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Der Islam taugt nicht zum Feindbild

Interview mit dem Nahost-Experten Prof. Dr. Werner Ruf (Uni Kassel)

Im Folgenden dokumentieren wir ein Gespräch, das im Neuen Duetschland am 13. September 2001 erschien.

ND: Bei der Fahndung nach den Attentätern verfolgen die Sicherheitsbehörden der USA vor allem Spuren in die arabischen Länder.

Wenn Sicherheitsdienste wie CIA, Mossad u.a. dermaßen versagt haben und offensichtlich auch nicht die leisesten Verdachtsmomente hatten, dann scheint es mir ein bisschen vorschnell, wenn wieder allein in dieser Region gesucht wird. Osama bin Laden ist ja nun weiß Gott ein alter Bekannter, ja ehemaliger Freund der USA. Wie eigentlich soll dieser angeblich rund um die Uhr gesuchte Mann unbemerkt ein solches Netzwerk organisieren? Warum also schon jetzt ausschließen, dass etwa eine Sekte von Wahnsinnigen aus dem christlichen Spektrum dieses Symbol der Weltwirtschaft, dieses Symbol der Verkommenheit der Sitten zerstören wollte?

ND: Was weiß man überhaupt über bin Ladens Vernetzung mit anderen extremistischen Gruppen, über seine Verankerung und Akzeptanz in der islamischen Welt?

Es gibt wahrscheinlich nur wenige Leute, die wirklich genau wissen, welche Gruppierungen von wem aufgebaut worden sind, finanziert werden, mit wem zusammenhängen. Aber es gibt auch gesicherte Erkenntnisse. Nicht nur die einstigen »Freiheitskämpfer« in Afghanistan bilden heute antiwestliche Terrorstrukturen, auch die Hamas in Nahost wurde ja einst vom israelischen Geheimdienst Mossad als Gegenspieler zu Arafat aufgebaut und gefördert - bis das Instrument aus der Hand lief. Diese Berufsterroristen sind heute auch auf dem Balkan, in Algerien oder in Saudi Arabien aktiv.

ND: Nun gab es in arabischen Ländern nach den jüngsten Anschlägen nicht nur die Verurteilung durch Politiker, es gab auch Freudentänze. Teilt die Mehrheit der muslimischen Welt den Hass auf den »großen Satan« USA?

Sicher ist dieser Hass weit verbreitet. Und bei den von Ihnen genannten Reaktionen muss man einfach die Situation der Menschen, ihr jahrzehntelanges Leiden unter Gewalt, die in den letzten zwölf Monaten noch eskalierte, berücksichtigen. Sie meinen, dass Israels Besatzungspolitik nur mit Rückendeckung Washingtons möglich ist. Ich sehe keine verantwortliche Führung im Nahen Osten, die diesen Terror, der alle bisher vorstellbaren Dimensionen gesprengt hat, gutheißt. Auch weil man weiß, dass die USA mit Gegengewalt reagieren werden.

ND: Ägyptens Präsident Mubarak sieht durchaus einen Zusammenhang zwischen dieser Terrorwelle und der USA-Nahostpolitik.

Der Zusammenhang wäre ja auch da, wenn hinter den Anschlägen Gruppen aus dem Nahen Osten stehen würden.

ND: Nun haben manche Auguren aus der Tatsache, dass Saddam Hussein die Anschläge nicht verurteilt hat, konstruiert, Irak könnte der große Drahtzieher sein, zumal Terrorakte dieser Größenordnung angeblich nur mit Unterstützung staatlicher Strukturen möglich seien. Wo läge denn über die Genugtuung hinaus, den Erzfeind getroffen und gedemütigt zu sehen, der Nutzen für Bagdad?

Saddam Hussein wird auf eine sehr perverse Weise nach wie vor von den USA gebraucht, sonst wäre er nicht mehr an der Macht. Wenn er jetzt ins Spiel gebracht wird, dann auch aus legitimatorischen Gründen. Und wenn Saddam so reagiert, dann auch vor dem Hintergrund, dass sich Irak durch die jahrelangen Sanktionen in einem katastrophalen Zustand befindet; dass ihnen über eine Million Kinder zum Opfer fielen, weil Nahrungsmittel, Medikamente und Trinkwasser fehlen: dass US-amerikanische und britische Kampfjets über weite Teile des Landes die Lufthoheit haben und immer wieder Angriffe fliegen. Kaum ein Land wird so überwacht und kontrolliert von den USA-Sicherheitsdiensten wie gerade Irak - und da soll ausgerechnet Bagdad eine solche Terrorattacke organisieren? Wenn man nach dem Cui bono fragt, danach, wem das Ganze nutzt, scheinen mir andere Verschwörungstheorien plausibler.

ND: Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde der Islam im Westen zunehmend zum Feindbild hochstilisiert, nicht nur Samuel Huntington beschwor den »Kampf der Kulturen«. Befürchten Sie jetzt endgültig die Stigmatisierung ganzer Religionen und Völker?

Man muss Schlimmes befürchten, denn die Prophezeiungen scheinen ja in den Augen vieler Menschen im Westen auf grausige Weise in Erfüllung zu gehen. Und wenn jetzt vermeintlich Schuldige vorschnell verortet werden, droht eine weitere Eskalation. Wer meint, dass im angeblichen »Kampf der Kulturen« die Regeln unserer Rechtsstaatlichkeit schon deshalb nicht gelten können, weil der Gegner nicht nur nicht willens, sondern kulturell unfähig ist, sie zu befolgen, der blendet bewusst die Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens aus. Es gehört zum Wesen des Terrorismus, sich nicht an innerstaatliche und völkerrechtliche Regelungen zu halten, nicht zu dem des Islam.
Ich meine, dass wir in dieser Welt erst dann zu halbwegs vernünftigen Verhältnissen kommen, wenn wir endlich begreifen, dass Sicherheit nicht mehr militärisch oder geheimdienstlich herstellbar ist. Genau das ist ja die Lehre aus diesem fürchterlichen Akt: Sicherheit ist für uns nicht mehr zu gewährleisten. Wir kämen ihr erst näher, wenn wir immer auch die Sicherheit des Anderen anerkennen und respektieren. Die Sicherheit des Anderen als die eigene. Und solange die Welt immer mehr militarisiert wird, solange das Elend wächst, solange wir die Menschenrechte als großes Politikziel verkünden und auf der anderen Seite etwa in Palästina völlig ignorieren, solange kann es keine Gerechtigkeit und eben auch die Sicherheit für den Anderen nicht geben.

Aus: Neues Deutschland, 13. September 2001

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