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Keine "feindlichen Kämpfer" mehr in Guantanamo

USA schaffen den Begriff ab, behalten aber weit gefasstes Kriegsrecht

Von Olaf Standke *

USA-Präsident Barack Obama schafft den von seinem Vorgänger für Terrorverdächtige eingeführten Begriff »feindlicher Kämpfer« ab. Bush hatte damit die Inhaftierung Verdächtiger im Lager Guantanamo und deren eingeschränkten Zugang zu den Gerichten in den Vereinigten Staaten gerechtfertigt. Menschenrechtsgruppen kritisieren die Neuregelung als nicht weitreichend genug.

Wie das Washingtoner Justizministerium am Wochenende erklärte, werde es den Begriff »feindlicher Kämpfer« nicht länger verwenden. Die Bush-Regierung hat in Guantanamo und anderen Gefängnissen Terrorverdächtige inhaftiert, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 festgenommen und als »feindliche Kämpfer« eingestuft wurden. Damit wurden ihnen die Rechte von Kriegsgefangenen gemäß der Genfer Konvention verwehrt. Kriegsgefangene dürfen danach nicht als Kriminelle angesehen, müssen human behandelt und freigelassen werden, wenn der Konflikt beendet ist.

Ein Bundesgericht hatte von der neuen Regierung mit Frist bis Freitag eine gerichtliche Erklärung zu den juristischen Grundlagen für die Haft in Guantanamo verlangt. Die Neuregelung entspreche nunmehr internationalem Recht, betont Justizminister Eric Holder. Anders als unter Bush soll die Inhaftierung von Terrorverdächtigen künftig nicht mehr auf der eigenen Kriegsermächtigung des Präsidenten beruhen. Die Vollmacht gehe jetzt vom Kongress und vom Völkerrecht aus. Bei der neuen Politik zum Umgang mit den Häftlingen sei »entscheidend, dass wir unsere nationale Sicherheit stärken, aber dabei im Einklang mit unseren Werten und dem Gesetz bleiben«. Barack Obama will das Lager bis spätestens Januar 2010 schließen. Derzeit sitzen dort noch etwa 245 Verdächtige ein.

Während Republikaner jetzt vor einer Gefahr für die Sicherheit der USA warnen, kritisieren Menschenrechtsgruppen die Neuregelung als nicht weitreichend genug. Die Abschaffung eines international verurteilten Begriffs sei zwar ein »symbolischer Schritt«, mit der Vergangenheit zu brechen, wie die »Washington Post« schrieb. Praktische Bedeutung habe er aber kaum. Die »New York Times« sieht sogar ein Signal der Obama-Regierung, »entschlossen die Möglichkeit zu verteidigen, einige Verdächtige weiter festzuhalten«, solange Guantanamo noch offen ist. Joanne Mariner von Human Rights Watch kritisierte die Neuregelung denn auch als »Bush-Maßstab mit neuem Namen«. Es sei »sehr besorgniserregend, dass das Justizministerium weiter eine allzu großzügige Auslegung des Kriegsrechts verwendet«, betont Anthony Romero, Direktor der US-amerikanischen Bürgerrechtsorganisation ACLU.

Kritik

Menschenrechtsgruppen kritisierten die Neuregelung als nicht weitreichend genug, es handle sich um einen »Bush-Maßstab mit neuem Namen«. Der frühere Vizepräsident Richard »Dick« Cheney hingegen warf Obama vor, durch seinen Schwenk in der Anti-Terror-Politik das Risiko von Anschlägen in den USA erhöht zu haben. Dem Fernsehsender CNN sagte Cheney am Sonntag, alle Maßnahmen der Bush-Regierung seien legal gewesen. Obama habe dagegen im Wahlkampf Front gemacht. »Und jetzt trifft er Entscheidungen, die aus meiner Sicht das Risiko für die Amerikaner erhöhen, wieder Ziel eines Anschlages zu werden.«
(ND, 16.03.2009)



Bisher reichte bereits der Verdacht auf eine allgemeine Unterstützung von Terrorgruppen und »Feindseligkeiten« gegen die USA und ihre Verbündeten für eine Festnahme. Nun sollen in dem Lager auf Kuba nur noch Gefangene festgehalten werden, die das Terrornetzwerk Al Qaida oder die Taliban »wesentlich« unterstützt hätten. »Die jeweiligen Fakten und Umstände, die eine Inhaftierung rechtfertigen, unterscheiden sich dabei von Fall zu Fall«, hieß es in der Erklärung des Justizministeriums vage.

Schon während ihrer Anhörung im Senat hatte die von Präsident Obama nominierte Generalstaatsanwältin Elena Kagan erklärt, dass jemand, der verdächtigt wird, Al Qaida finanziell zu unterstützen, nach Kriegsrecht behandelt werden solle, auch wenn er etwa auf den Philippinen verhaftet worden sei. Die Folge: Internierung auf unbestimmte Zeit bzw. bis der »Krieg« vorüber ist. Damit könne man weiter »Menschen in Militärgefängnissen inhaftieren, die weitab von den eigentlichen Schlachtfeldern festgenommen wurden und die sich keine Feindseligkeiten den USA gegenüber zuschulden kommen ließen«, warnte die ACLU. Zudem hält die neue Regierung an der Zuständigkeit der Militärbehörden für Guantanamo-Gefangene fest.

Ungeklärt ist auch noch die Frage nach dem Verbleib der Häftlinge, die etwa wegen drohender Folter nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können. Innerhalb der Europäischen Union ist ihre Aufnahme umstritten. Bislang haben sich nur wenige Staaten wie Spanien dazu bereit erklärt. EU-Justizkommissar Jacques Barrot will heute in Washington »präzise Fragen« zu den Aufnahmekandidaten stellen. Auf Seiten der EU-Innenminister gebe es die Sorge, dass von den ehemaligen Häftlingen Bedrohungen ausgingen.

Der Brüsseler Emissär wird auch mit Dan Fried zusammentreffen, den USA-Außenministerin Hillary Clinton jetzt zum Sondergesandten für die Verhandlungen über die Aufnahme von Guantanamo-Insassen ernannt hat. Ihr Stellvertreter und Europa-Beauftragter soll die Beratungen »intensivieren« und auch entscheiden können, ob Gefangene sofort freikommen, vor Gericht gestellt werden oder weiter in Haft bleiben müssen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. März 2009

Nur Kosmetik?

Von Olaf Standke **

Er war einer der zentralen Begriffe der Bush-Regierung im Anti-Terrorkrieg und hebelte alle internationalen Regelungen aus. Sogenannte feindliche Kämpfer gibt es im Völkerrecht nicht, sie sind eine US-amerikanische Erfindung. Ob jemand als Kämpfer oder Zivilist gilt, haben unabhängige Gerichte zu entscheiden, nicht Militärkommissionen, wie unter Bush installiert. Und wie immer man Festgenommene einordnet, sie haben die Garantie auf humane Behandlung: Verschleppung, Folter und die Verweigerung von Anwälten gehören nicht dazu. Nun hat Präsident Barack Obama den Begriff für die Insassen des berüchtigten Gefangenenlagers Guantanamo abgeschafft. Das ist ein Fortschritt. Und doch gibt es harsche Kritik.

Menschenrechtlern gehen die verkündeten neuen Regelungen für den Umgang mit Terrorverdächtigen nicht weit genug. Mehr noch, sie befürchten einen Etikettenschwindel. Zwar reicht ein diffuser allgemeiner Verdacht nicht mehr aus, doch behält sich die neue Regierung die Festnahme von Verdächtigen vor, wenn sie mutmaßlich Terrorgruppen »wesentlich« unterstützen. Definiert ist diese Kategorie jedoch nicht, was der Willkür auch künftig Tür und Tor öffnet. Die Anwälte bezweifeln jedenfalls, dass diese vage Formulierung vielen ihrer Klienten in Guantanamo helfen werde. Zumal Obama weiter an der Zuständigkeit der Militärbehörden für die Gefangenen auf dem Stützpunkt festhält. Nicht nur die Bürgerrechtler von Human Rights Watch zeigen sich enttäuscht. Denn diese Position gleiche im Kern der von Bush, nur mit anderem Namen. Es bleibt also abzuwarten, welche Taten den gestrichenen Worten folgen.

** Aus: Neues Deutschland, 16. März 2009 (Kommentar)




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