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Guantánamo: Urteile trotz Folter

"Bin Ladens Koch" soll weitere 14 Jahre ins Gefängnis. Prozeß als Farce kritisiert *

Eine Jury aus zehn US-Offizieren hat im ersten Prozeß gegen einen Guantánamo-Häftling während der Amtszeit von Präsident Barack Obama eine Strafe von 14 Jahren Haft empfohlen. Die achteinhalb Jahre, die der heute 50 Jahre alte Ibrahim Ahmed Mahmud Al Kosi bereits in dem US-Gefangenenlager festgehalten wurde, sollen nicht auf die Strafe angerechnet werden.

Der Gefangene, der früher ein Koch Osama bin Ladens gewesen sein soll, hatte in dem Lager ein Geständnis abgelegt. Im Gegenzug dazu sei für seine Haft eine Obergrenze vereinbart worden, die der Jury aber nicht mitgeteilt wurde, meldete die Agentur DAPD. Richterin Nancy Paul hatte den Geschworenen gesagt, sie könnten den aus dem Sudan stammenden Mann zu einer Strafe zwischen zwölf und 15 Jahren Haft verurteilen. Das Urteil muß nun vom Pentagon überprüft werden. Al Kosis Anwalt hatte im Prozeß um Milde gebeten und auf die Umstände in dem Gefangenenlager verwiesen. So habe der Angeklagte seit Jahren keinen Kontakt zu seiner Familie haben dürfen. Beobachter von Menschenrechtsorganisationen kritisierten den Prozeß als Farce.

In einem weiteren Fall sollen sieben US-Offiziere über das Schicksal des Kanadiers Omar Khadr entscheiden, der wegen der Tötung eines US-Soldaten angeklagt ist. Khadr war bei seiner Festnahme 2002 erst 15 Jahre alt. Am Montag entschied Militärrichter Patrick Parrish, daß Khadrs Aussagen bei Verhören in US-Gewahrsam in dem Prozeß verwendet werden können, obwohl sie unter Folter zustande kamen. US-Agenten und Verhörbeamte des Militärs hatten im April zugegeben, mit Techniken wie Schlafentzug Druck auf Khadr ausgeübt zu haben. Einer der Befragten räumte ein, daß er dem Gefangenen mit Vergewaltigung gedroht habe. Khadrs Anwalt Denis Edney hatte deshalb beantragt, die so gewonnenen Aussagen seines Mandanten nicht zu berücksichtigen. Die gegenteilige Entscheidung des Richters verurteilte er als »schändlich«.

Die Prozesse werden von einer Militärkommission durchgeführt, die von Obamas Vorgänger George W. Bush eigens zur Aburteilung der Gefangenen in Guantánamo eingeführt worden war. In dem auf der US-Marinebasis eingerichteten Lager werden derzeit noch rund 180 Menschen festgehalten. Obama hatte ursprünglich für Januar 2010 eine Schließung des Lagers angekündigt, den Termin dann aber auf unbestimmte Zeit verschoben.

Aus: junge Welt, 13. August 2010


Geschichten vom Koch

Von Olaf Standke **

Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich, fragte einst Brecht. Osama bin Laden hatte – auf seinem Feldzug gegen die verderbte westliche Welt. Wobei Ibrahim Ahmed Mahmoud al-Qosi mehr war, Fahrer auch und Leibwächter. Jetzt wurde der 50-Jährige der Unterstützung des Terrornetzwerkes Al Qaida für schuldig befunden und zu 14 Jahren Haft verurteilt. Von einer Militärjury im US-Gefangenenlager Guantanamo. Es ist das erste derartige Urteil in der Amtszeit von Barack Obama. Und es steht für das Dilemma des Präsidenten, der alles anders machen wollte. Guantanamo schließen zum Beispiel, wie im Wahlkampf versprochen und in einer seiner ersten Amtshandlungen angeordnet. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.

Obama verhedderte sich in den inneramerikanischen juristischen wie politischen Fallstricken der Causa Guantanamo und findet nur unzureichende Unterstützung bei den Verbündeten, wenn es darum geht, selbst nachweislich unschuldige Insassen außerhalb der USA aufzunehmen. Im Jahr der wichtigen Zwischenwahlen zum Kongress siegt das Machtkalkül seiner um Mehrheiten zitternden Demokraten über den Anspruch einer neuen, an Völkerrecht und Moral ausgerichteten Politik. Das international scharf verurteilte Gefangenenlager ist nicht geschlossen, die in der Bush-Zeit installierten, heftig kritisierten Tribunale arbeiten weiter, und die geheimen Abmachungen in Sachen Al-Qosi zeigen, dass selbst von der angekündigten größeren Transparenz der umstrittenen Militärkommissionen im Fall der Fälle wenig bleibt. Was nur ist aus Barack Obama geworden, fragt sich da der lesende Arbeiter.

** Aus: Neues Deutschland, 13. August 2010 (Kommentar)


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