.
Im Folgenden dokumentieren wir einen Text aus einer Internetzeitung vom 28. Juli sowie einen Presseartikel vom selben Tag.



Italien wirft Deutschland Epressung von Entwicklungsländern vor*

Italiens UN-Botschafter in New York hat Deutschland und den anderen Staaten der sogenannten G4-Gruppe (Brasilien, Indien und Japan) vorgeworfen, bei ihrem Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat mit Erpressung und mit unlauteren finanziellen Anreizen Stimmen in der UN-Vollversammlung zu erkaufen. Italien wirft den G4 die Erpressung afrikanischer Staaten vor. Differenzen gibt es mit der Afrikanischen Union, die zwei ständige Sitze im Sicherheitsrat beansprucht. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes wies die Vorwürfe am Mittwoch in Berlin pauschal zurück. Eine differenzierte Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes zu den Vorwürfen liegt aber offenbar nicht vor. Das italienische Außenministerium beharrt auf der Anschuldigung. Man habe Beweise, sagte ein Sprecher in Rom.

Einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge hat der italienische UN-Botschafter Marcello Spatafora hatte in der Nacht zum Mittwoch bei der Vorstellung des Resolutionsentwurfes der Ländergruppe "Geeint für Konsens" gesagt, die G4-Staaten hätten einigen UN-Mitgliedsländern mit dem Streichen von finanziellen Hilfen gedroht, sollten diese in der UN-Vollversammlung nicht für die Resolution der G4 zur Erweiterung des Rates stimmen.

Zu einer Vergrößerung des UN-Sicherheitsrates von derzeit 15 auf 25 oder 26 Mitglieder bedarf es der Zustimmung von 128 der 191 Mitgliedstaaten. Ohne zu konkretisieren, welcher Staat der G4 welches Entwicklungsland unter Druck gesetzt habe, sagte Spatafora: "Genug ist genug. Ich meine damit das Ausüben von finanziellem Einfluß und finanziellem Druck, um eine Regierung dazu zu bewegen, sich einer bestimmten Position anzuschließen oder nicht anzuschließen."

So habe ein Staat der G4 mit der Einstellung eines Entwicklungshilfeprojektes für Kinder mit einem Volumen von 460.000 Dollar gedroht, sollte die Regierung dem UN-Vertreter dieses Staates nicht Weisung geben, in New York für den Resolutionsentwurf der G4 zu stimmen. Spatafora sprach in dem Zusammenhang von einer Schande und forderte UN-Generalsekretär Kofi Annan auf, den Vorfall zu untersuchen.

Scharfe Kritik auch von Pakistan und Mexiko

In der vergangenen Woche hatte der UN-Botschafter Pakistans, Munir Akram, ähnliche Vorwürfe gegen Deutschland und Japan erhoben. Es sei "kein Geheimnis", daß Zwangsmittel eingesetzt würden.

Der mexikanische UN-Botschafter Enrique Berruga sprach von "zahlreichen Fällen" in Mittelamerika und in der Karibik, bei denen mit der Drohung, etwa ein Trinkwasserprojekt nicht weiter zu unterstützen, den Regierungen armer Länder "der Arm verdreht" worden sei. Italien, Mexiko und Pakistan sind die maßgeblichen Unterstützer der Resolution der Ländergruppe "Geeint für Konsens", die eine Erweiterung des Rates um zehn nichtständige Mitglieder vorsieht.

UN-Reform: Friedensbewegung fürchtet Ermächtigung für Präventivkriege

Angesichts der Auseinandersetzungen um die Macht im Weltsicherheitsrat gehen in der Medienberichterstattung geplante inhaltliche Neuerungen weitgehend unter. Beispielsweise befürchtet der deutsche Friedensforscher Peter Strutynski, dass im Zuge der UN-Reform künftig Präventivkriege im Namen der Vereinten Nationen ermöglicht werden könnten (ngo-online berichtete). Er bezieht sich hierbei auf das von UN-Generalsekretär Kofi Annan am 21. März vorgelegten Strategiepapiers "In größerer Freiheit" zur Reformierung der Vereinten Nationen.

In Ziffer 125 des Papiers heißt es dazu: "Wenn es sich nicht um eine unmittelbar drohende Gefahr, sondern um eine latente Bedrohung handelt, überträgt die Charta dem Sicherheitsrat die volle Autorität für die Anwendung militärischer Gewalt, auch präventiv, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren." Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, fielen die Vereinten Nationen nach Auffassung des Friedensforschers Peter Strutynski "nicht nur hinter die eigene UN-Charta, sondern auch hinter den Kellogg-Pakt aus dem Jahr 1928 zurück, in dem die Vertragsstaaten erstmals den Krieg geächtet hatten."

Auch der Koordinator für der Linksfraktion (GUE/NGL) im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des EU-Parlaments, Tobias Pflüger, wandte sich unlängst gegen diese UN-Reform: "Wer Präventivkriege mit UN-Mandat für die Zukunft gutheißen möchte, tritt das Völkerrecht mit Füßen", so Pflüger. "Eine solche Reform der UN wird dazu führen, dass das Recht des Stärkeren auch noch mit den Weihen der Vereinten Nationen versehen wird. Mit einer solchen UN-Reform würde das gefährliche Präventivkriegskonzept unterstützt, eine solche 'Reform' ist ein regelrechtes Kriegsunterstützungsprogramm."

UN-Soldaten im Einsatz: Zum Beispiel im Kongo

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist beispielsweise eine militärische Aktion von UN-Blauhelmsoldaten im Kongo am 1. März 2005. Bei dem Angriff auf ein Milizenlager in der nordostkongolesischen Region Ituri sollen mindestens 50 Milizionäre getötet worden. Der Angriff der Vereinten Nationen, der nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) von dem niederländischen General Patrick Cammaert geplant worden war, richtete sich gegen ein Lager der Miliz "Front nationaliste et intégrationiste" (FNI) in der Nähe der Ortschaft Loga, rund 30 Kilometer außerhalb der Regionalstadt Bunia.

Der französische Generalstabschef der UN-"Mission" für Kongo (MONUC), Jean-François Collot d'Escury, machte deutlich, dass es sich bei dem UN-Angriff um einen Racheakt handelte: die Milizenführer in Ituri würden von der UN für die Ermordung von neun Blauhelmsoldaten in der vergangenen Woche verantwortlich gemacht. Der Angriff auf die Milizen sei eine "direkte Antwort auf die Ermordung der neun Soldaten", so der UN-General laut FAZ.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes vom 4. Oktober 2004 ist Deutschland der drittgrößte Beitragszahler für den MONUC-Einsatz. In einer Pressemitteilung vom 31. März 2005 begrüßte die deutsche Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, "ausdrücklich" das "resolute Vorgehen" der Vereinten Nationen. Nach Auffassung Müllers "muss das robuste Mandat von MONUC voll ausgeschöpft werden, wie es auch vom Sicherheitsrat in seiner neuen Resolution gefordert wird. Ich begrüße daher auch ausdrücklich das jüngste resolute Vorgehen MONUCs im Distrikt Ituri, das ein klares Signal an alle Friedensstörer ausgesandt hat."

"Begehrlichkeiten der Kolonialherren"

Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzungen unter Beteiligung von UN-Soldaten im Kongo könnte der Rohstoff-Reichtum des Entwicklungslandes sein. Nach einem Bericht der österreichischen Zeitung "Der Standard" vom 18. Januar 2001, ist der Krieg im Kongo ein "Verteilungskrieg" um den ungeheuren Reichtum des Kongo. "Diamanten, Kupfer, Kobalt, Gold, seltene Erden, Edelhölzer - riesige Mengen leicht abbaubarer, gut absetzbarer Rohstoffe haben schon vor hundert Jahren die Begehrlichkeiten der damaligen belgischen Kolonialherren geweckt", schreibt die Zeitung. "Fast 40 Jahre lang konnte der Diktator Mobutu Sese Seko die Verteilung der Schätze unter seinen Anhängern und internationalen Konzernen kontrollieren. Seit seinem Sturz 1997 hat sich eine Vielzahl von Interessenten auf den Kongo gestürzt."

In seiner "Außenpolitischen Strategie zu Zentralafrika" vom Januar 2004 schreibt auch die deutsche Bundesregierung von einem "Krieg der Rohstoffe". Das Auswärtige Amt weiß: "Die Demokratische Republik Kongo ist reich an Bodenschätzen, fruchtbaren Böden, tropischen Nutzhölzern und verfügt über ein gewaltiges Potenzial an hydroelektrischer Energie". Weiter heißt es auf der Website des Ministeriums. "Das enorme wirtschaftliche Potenzial des Landes" habe seit der Unabhängigkeit "nie voll ausgeschöpft werden" können. Die wichtigsten Exportprodukte seien Kupfer, Industriediamanten, Kobalt, Gold, Erdöl, Kaffee, Palmöl, pharmazeutische Pflanzen und Tropenholz.

Aus: Internetzeitung www.ngo-online.de


Streit um UNO-Reform

G4-Staaten auf Suche nach Kompromiss mit afrikanischen Ländern

Von Hans Voß

In diesen Tagen sollte sich entscheiden, ob die UN-Vollversammlung über die künftige Zusammensetzung des Sicherheitsrates abstimmt. Doch mit den Vorwürfen Italiens hat sich der Streit darüber noch verschärft.

Zur Entscheidung liegen drei Entwürfe vor, die sich zum Teil ergänzen, zum Teil widersprechen. Vordergründig geht es um die Frage, ob der Sicherheitsrat durch weitere ständige Mitglieder erweitert wird und mit welchen Rechten sie ausgestattet werden sollen. Vieles spricht dafür, dass die Abstimmung auf September verschoben wird. Der Entwurf der G4-Staaten Brasilien, Indien, Japan und Deutschland etwa, der inzwischen 23 Koautoren hat, darunter Frankreich, und der von weiteren Staaten, darunter Großbritannien, unterstützt wird, und jener von 34 afrikanischen Staaten ähneln sich zwar in Grundzügen. Beide schlagen eine Erweiterung des Sicherheitsrates um sechs ständige und vier (oder fünf) nichtständige Mitglieder vor. Die afrikanischen Staaten fordern jedoch ein Vetorecht für die ständigen Mitglieder, während die »Vier« vorerst darauf verzichten wollen. Sie sind – mit Recht – der Überzeugung, dass an einer solchen Forderung das ganze Projekt scheitern würde.

Inzwischen haben Staaten, die selbst einen Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erheben oder den Eintritt regionaler Rivalen in das höchste UN-Gremium verhindern wollen, einen eigenen Resolutionsentwurf eingebracht. Er verfolgt die eindeutige Absicht, die Aufwertung anderer Staaten zu verhindern. Aus diesem Grunde treten Pakistan, Argentinien oder Italien lediglich für die Aufnahme weiterer nichtständiger Mitglieder in den Rat ein – ein Vorschlag, der keine Chance hat, eine Mehrheit zu erhalten. Beachtung verdient, dass sich in den ausführlichen Debatten einige Staaten wie die Schweiz, Schweden und Finnland dafür aussprachen, die Erweiterung des Rates um ständige Mitglieder (wofür sie eintreten) mit der Auflage zu verbinden, dass nach einer festgelegten Frist die Wirksamkeit der Tätigkeit dieser Staaten überprüft wird.

Es erweist sich also, dass auch nach dem kategorischen Nein der USA zu einer substanziellen Neuformierung des Sicherheitsrates die Debatte über die Reform des wichtigsten UN-Gremiums keineswegs am Ende ist. Eine große Zahl von Mitgliedstaaten lässt sich das Recht nicht nehmen, weiter auf Veränderungen zu drängen. Auch sind Ankündigungen vorschnell, dass damit vor allem die Ansprüche der Bundesrepublik vom Tisch seien, in die oberste Klasse der Weltorganisation aufzusteigen. Mancherorts wird das Werben der Berliner Regierung um einen solchen Aufstieg als deplatziert und eigentlicher Auslöser der kontroversen Debatten in der Generalversammlung dargestellt. Mit einer gewissen Genugtuung werden die Widerstände registriert, die dem bundesdeutschen Streben im Wege stehen.

Sicherlich gibt es genügend Gründe, überzogene Ambitionen der deutschen Außenpolitik zu kritisieren. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass es bei der Debatte über eine Reform der UNO um sehr viel mehr geht als um die deutsche Stellung. Seit mehr als einem Jahrzehnt steht die Reform des Sicherheitsrats auf der Tagesordnung. Niemand wagt in Zweifel zu ziehen, dass der Rat in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung nicht mehr den internationalen Gegebenheiten entspricht. Er ist kein Spiegelbild der heutigen Weltkarte. Das Vetorecht ständiger Mitglieder unterstreicht die Ungleichheit der Staaten und verleitet zu einseitiger Machtausübung. Es waren bisher vor allem ständige Mitglieder, die jeden Reformansatz torpedierten. Nicht nur die USA, auch Russland und China fechten hart gegen jede Einengung ihres Vetoprivilegs. Und sie reklamieren wie Washington, dass die Zeit noch nicht reif sei, Reformentscheidungen zu fällen. Wer die jahrelangen nutzlosen Diskussionen über eine Reform der UN-Charta betrachtet, kann diese Begründungen nur als pure Heuchelei verstehen. Wann, wenn nicht jetzt stehen Veränderungen an? So sieht es auch die hochrangige Kommission, die Ende des vergangenen Jahres umfassende Reformvorschläge vorlegte. So sieht es UN-Generalsekretär Kofi Annan, der im März dieses Jahre dazu eigene Vorschläge unterbreitete.

Diesen Wind der Veränderung haben sich die so genannten G4 im eigenen Interesse zu Nutze gemacht, als sie ihren Entschließungsentwurf einbrachten. Auch wenn es im ersten Anlauf »lediglich« eine Grundsatzentscheidung über die künftige Zusammensetzung des Sicherheitsrates geben und noch nicht über Kandidaten abgestimmt werden soll. Doch müssten innerhalb einer Woche nach der Annahme der Entschließung interessierte Staaten ihre Kandidatur anmelden. Spätestens zwölf Wochen später soll die Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit bereits über die Kandidaten abstimmen. Nach der Grundsatzentscheidung über die Zusammensetzung des Rates wird also alles sehr schnell gehen.

Auch wenn theoretisch alle UN-Mitgliedstaaten das Recht hätten, eine eigene Anwartschaft für den Sicherheitsrat zu verkünden, befänden sich die »Vier« angesichts ihres Einsatzes für Reformen eindeutig im Vorteil. Aber zuvor muss erst einmal die erforderliche Mehrheit zu Stande kommen – und die G4 müssen einen Kompromiss mit den afrikanischen Staaten finden.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2005


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