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Guantánamo forever

Obama bricht Wahlkampfversprechen. Gefangenenlager bleibt unbefristet bestehen

Von Knut Mellenthin *

Das skandalöse Gefangenenlager der US-Regierung in Guantánamo soll zeitlich unbegrenzt weiterbestehen. Die dort Inhaftierten sollen auch künftig keinen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren haben. Mit diesen Entscheidungen bestätigte Präsident Barack Obama am Montag offiziell, daß er an der harten Linie seines Vorgängers George W. Bush festhalten will.

Im Wahlkampf hatte Obama angekündigt, das Gefangenenlager zu schließen. Kurz nach seinem Amtsantritt im Januar 2009 ordnete er die Auflösung innerhalb eines Jahres an. Noch im Mai 2009 argumentierte er in einer Rede, daß Guantánamo die Vereinigten Staaten keineswegs sicherer gemacht, sondern im Gegenteil ihre nationale Sicherheit geschwächt habe. Guantánamo sei »ein Rekrutierungsappell für unsere Feinde«. Die Kosten seiner Aufrechterhaltung seien weit schwerwiegender als die mit einer Auflösung des Lagers verbundenen Komplikationen. Es folgten darauf jedoch keine Taten.

Die oppositionellen Republikaner reagierten auf die offizielle Bestätigung des Präsidenten, daß nun doch alles beim alten bleiben soll, mit Genugtuung und Triumph. Peter King, Vorsitzender des Ausschusses für innere Sicherheit im Abgeordnetenhaus, sagte: »Grundaussage ist die Bestätigung der Politik der Bush-Administration, daß unsere Regierung das Recht hat, gefährliche Terroristen bis zum Ende der Feindseligkeiten in Haft zu halten.« Lamar Smith, Vorsitzender des Rechtsausschusses des Abgeordnetenhauses, begrüßte, daß Obama die Überzeugung der Republikaner bestätigt habe, wonach Terroristen als feindliche Kombattanten und nicht als kriminelle Straftäter zu behandeln seien.

Die Ankündigung des Weißen Hauses vom Montag (7. März) besteht aus vier Punkten. Erstens: Verteidigungsminister Robert Gates wird demnächst eine Anweisung erlassen, mit der er eine Anordnung vom Januar 2009 aufheben wird, in Guantánamo keine Militärtribunale mehr durchzuführen und dort keine neuen Anklagen mehr zu erheben. Erklärtes Ziel dabei war, Prozesse künftig vor ordentlichen Gerichten auf dem Boden der USA stattfinden zu lassen. Das hat die Kongreßmehrheit erfolgreich torpediert, die auf keinen Fall Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zulassen will. Zuletzt blockierte der Kongreß im Dezember die Verwendung von Geld aus dem Pentagon-Etat für den Transport von Gefangenen aus Guantánamo in US-Haftanstalten.

Zweitens: Per Anordnung des Präsidenten wird ein regelmäßiges Haftprüfungsverfahren für diejenigen Guantánamo-Gefangenen festgelegt, die aus nicht öffentlich genannten Gründen weder freigelassen noch vor irgendein Gericht gestellt werden sollen. Tatsächlich geht es bei dieser Order nur darum, der zeitlich unbefristeten Inhaftierung von Gefangenen einen scheinbar legalen Rahmen zu geben – und damit diese Methode zu verewigen.

Drittens: Entgegen der Mehrheitsmeinung des Kongresses bekräftigte der Präsident seinen Standpunkt, daß gegen manche Gefangene auch zivile Strafprozesse in den USA möglich sein müßten. Obama befürwortet ein Nebeneinander mehrerer Optionen: ordentliche Prozesse, Militärtribunale und unbefristete Haft ohne Gerichtsverfahren. Der Präsident nannte das am Montag in einer kurzen Erklärung: »Verbreiterung unserer Fähigkeit, Terroristen der Gerechtigkeit zuzuführen.«

Viertens: Das Weiße Haus fordert den Kongreß auf, ein Zusatzprotokoll von 1987 zur Genfer Konvention zu ratifizieren, das eine humane Behandlung von Gefangenen und faire Prozesse garantieren soll. Die USA haben das von 165 Staaten unterzeichnete Abkommen bisher nicht anerkannt.

* Aus: junge Welt, 9. März 2011


Obama setzt Bushs Tribunale fort

Neue Militärprozesse in Guantanamo angeordnet / Scharfe Kritik von Menschenrechtlern

Von Olaf Standke **


USA-Präsident Barack Obama hat die Wiederaufnahme der umstrittenen Militärprozesse im Gefangenenlager Guantanamo verfügt.

Bei seinem Amtsantritt hatte Barack Obama noch versprochen, das international verurteilte Gefangenenlager Guantanamo innerhalb eines Jahres zu schließen. Ein weltweit begrüßter Schritt, der sich jedoch immer wieder verzögerte. Mit seinem jüngsten Erlass sorgt der USA-Präsident nun endgültig dafür, dass Guantanamo auf unabsehbare Zeit bestehen bleibt. Denn in dem vor zehn Jahren von seinem Vorgänger Bush errichteten Lager sollen künftig wieder Militärprozesse stattfinden.

Auch die hatte Obama nach seinem Einzug ins Weißen Haus ausgesetzt. Nun erklärte er, mit ihnen würden »Terroristen der Gerechtigkeit« zugeführt werden. Der Präsident schrieb zudem fest, dass als gefährlich geltende Terrorverdächtige weiter ohne Anklage festgehalten werden können.

Die Obama-Regierung habe die unbefristete Inhaftierung von Verdächtigen damit zum Standard erklärt und die »illegitimen« Militärtribunale wiederbelebt, kritisierte Anthony Romero, Direktor der Bürgerrechtsorganisation ACLU die Anordnung. Die Regeln für die unter Präsident Bush installierten Militärkommissionen seien mit Blick auf das »Strafrecht und internationales Recht unzureichend«. Bei »glaubhaften Beweisen« sollten Gefangene »vor einem Bundesgericht angeklagt werden«. Für Elisa Massimino, Vorsitzende der Menschenrechtsgruppe Human Rights First, ist das ein weiterer Schritt hinab zur »Institutionalisierung eines Regimes der Präventivverhaftungen«.

Washington hat auf seinem Militärstützpunkt Guantanamo Terrorverdächtige inhaftieren lassen, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 festgenommen wurden. Da das Lager nicht auf USA-Staatsgebiet liegt und die Männer nicht den Status von Kriegsgefangenen haben, sondern als »illegale Kämpfer« eingestuft werden, verwehrt ihnen die US-Armee Rechte, die in den Vereinigten Staaten selbst gelten würden. Die USA mussten zugeben, dass dort auch gefoltert wurde; so wendete man bei Verhören das berüchtigte »Waterboarding« (simuliertes Ertränken) an. Zeitweise hielt man fast 800 Menschen in Guantanamo gefangen – ohne Anklage und ohne Zugang zu Anwälten. Derzeit sitzen noch mehr als 170 Gefangene ein.

Schon im Januar hatte Präsident Obama fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ein Gesetz unterschrieben, das die Überstellung von Guantanamo-Häftlingen in Gefängnisse auf dem US-amerikanischen Festland oder deren Abschiebung in aufnahmewillige Drittländer ausdrücklich verbietet. Militärtribunale seien neben Verfahren vor zivilen Gerichten »ein verfügbares und wichtiges Werkzeug im Kampf gegen internationale Terroristen«, hieß es nun in einer Erklärung des Weißen Hauses.

Nach Angaben von Regierungsvertretern halte der Präsident aber weiter an dem Ziel einer Schließung des Lagers fest. Doch dürften weitere Verfahren Monate oder gar Jahre dauern. Die neuen Leitlinien zum Umgang mit den Gefangenen blieben so nicht nur »weit hinter den Grundwerten der Verfassung zurück«, wie selbst der demokratische Vorsitzende des Justizausschusses im Senat, Patrick Leahy, kritisierte, sie trügen auch wenig dazu bei, die Schließung voranzutreiben.

** Aus: Neues Deutschland, 9. März 2011


Versprecher

Von Olaf Standke ***

Versprechen ist erst einmal kein Verbrechen, wie der Volksmund weiß. Aufs Halten kommt es an. Aber damit tut sich Barack Obama überaus schwer in Sachen Guantanamo. Das Gefangenenlager für Bushs »feindliche Kämpfer« im Antiterrorkrieg war das Symbol einer verheerend falschen Politik, die Forderung nach seiner Schließung eine der zugkräftigsten Wahlkampfparolen Obamas. Als er unmittelbar nach Einzug ins Weiße Haus verkündete, den Worten binnen eines Jahres Taten folgen zu lassen, galt das als Ausweis für den Wandel in Washington. Doch nun sind zwei Jahre seit Amtsantritt vergangen und in Guantanamo sitzen noch immer 170 Gefangene.

Und das ist längst nicht mehr mit unterschätzten juristischen Fallstricken, erbittertem Widerstand der Republikaner oder mangelnder Bereitschaft im Ausland zu erklären, Insassen aufzunehmen. Der Präsident scheint einen grundsätzlichen Sinneswandel vollzogen zu haben. Erst verbot er die Überstellung von Häftlingen in Gefängnisse auf USA-Festland und deren Abschiebung ins Ausland, und nun ordnete Obama die Wiederaufnahme der international massiv kritisierten Militärtribunale an, obgleich sie rechtsstaatlichen Standards Hohn sprechen. Zudem dürfen Terrorverdächtige weiter ohne Anklage unter unwürdigen Bedingungen in Guantanamo festgehalten werden, sogar wenn sie unschuldig sind. Damit ist Obama zu Bush zurückgekehrt und verletzt selbst Menschenrechte – was man andernorts ein Verbrechen nennt.

*** Aus: Neues Deutschland, 9. März 2011 (Kommentar)


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