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Die Freude der Araber hält sich in Grenzen

Der im Westen ausgebrochene Mordsjubel weckt im Nahen Osten überwiegend unangenehme Assoziationen

Von Roland Etzel *

In der Tötung Bin Ladens sehen auch die Repräsentanten der Europäischen Union einen Grund zu feiern. Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman van Rompuy fühlen sich da nicht nur »Schulter an Schulter mit den USA«, sondern auch »mit unseren Freunden in der muslimischen Welt«. Letzteres ist wohl eine sehr optimistische Einschätzung der Brüsseler Spitzen.

Freudenfeiern wie auf dem New Yorker Times Square haben in den arabischen Ländern nicht stattgefunden. Wohl waren die Korrespondenten von ARD bis CNN bei ihren Interviews sichtlich bemüht, Lob oder wenigstens Zustimmung zur US-amerikanischen Tötungsaktion in Pakistan einzufangen, sehr erfolgreich waren sie dabei bis gestern augenscheinlich nicht. Statt platten Jubels vernahmen die Zuschauer häufig sogar jenes Maß Vorsicht und Nachdenklichkeit, das man bei vielen Politikern hierzulande vermisst. Auch die meisten arabischen Staats- oder Regierungschefs haben sich bisher mit Kommentaren zurückgehalten.

Zu den wenigen, die sich politisch verorten wollten, gehört der irakische Präsident Dschalal Talabani. Er ließ sogar einen Brief veröffentlichen, den er an US-Präsident Barack Obama geschrieben hatte. Er habe, so erklärt Talabani darin, die Tötung Osama bin Ladens begrüßt. Sie habe bei ihm »Glücksgefühle ausgelöst, nicht wegen der Rache, sondern weil sie Gerechtigkeit bewirkte. Das irakische Volk ist Ihr Verbündeter im Krieg gegen den Terrorismus«.

Abgesehen davon, dass er damit den Äußerungen der meisten US-Politiker mehr staatsmännische Weisheit zumaß, als diese enthielten – jeder Iraker weiß, dass das kurdische Clan-Oberhaupt Talabani ohne die USA und ihre Truppen in seinem Land nicht Präsident wäre. Er geht gewiss auch davon aus, dass er seine zum Teil gegen die Interessen der anderen irakischen Regionen gerichteten Pläne im kurdischen Norden nur unter der schützenden Hand Washingtons vorantreiben kann.

Wohl alle Iraker werden sich daran erinnern – ob sie sich das eingestehen oder nicht –, dass es zu Zeiten Saddam Husseins zwar ein gnadenloses Regime gegeben hat, aber auf jeden Fall keinen Dauerterror des irakischen Ablegers von Al Qaida, wie es seit nunmehr acht Jahren der Fall ist. Und sie wissen auch, dass es eine der unverschämtesten Lügen von Obamas Amtsvorgänger George W. Bush war, zur Rechtfertigung des Einmarsches der USA-geführten Kriegskoalition von 2003 in Irak ausgerechnet angebliche Verbindungen Saddams zu Al Qaida anzuführen. Wenn es ein Land gab, in dem Bin Ladens Rekrutierungsversuche für Al Qaida erfolglos waren, dann war es Irak unter Saddam Hussein. Was immer die USA zu Bin Laden und Al Qaida künftig erklären, Glaubwürdigkeit werden sie sich in Irak erst wieder erarbeiten müssen.

Sonst ist nur noch vom amtierenden libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri bekannt, dass er öffentlich seine Genugtuung über die Tötung Bin Ladens bekundet hat. Selbst die Despoten auf der Arabischen Halbinsel vermieden lauten Jubel. Sie haben dafür eine Menge Gründe. Saudi-Arabien ist, um einmal in die Pentagonsprache zu wechseln, der Schoß der Terrorbrut schlechthin. Nicht allein Bin Laden, auch mehr als zwei Drittel der 19 Flugzeugterroristen des 11. September 2001 stammten aus Saudi-Arabien. Auch die wesentlichen Geldquellen der Heiligen Krieger haben dort ihren Ursprung. Aber vielleicht ist es nicht einmal das Unbehagen darüber, was die Monarchen der Arabischen Halbinsel in lediglich verhaltenem Jubel verharren lässt.

Vielmehr ist es wohl so, dass sie der Bannfluch, mit dem sie von Bin Laden vor Jahren wegen ihrer Kumpanei mit den Amerikanern belegt worden waren, tiefer erschreckt hat, als sie es zugeben möchten; vor allem weil sie wohl zu recht vermuten, dass die Mehrheit des unterprivilegierten Teils ihrer Bevölkerungen dem Hass Bin Ladens auf ihre Könige gar nicht so fern steht.

Eines kann bei einem ersten Blick auf die arabischen Reaktionen nach der Tötung Bin Ladens nicht übersehen werden: Die Mehrheit der Muslime ist weder von Genugtuung noch von Trauer erfasst. Sofern sie nicht persönlich davon betroffen waren, gingen die vermeintlichen politischen Intentionen von Terror und Gegenterror weit an ihren Lebensumständen vorbei. Wenn nicht selten im Orient Anzeichen von Sympathie für Osama zu beobachten waren, dann kaum wegen der grausamen Terrorakte, sondern weil dem Terroristen gelungen war, was keinem sonst zu gelingen schien: der Weltmacht auf gewisse Weise Paroli zu bieten.

Manches in den vergangenen Tagen aus dem Westen gehörte Politikerwort wird dem Terroristen auch noch nach seinem Tode Anhänger schaffen. Ob aus Ignoranz oder Überheblichkeit – die derzeit angesagte Sprache des Siegestaumels kann eigentlich nur neue Zweifel schaffen, ob die gerade jetzt in Nordafrika bombenden Abendländler irgendeine moralische Berechtigung zum Demokratielehrer besitzen.

Ist es nur Gedankenlosigkeit, wenn Obama sagt, die USA hätten ihr Versprechen erfüllt, dass der Gerechtigkeit Genüge getan werde? Die Welt wisse nun, »es gibt nichts, was wir als Nation nicht schaffen«, wenn sich die USA einmal für etwas ausgesprochen hätten. Die Palästinenser und andere arabische Völker werden sich da schmerzlich an andere Versprechungen des Präsidenten hinsichtlich des Nahostkonflikts erinnern und sich im Stich gelassen fühlen.

Daran gemessen ist die Behauptung der US-Amerikaner, die »Seebestattung« des Terroristen entspräche islamischen Traditionen zwar noch immer unglaublich unverfroren, aber politisch von kleinerem Kaliber.

Meinungsumfragen hatten Bin Laden in der arabischen Welt zuletzt keine hohen Zustimmungswerte beschert. Nur 22 Prozent der Ägypter, 13 Prozent der Jordanier und 34 Prozent der Palästinenser bekundeten in diesem Jahr Vertrauen zu ihm, ermittelte das Pew Research Center in Washington. Dennoch sehen viele Araber Bin Ladens durch die US-Amerikaner herbeigeführtes Ende mit gemischten Gefühlen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2011


Gefühlte Gerechtigkeit

Von Wolfgang Hübner **

Das Exekutionskommando gegen Osama bin Laden, der den Tod etlicher tausend Menschen auf dem Gewissen hat, löste in den USA eine Welle der Begeisterung aus. In Deutschland, wo glücklicherweise noch kein gravierender islamistischer Anschlag stattgefunden hat, sind die Reaktionen nicht so euphorisch. Aber sie zeigen, wie sehr sich die Gesellschaft in den letzten zehn Jahren verändert hat, wie stark sich Werte verschoben haben – seit die westliche Welt endgültig beschlossen hat, den Terrorismus mit Terror zu bekämpfen.

Dieser Wertewandel, der das Verständnis von Rechtsstaatlichkeit immer weiter aushöhlt, führt dazu, dass in etlichen Medien bestimmte Fragen, die doch den Kern des Geschehens berühren, überhaupt nicht mehr oder nur noch zaghaft gestellt werden. Die Frage etwa nach den völkerrechtlichen Grundlagen der Kommandoaktion wird kaum aufgeworfen, ebenso wenig wird erörtert, warum die USA eine Militäreinheit einfach so und ohne zu fragen in ein souveränes Land schicken, als sei es ihr eigens Hoheitsgebiet. Die Vokabel mag abgegriffen sein und manchem verstaubt erscheinen, aber sie passt: Hier agiert ein selbst ernannter Weltpolizist. Und die Bundesregierung spielt nach wie vor den Hilfssheriff.

Nach solchen Überlegungen kann man im deutschen Blätterwald lange suchen. »Osama Bin Laden ist tot – ›Sieg der Gerechtigkeit‹«, jubelt beispielsweise »Die Welt«, und die Anführungszeichen in der Schlagzeile verhüllen nur dürftig, dass es sich nicht nur um ein Zitat, sondern offenbar um die Meinung der Zeitung handelt. Ein Kommentator findet – weil Hinweise auf Bin Ladens Verbleib aus Verhören in Guantanamo Bay stammen sollen –, es habe »gute Gründe« gegeben, dieses Lager »zu errichten und nicht vorzeitig wieder zu schließen«. Ist nun, muss man fragen, der richtige Zeitpunkt, den Barack Obama im Präsidentschaftswahlkampf schon für gekommen sah? Oder finden sich neue Gründe zur Rechtfertigung einer Einrichtung, die mit Rechtsstaat nichts zu tun hat?

»Amerika bejubelt bin Ladens Tod«, meldet der »Tagesspiegel« auf Seite 1, auch die »Berliner Zeitung« erhebt die amerikanischen Triumphgefühle zur Schlagzeile. In einem Leitartikel des »Tagesspiegel« wird »der Westen« dafür gelobt, dass er im Kampf gegen den Terror bei zwei Kriegen – Afghanistan und Irak – »durchgehalten, Opfer gebracht, Nervenkraft bewiesen (hat). Die Taliban wurden verjagt« – spätestens an dieser Stelle werden Bundeswehrsoldaten im Hindukusch-Einsatz bitter auflachen, denen manches Opfer gern erspart geblieben wäre.

»Obama und Osama – der Terror hat seinen Meister gefunden«, schreibt ein Kommentator in der »Süddeutschen Zeitung« und hebt in diesem Zusammenhang »eine Politik der internationalen Selbstbescheidung« hervor, die Präsident Obama den USA verordnet habe. Das allerdings ist wohl eher frommer Wunsch als Realität angesichts der unvermindert geführten Kriege in Irak und Afghanistan. Die »Frankfurter Rundschau« konstatiert immerhin, dass die Killeraktion zwar ein »Gefühl von Gerechtigkeit« gebe, aber genau an den Werten kratze, die der Westen verteidigen wolle – oder zu verteidigen vorgibt, muss man hinzufügen. »Der Showdown von Abbottabad ist kein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit«, lautet das Fazit.

Nur wenige Zeitungen sagen unumwunden, was den Massenmörder Bin Laden ereilte: »Terroristen töten Osama bin Laden« titelt etwa die »junge Welt«, und das »Neue Deutschland« spricht von einer extralegalen Hinrichtung. Die USA haben ihren Todesstrafen-Paragrafen exportiert und exekutiert; der Einfachheit halber gleich ohne Verhaftung und Verhandlung. Das Ganze mit dem Segen und auf Anordnung des Friedensnobelpreisträgers, der sich eine bessere Wahlkampf-PR nicht wünschen kann. In der Tat: So handelt ein Weltpolizist.

** Wolfgang Hübner ist stellvertretender Chefredakteur des "Neuen Deutschland".

Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2011 (Medienkolumne)



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